Lernkonzepte:In der Schule der Zukunft ist mehr Platz für Pädagogik

Gymnasium München Nord, 2016

In der "Eliteschule des Sports" lernen die Kinder gemeinsam.

(Foto: Florian Peljak)
  • Das Gymnasium München-Nord gilt als modernste Schule der Landeshauptstadt.
  • Hier setzen Lehrer und Schüler zahlreiche neue Lernkonzepte um, die deutlich mehr Flexibilität als bislang fordern.
  • In der Schule ist bereits viel Technik im Einsatz - doch die wichtigste Ressource für den Erfolg der Schüler sind und bleiben die Lehrkräfte.

Von Melanie Staudinger

Moritz muss überlegen. Was sollten Schulen in der Zukunft besitzen? Das ist eine schwierige Frage für einen Elfjährigen, vor allem für einen, der Münchens modernste Schule besucht. Seit September geht Moritz in die fünfte Klasse des Gymnasiums München-Nord, eine Elite-Schule des Sports, in dem sich Talente nicht nur auf das Abitur, sondern im besten Fall auch auf eine Karriere als Olympiasieger vorbereiten.

Whiteboards in allen Räumen, helle Foren, gläserne Wände und eine zehn Meter hohe Sporthalle gibt es dort: Für 65 Millionen Euro hat das Bildungsreferat im Norden der Stadt eine Vorzeigeschule mit allem denkbaren Schnickschnack hingestellt. Aber irgendwas Futuristisches muss es doch geben, was das Gymnasium an der Knorrstraße noch nicht beherbergt. "Eine Rolltreppe", sagt Moritz und streckt sich zufrieden in sein großes, rotes Sitzkissen.

Ja, in den Schulen der Zukunft sollte es statt schnöden Stufen bewegte Rolltreppen geben, die die Schüler von ihren Klassenzimmern im Erdgeschoss hinauf zu den Fachlehrsälen fahren. Seine Klassenkameradinnen Antonie und Mirabell nicken zustimmend.

Leonhard Baur steht keine zehn Meter entfernt und verschränkt die Arme. Ein größeres Kompliment kann er als Schulleiter kaum bekommen, als dass sich die Schüler so wohlfühlen. Genau daran hat Baur in den vergangenen Monaten gearbeitet: Er wollte sein modernes Schulhaus mit Leben füllen - und das ist ihm gelungen.

Die behäbige Schullandschaft befindet sich im Umbruch, und nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie in einer neuen Schule, die komplett eingerichtet und mit Unterrichtsmaterialien bestückt werden muss, die pädagogische Konzepte und Personal braucht. Baur hat keinen schwerfälligen Tanker vorgefunden, in dem alles eingespielt ist und keiner etwas verändern will. Er nahm die Herausforderung an, etwas ganz Neues zu schaffen. Denn daran, dass alle Schüler irgendwann einmal daheim vor ihren Laptops sitzen und einem Hunderte Kilometer entfernten Lehrer am Bildschirm zuhören, glaubt er nicht.

Kinder und Jugendliche werden immer mehr Zeit in der Schule verbringen

Ganz im Gegenteil: Die Schule werde für Kinder, Jugendliche und Personal wichtiger, alleine schon, weil alle mehr Zeit dort verbringen würden, sagt Baur. Im Gymnasium München- Nord hat jeder Lehrer deshalb seinen eigenen Arbeitsplatz. Das gleicht einer Revolution in einem Schulwesen, in dem sich Pädagogen bisher um wenige freie Plätze im Lehrerzimmer streiten mussten. Schule entwickelt sich weg von der reinen Wissensvermittlung hin zum Lebensraum für sehr unterschiedliche Schüler - und muss daher ganz anderen Anforderungen genügen.

In einer Stadt wie München, in der mehr als die Hälfte aller Viertklässler aufs Gymnasium wechselt, müssen sich die Schulen auf eine heterogene Schülerschaft einstellen. Dass Gymnasien keine Refugien deutscher Akademiker-Kinder mit Traumnoten sind, zeigt an der Knorrstraße ein Blick auf die Namen, die an der Wand hängen: Hale, Carl, Selina, Akram. Immer mehr Schüler mit Migrationshintergrund schaffen den Sprung an eine weiterführende Schule ebenso wie Kinder, deren Eltern sich keine teure Nachhilfe leisten können.

Sie alle zu integrieren, zu vermeiden, dass sie zu Absteigern werden, allen Kindern die gleichen Perspektiven zu bieten, wird eine der zentralen Zukunftsaufgaben von Schule sein.

