Geretsried:Unter Strom

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Ist der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen bereit für die Zukunft? Der Test mit einem Elektrofahrzeug macht Spaß, hält aber auch einige Überraschungen bereit.

Von Andreas Scheuerer, Geretsried

Schon das Starten des Elektroautos fühlt sich fremd an. Denn an der Stelle, an der sonst ein knatternder Motor einsetzt, ertönt lediglich ein leises Surren, das nach kurzer Zeit verschwindet. Beim Losfahren mahnt dann doch ein bekanntes Signal: Bitte anschnallen! Nicht alles ist anders an einem Elektroauto - aber vieles. Das zeigt ein einwöchiger Test, für den die SZ Bad Tölz-Wolfratshausen ein Mitsubishi innovative Electric Vehicle - kurz: i-MiEV - von der Energiewende Oberland und dem Penzberger Autohaus Schwerdtner zur Verfügung gestellt bekam. Zuvor hatten 19 Bürger und der Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller das Fahrzeug getestet. Bislang sind im Landkreis erst 87 E-Autos zugelassen. Taugt das Auto der Zukunft für den Alltag?

Eines vorweg: Das i-MiEV fährt sich leicht und spielerisch - fast ein wenig so, als würde man schweben. Ausgelöst wird dieses Gefühl vor allem von der Geräuschlosigkeit des elektrischen Motors. Lediglich das Rollen der Räder durchbricht die Stille. Das ist nicht nur für den Fahrer, sondern auch für Fußgänger gewöhnungsbedürftig - und kann schnell gefährlich werden. In der Tempo-30-Zone an der Egerlandstraße in Geretsried etwa überrascht das leise Stromfahrzeug die Fußgänger beim Überqueren der Straße - sie sind das Knattern eines Ottomotors gewöhnt. Das fordert erhöhte Wachsamkeit des Fahrers. Sonst bietet das Auto in der Stadt Fahrspaß: Es ist wendig und spritzig, an der Ampel beschleunigt es dank Elektroantrieb beim Tritt auf das Gaspedal ohne Verzögerung - und lässt Benziner hinter sich.

Das Armaturenbrett des i-MiEV sieht ungewohnt aus. Bei höheren Geschwindigkeiten kann man auf der Anzeige links zuschauen, wie sich der Akku entlädt. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach einigen Kilometern auf der Landstraße stellt sich aber schnell eine defensive Fahrweise ein - schon nach fünf Kilometern ist der erste von 16 Strichen auf der Akku-Anzeige erloschen. Auf den 23 Kilometer zwischen Wolfratshausen und Bad Tölz verbraucht der Wagen etwa ein Viertel des gesamten Stroms im Tank, wenn man im Bereich der erlaubten Geschwindigkeit fährt. Nach 20 Kilometern auf der A95 Richtung Garmisch bei Tempo 130 fehlt sogar ein Drittel der Energie. Die angegebene Reichweite von 160 Kilometern mit einer Ladung liegt da in weiter Ferne. Das trübt die anfängliche Euphorie und lässt im Kopf schon geplante Fahrten in die Berge als kaum realisierbar erscheinen - auch weil sich direkt an der Autobahn bis Garmisch-Partenkirchen keine Lademöglichkeit befindet.

Überhaupt ist das Laden für den Fahrer eines Elektrofahrzeuges im Landkreis eine echte Herausforderung. E-Tankstellen sind hier nämlich Mangelware. Derzeit gibt es laut Internet-Portalen nur neun Säulen: drei in Wolfratshausen, eine in Lenggries und fünf in Bad Tölz. Anbieter sind neben den Stadtwerken auch die Stromerzeuger selbst oder einfach Privatpersonen, die ihre eigenen Steckdosen zur Verfügung stellen. Längere Fahrten muss man also planen wie ein Pfadfinder.

