Konzert:Mit und ohne Warum

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Alte Verve und neue Virtuosität: Konstantin Wecker am Flügel, Fany Kammerlander am Cello - unwiderstehlich. (Foto: Hartmut Pöstges)

Konstantin Wecker und Band rocken und verzücken die Geretsrieder mit großer Musikalität, einschmeichelnder Poesie und bekenntnisreichen Liedern

Von Felicitas Amler, Geretsried

Was für ein starker Abend: Zupackend und zart, radikal und romantisch, virtuos und vital. Konstantin Wecker und seine großartigen Musiker haben am Samstagabend Geretsried gerockt und verzückt. Allein für dieses Konzert hat es sich gelohnt, dass die Stadt und der Kulturverein Isar-Loisach (KIL) den vom Veranstalter Cultus Production vergeigten Kulturherbst wenigstens in Teilen gerettet haben. Sie haben damit ein Publikum glücklich gemacht, das sich in seiner Begeisterungsfähigkeit diesen Abend wirklich verdient hat. Zweimal gab es Standing Ovations für Wecker und Co., immer wieder jubelnden Beifall, Zwischenapplaus für eigenständig überzeugende musikalische Solo-Einlagen, es wurde mit und ohne Aufforderung laut und leise mitgesungen, und bei Weckers appellativem Lied "Revolution" reckte sich hie und da kämpferisch eine Faust nach oben.

Der Ratsstubensaal mit seinen mehr als 400 Plätzen war ausverkauft, aber es musste auch niemand abgewiesen werden. Sogar eine Handvoll Wecker-Fans, die sich spontan entschlossen hatten - ein Paar aus Tutzing etwa oder eine Besucherin vom Chiemsee - hatten noch Glück. Die Veranstalter, die nach der desaströsen Cultus-Pleite nicht genau wussten, wie viele Karten vorab tatsächlich verkauft worden waren und wie viele Plätze sie demnach frei halten mussten, warteten bis kurz vor knapp und gaben dann noch Tickets aus.

Wecker würdigte die Anstrengungen von KIL und Stadt, empfahl aber am Ende augenzwinkernd, künftig doch wieder Günter Wagner mit dem Kulturherbst zu betrauen: "Es waren schöne Herbste mit dir", sagte er in Richtung jenes Mannes, der in früheren Jahren nicht nur das Festival veranstaltet, sondern auch mit Wecker eigene Musicals erarbeitet hatte. Für den aktuellen Auftritt war Wagner mal eben dem KIL und seiner Protagonistin Assunta Tammelleo beigesprungen und hatte die Organisation in die Hand genommen - ehrenamtlich, also unentgeltlich.

Die Künstler schenkten sich nichts, sie spielten so viele Zugaben, dass der Abend aus drei gleichen Teilen - vor der Pause, nach der Pause und nach-nach der Pause - zu bestehen schien. Wecker-Ohrwürmer ("Wenn der Sommer nicht mehr weit ist", "Vaterland") haben einen ganz frischen Drive und neue Stücke ("An meine Kinder", "Heiliger Tanz") die alte Power oder Poesie, deretwegen das Publikum ihn liebt.

Der Liedermacher, selbst ein Pianist, dessen Anschlag man sofort erkennt, hat wunderbare Musiker um sich geschart: die Cellistin und Bassistin Fany Kammerlander, den Gitarristen Manuel Lopez, den Bassisten Wolfgang Gleixner und seinen eigenen "musikalischen Lebensgefährten", den Pianisten Jo Barnikel. Sie beherrschen die aufwühlenden harten Rhythmen ("Das macht mir Mut", "Heiliger Tanz") genauso wie die melodiösen Streicheleien ("Buona Notte, Fiorellino"). Welchen Spaß sie auch miteinander haben, spürt man an einer fast kabarettistischen Nummer - wenn alle ihr eigenes Instrument via Smartphone "spielen" und damit eine Parodie der schönen neuen Welt liefern: "Wir sind so schön, wir werden immer schicker. Wir wolln wieder gemachte Leute sein."

Wecker ist bei all dem ganz der alte Überzeugungssänger, einer, der "keine halben Sachen mag" und "ein großes Herz für Träumer und Versager" hat. Er bekennt sich auch in Geretsried auf der Ratsstubenbühne als Pazifist ohne Wenn und Aber, als Antifaschist, der nicht vergisst, als kompromissloser Kapitalismuskritiker und als rückhaltloser Verfechter einer Willkommenskultur in diesem Land - auch oder gerade weil er noch nie so bedroht und beschimpft worden sei wie für seine Haltung zur Not der Flüchtlinge.

Deshalb: So schön es ist, wenn Wecker gegen Ende mit einem Rückgriff auf den mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart den Zauber eines im besten Sinne unnützen Lebens ohne Warum ("Sunder warumbe") preist - ein Abend mit diesem Liedermacher gibt ja doch viele Antworten auf ein ungefragtes Warum.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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