Energiewende im Landkreis:Elektrisierendes Gesamtkunstwerk

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Das historische Mühltalkraftwerk mit seinen drei Turbinen ist wesentlich moderner, als es aussieht - und passt optimal in die Zeit der Energiewende.

Tom Soyer

Der Begriff "regenerative Energien" und dieses altehrwürdige ockerfarbige Gebäude am grünen Wasser, das scheint schwer vereinbar. Und doch macht das Kraftwerk Mühltal mit Isarwasser seit bald 90 Jahren vor, was dieser Tage mehr denn je propagiert wird: die sanfte, umweltschonende Stromerzeugung. Seit Jahrzehnten presst das Gefälle ungefähr 80 Kubikmeter Wasser durch drei gewaltige Turbinen - und versorgt 18000 bis 20000 Haushalte mit sauberem Strom.

Alte robuste Technik: Das Wasserkraftwerk Mühltal an der Isar wurde in den Jahren 1921 bis 1924 erbaut und ging bereits 1924 ans Netz. Zuletzt wurde es 1936 umgebaut und versorgt 18 000 bis 20 000 Haushalte mit Strom. (Foto: Tom Soyer)

Dass dieser dereinst als "sauber" bezeichnet werden würde, haben sich die Isarflößer in den 1920er Jahren noch nicht träumen lassen. Die waren damals nicht erbaut von den Plänen der Familien Heilmann und von Finck und ihrer Firma "Isarwerke", bei Icking ein Wehr zu bauen, die Isar in ein freies Bett und in einen Werkskanal zu teilen, und 7,3 Kilometer flussabwärts bei Mühltal dann ans Ende des künstlichen Kanals jenes Wasserkraftwerk zu platzieren. Zu Zeiten, da Flößer noch Transportunternehmer und Spediteure waren und nicht Event-Vermarkter und Outdoor-Bespaßungs-Unternehmer, gefiel es nicht allen, dass Oberbayerns Strom erst unterbrochen werden sollte, auf dass Strom fließe.

Heute haben sich nicht nur die Eigentumsverhältnisse stark gewandelt. Aus den Isarwerken von einst ist über Stationen wie "Isar-Amperwerke" und "Bayernwerke" längst die Konzern-Untergesellschaft "Eon Wasserkraft" geworden. Von Landshut aus steuert sie das Kraftwerk Mühltal vollautomatisch. Ab und zu sieht noch jemand nach dem Rechten, aber im Prinzip ist die alte Ingenieurs- und Stahlbaukunst längst ergänzt um moderne Regeltechnik und kommt fast ganz ohne Personal aus. Sinkt die Wassermenge im Kanal witterungsbedingt zu stark, schalten sich Turbinen selbst ab; läuft alles, wie es soll, lassen sich sogar die Schaufelräder der drei Francis-Turbinen vollautomatisch verstellen.

Im Turbinensaal brummt es gleichmäßig, und ganz oben auf den gewaltigen Metallhauben, die wie Sudkessel mit Sichtöffnungen aussehen, lässt sich beobachten, wie Turbinenumdrehung für Turbinenumdrehung Strom erzeugt wird. Eine ziemlich entschleunigte Angelegenheit, ohne hektische Drehzahlen - vom gewaltigen Wasserdruck im Untergeschoss und vom Gebrause an den Schaufelrädern ist nichts zu bemerken.

Eher noch erinnert die Szenerie an eine gemütliche Brauerei oder Destillerie - und auch das eine oder andere Schauglas mit den dünnen, whiskeyfarbigen Resten der einstigen Ölschmierung. Allerdings ohne Funktion: Denn den Krebsen und Aalen zuliebe werden die gewaltigen Maschinen mit entspanntem, kalkfreiem Wasser geschmiert. Erneuerbar ist Trumpf.

Götterquartett der erneuerbaren Energien

In diesem Sinne lässt sich ein Deckengemälde in der vom Jugendstil angehauchten "Schaltwarte" einordnen, das die Gründerfamilien bei Gottlob Gottfried Klemm (1871 bis 1955), einem Schüler Franz von Stucks, in Auftrag gegeben hatten. Es zeigt eine Windrose und vier Gestalten der griechischen Mythologie: den Blitze schleudernden Zeus, den Meeresgott Poseidon mit Dreizack, den Windgott Aiolos mit geblähten Backen und Helios, den Sonnengott.