Das Elektroauto i-MiEV fährt sich leicht und spielerisch. (Foto: Manfred Neubauer)

Die wenigen Ladestationen halten aber noch eine weitere Überraschung für den Elektro-Neuling bereit: Nicht alle Ladesäulen haben die gleiche Steckdose. Passt der eigene Stecker nicht, gibt es natürlich keinen Strom. Glücklicherweise ist der runde Stecker vom Typ 2 an den meisten Säulen vorhanden - so auch an der Ladesäule am Landratsamt in Bad Tölz, die vorige Woche eröffnet wurde. Dass auch Experten noch den Überblick verlieren, zeigt sich beim ersten Ladeversuch an jener Säule. Irrtümlicherweise rät einem der Stadtwerke-Ingenieur dort, man müsse eine andere Ladestelle aufsuchen - der eigene Stecker sei nicht kompatibel. Ausnahmsweise erteilt er eine Erlaubnis für die Stadtwerke-Säule: Mit dem letzten Balken auf der Akku-Anzeige geht es also zur Zentrale an der Osterleite. Dort kann das i-MiEV schließlich mit dem Stecker vom Typ 2 geladen werden - der doch auch am Landratsamt gepasst hätte.

Nach einer Stunde ist der Akku wieder zu einem Drittel geladen. Die 30 Kilometer von Bad Tölz nach Icking schafft der Wagen gerade so - vor allem der Wolfratshauser Berg verlangt der Stromanzeige fast alles ab. Zu Hause angekommen stellt sich die Frage: Wo ist die nächste Steckdose im Außenbereich? Ist keine vorhanden, muss man beim Nachbarn anklopfen. Die komplette Akkuladung dauert dann acht Stunden - ein Vorgang, der nur über Nacht praktikabel scheint. Bei den Typ-2-Steckern lässt der Versuch in Bad Tölz auf etwa vier Stunden Ladezeitschließen. Wirklich fix ginge es hingegen nur an den Schnellladesäulen, an denen das i-MiEV innerhalb von 20 Minuten die Akkus bis zu 80 Prozent aufladen könnte. Derlei Ladestationen gibt es allerdings nicht im Landkreis - geplant sind derzeit auch keine.

Am Landratsamt in Bad Tölz gibt es eine neue Ladestation. Es ist die neunte Stromtankstelle im Landkreis. Doch nicht alle Stecker passen überall. (Foto: Manfred Neubauer)

Energie kostet. Beim Landratsamt in Bad Tölz ist die Ladung noch kostenlos. Andere Anbieter wie die Stadtwerke Wolfratshausen verlangen hingegen eine stündliche Gebühr von einem Euro. Für manche Ladestationen wie die an der Loisachhalle brauchen E-Auto-Fahrer eine Karte, um die Steckdose entriegeln zu können. Wer hier laden möchte, muss jedes Mal zunächst über den Sebastianisteg laufen und bei der Stadtverwaltung klopfen, einen Zettel ausfüllen und mit der Karte zurück zum Parkplatz. Nach der Ladung das ganze in umgekehrter Reihenfolge - immerhin kostet der Strom nichts. Die Eon-Ladesäule in Bad Tölz fordert wiederum eine Karte, die für einmalige 15 Euro beim Stromanbieter bestellt werden muss. Natürlich kann wie erwähnt auch an der hauseigenen Steckdose geladen werden. Eine Vollladung für das i-MiEV kostet bei den aktuellen Strompreisen etwa vier Euro. Bei einer Reichweite von rund 100 Kilometern entspricht das weniger als der Hälfte der Spritkosten für einen Benziner.

An vielen öffentlichen Ladestationen wird Strom aus regenerativen Energien geladen, wie auch am Tölzer Landratsamt. Demnach hätte das i-MiEV kein Gramm Kohlendioxid auf den in der Testwoche gefahrenen 280 Kilometern ausgestoßen. Im Vergleich dazu verbraucht ein Mittelklasse-Dieselfahrzeug etwa 40 Kilogramm Kohlendioxid.

Wird jedoch nicht aus regenerativen Quellen, sondern der Strom-Mix aus den herkömmlichen Steckdosen geladen, verursachen auch Elektrofahrzeuge Emissionen - der Emissionsausstoß wird in die Kraftwerke der Stromerzeuger verlagert. Laut ADAC sind Stromer dann nicht grundsätzlich umweltfreundlicher als vergleichbare Brennstofffahrzeug.

Wie weit ist also die E-Mobilität im Landkreis? Hauptproblem ist der Mangel an Ladesäulen. Was nützen Kaufprämien, wenn das Laden der Elektrofahrzeuge unterwegs kaum möglich ist? Die Stadt Geretsried will nun eine Ladesäule vor dem Rathaus installieren, wie Bürgermeister Müller nach seinem Test sagt. Es soll jedoch keine teure Schnellladestation werden. Wer also umsteigen möchte, braucht zumindest eins: Zeit.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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