Die Schüler bestimmen viele Dinge selbst

An der Knorrstraße gibt es verpflichtende Studierzeiten, die von Lehrern beaufsichtigt werden. Die Schüler entscheiden aber selbst, in welcher Reihenfolge sie ihre Aufgaben erledigen. Mehr Selbstbestimmung für die Schüler - auch an dieses an Schulen relativ neue Konzept muss sich der eine oder andere Lehrer noch gewöhnen. Schriftliches muss anschließend zu Hause nicht mehr erledigt werden; das ist auch gut so, denn die Fünftklässler bleiben bereits an zwei Tagen in der Woche bis 16 Uhr, die Sechst- und Siebtklässler lernen an vier Tagen bis in den Nachmittag hinein.

Gymnasium München-Nord

Mit Leben gefüllt hat Schulleiter Leonhard Baur das zum Schuljahresbeginn eröffnete Gymnasium München-Nord.

(Foto: Florian Peljak)

Nach dem regulären Unterricht besuchen die Schüler Arbeitsgemeinschaften in Sport, Musik und Kunst. Oder sie nehmen am Angebot der Sozialpädagogen teil: Manche wiederholen den Unterrichtsstoff, andere wählen "Zeit für mich" oder "Spiel im Freien". Baur sagt: "Wir wollen keine starre Ganztagsschule, sondern bieten Flexibilität für alle." Auch in der Mensa, die sich im Eingangsbereich und nicht abgeschottet im Keller befindet, reden die Kinder mit: Wenn sie Reiberdatschi wollen, gibt es den eben. Tabu sind Schokoriegel und Cola - ist schließlich eine Sportschule.

Vorbei sind die Zeiten der Flurschule, in denen sich Klassenzimmer an einem dunklen Gang hintereinander aufreihen und niemand hineinschauen kann, was im Inneren abläuft. Im Gymnasium München-Nord gruppieren sich die Zimmer um ein zentrales, von Tageslicht erhelltem Forum. Hier können die Kinder auf den Sitzkissen entspannen oder toben. Dennoch: So modern die Schule auch gebaut ist, der Unterricht steht und fällt mit dem Lehrer. "Das wird auch in Zukunft so bleiben", sagt Baur. Ein Whiteboard habe noch keinen durch das Abitur gebracht.

Wobei digitale Medien zunehmend an Bedeutung gewinnen: Baur hat keine großen Landkarten für die Erdkundestunden mehr angeschafft, die ließen sich mit Laptop und Whiteboard besser darstellen. Schulbücher hingegen existieren auch in Münchens modernster Schule weiterhin - allerdings wohl nicht mehr lange. Die ersten 200 Laptops sind gerade angekommen, vorläufig nutzen die Schüler sie gemeinsam. "Ich kann mir aber schon vorstellen, dass jedes Kind sein eigenes Tablet hat mit allen Büchern drauf", sagt Baur. Dann wären zumindest die leidigen Diskussionen um zu schwere Schultaschen erledigt.

Im Alltag soll die Digitalisierung vor allem mehr Platz für Pädagogik schaffen. Baur verschickt die Schulbriefe über das Elternportal, wo Väter und Mütter den Erhalt bestätigen. Was auch bedeutet, dass keine Sekretärin mehr die Rundbriefe stundenlang kopieren und kein Lehrer die Abschnitte für den Erhalt einsammeln muss. Während des Unterrichts steht die Technik sofort zur Verfügung, Medienwägen, die von Zimmer zu Zimmer gefahren werden, braucht es nicht mehr. "Der Unterricht ist viel entspannter, wenn der Mathelehrer nicht erst eine Viertelstunde lang Geräte aufbauen muss", sagt Baur.

Für die Lehrer ist es anstrengender, wenn es keinen Frontalunterricht gibt

Mirabell, Moritz und Antonie sind da schon zurück in ihrer Klasse. Deutsch steht auf dem Stundenplan, bei Martin Müller. Die Dokumentenkamera projiziert die Aufgabe an die Wand: Die Fünftklässler sollen sich mit Artikeln, Pronomen und Präpositionen beschäftigen. Staubtrockener Grammatik-Stoff der Grundschule, möchte man meinen.

Doch in der Klasse 5 a wird leidenschaftlich verhandelt, diskutiert und auch gelacht. Die Kinder spielen "Stadt, Land, Fluss", reiner Frontalunterricht gehört in die Vergangenheit. "Wenn alle eingebunden sind und nicht mehr nur der Lehrer spricht, ist das für den Pädagogen anstrengender. Es macht aber auch mehr Spaß", sagt Müller.

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