Quasi ein Götterquartett der erneuerbaren Energien - bei Blitzen hapert es noch mit reaktionsschneller Auffangtechnik, aber aus Sonne, Wind und Isarwasser wird Strom gewonnen. Das Deckenfresko spiegelt zugleich das öffentliche Interesse am Ökostrom: In den fünfziger Jahren war es übermalt worden - und erlebte parallel zum aufkeimenden Interesse an sanfter Energiegewinnung seine Wiedergeburt und Freilegung in den neunziger Jahren.

"Eine einmalig schöne Sache" seien dieses Fresko und überhaupt das ganze Kraftwerk, schwärmt Richard Scheidhammer aus Höllriegelskreuth, der für Eon Wasserkraft ab und zu Besucher durch das Industriedenkmal führt. 1936 seien die Turbinen optimiert worden, seither "läuft das hier alles Tag und Nacht durch". Dabei fasst er schon mal an eine gewaltige Metallwelle und erläutert voller Ehrfurcht, wie verlässlich und fein die Erbauer das Mühltal-Kraftwerk hinbekommen haben.

70 bis 80 Kilowattstunden Strom jährlich

Im Schnitt erzeuge dieses Ensemble von dunkelblau lackiertem Eisen und Stahl 70 bis 80 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr, Eon gibt die Leistung des "Laufwasserkraftwerks" mit 11,2 Megawatt an. Zum Vergleich: Das Eon-Atomkraftwerk Isar 1 (1979 in Betrieb genommen) liefert 878 Megawatt Leistung, der Atommeiler Isar 2 (in Betrieb seit 1988) gar 1410 Megawatt. Um die Leistung von "Isar 2" mit Laufwasserturbinen zu ersetzen, bedürfte es - rechnerisch - also etwa 126 Wasserkraftwerken des Mühltal-Typs.

Mit Vergleichen lässt sich vieles schön- oder schlechtrechnen. Und seit den Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima werden solche Rechnungen ohnehin gerne aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Deshalb also gleich die Gegenrechnung: Im Einzugsbereich der Isar betreibt Eon Wasserkraft insgesamt 25 Laufwasserkraftwerke, von Kesselbach und Obernach bis zu den Staustufen in Landau, Ettling und Pielweichs - mit insgesamt immerhin 240 Megawatt (MW) Leistung.

900 000 Tonnen CO2 weniger pro Jahr

Hinzu kommen noch jene 124 Megawatt, welche in den zehn Turbinen des Walchenseekraftwerks erzeugt werden - zusammen also 364 MW. Und das ist dann doch schon eine ganze Menge sanft erzeugten Stromes - genug für 380 000 Haushalte, sagt Eon, und hat auch noch ein paar Ausbaupläne parat. Beispielsweise fürs bestehende Baierbrunner Wehr, wo ebenso wie in Wolfratshausen-Farchet und Icking neue Turbinen installiert werden sollen. Schon jetzt, so rechnet der Konzern vor, werde ein Ausstoß von 900 000 Tonnen Kohlendioxid im Jahr vermieden.

Das Kraftwerk Mühltal hat daran seinen konstanten Anteil. Es hat ältere Vorläuferbauten an der Isar, etwa das Kraftwerk Höllriegelskreuth, das schon 1894 als eines der ersten Drehstromkraftwerke überhaupt in Betrieb ging (heute mit 3,1 MW Leistung), oder seit 1901 das Pullacher Wasserkraftwerk (4,1 MW). Doch keines dieser älteren Werke kann auf so einen schönen Superlativ verweisen wie das technische Industriedenkmal von Mühltal, das seit 1996 unter Denkmalschutz gestellt ist:

Weil die Flößer ja unbedingt versöhnt werden mussten mit dem damals gar so modernen Bauwerk, haben die Isarwerke eine 345 Meter lange Floßrutsche am Wehr eingebaut. So können die Floßpartien bis heute die 17 Meter Höhenunterschied dort in besonders spritziger Weise ausgleichen.

© SZ vom 09.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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