Digitaler Unterricht:Computerausstattung an Schulen: Setzen, sechs!

Lehrer fliehen aus dem Osten

Unterricht mit einem Whiteboard gibt es in München längst nicht in allen Klassenzimmern. Das stellt auch die Lehrer vor Probleme.

(Foto: picture alliance / dpa)

Veraltete IT-Ausstattung, langsame Internetverbindung: Moderner Unterricht mit digitalen Hilfsmitteln ist an vielen Münchner Schulen kaum möglich.

Von Melanie Staudinger

Die Schüler der 7 a haben Glück. An der Front ihres Klassenzimmers im Oskar-von-Miller-Gymnasium thront ein interaktives Whiteboard, das den Unterricht revolutionieren soll. Detaillierte Bilder erklären, wie man mit Lineal und Zirkel symmetrische Figuren konstruiert. Lehrfilme vermitteln Wissen auf unterhaltsame Weise. Und die Hausaufgaben korrigiert der Lehrer vorne auf einem Arbeitsblatt in Echtzeit mit - eine Dokumentenkamera übertragt alles auf die Wand. So sieht moderner Unterricht aus.

Der Alltag an Münchens Schulen ist aber längst nicht so multimedial wie in der 7 a. Er zeigt sich eine Tür weiter, in der 10 c. Hier steht ein Medienwagen, den die meisten Mit-Dreißiger noch aus ihrer eigenen Schulzeit kennen dürften. Der Beamer befindet sich viel zu weit unten, so dass es mehrere dicke Atlanten braucht, damit zumindest ein Teil der Schüler freie Sicht hat auf das, was an der Wand neben der grünen Tafel steht.

Bei jeder Unterrichtseinheit muss das Equipment neu aufgebaut werden. Beamer in Position bringen, Laptop hochfahren und anschließen - das verschwendet nicht nur unnötig Zeit. Ständig sind die Geräte defekt. "Mit diesen mobilen Lösungen haben wir eigentlich mehr Ärger als Nutzen", sagt Wilfried Trinkl. Welche Klasse sich damit begnügen muss und welche eines der sechs Whiteboards bekommt, bestimmt sich nach dem Klasslehrer. Computeraffine Lehrer erhalten die neue Ausstattung.

Der Diplom-Physiker Trinkl ist einer dieser Lehrer am Schwabinger Oskar-von-Miller-Gymnasium und dort als Systembetreuer zuständig für die IT in den Klassenzimmern, im Lehrerzimmer und im Sekretariat. Was nach einer kleinen Zusatzaufgabe klingt, ist oft ein sehr mühsamer Job. In diesem Sommer hat das Bildungsreferat die Misere an Münchens Schulen offengelegt: Die digitale Ausstattung ist veraltet.

Langsames Internet und fehlende Computer erschweren eine moderne Unterrichtsgestaltung, machen sie manchmal gar unmöglich. "Wenn sich 30 Schüler auf einmal anmelden, passiert an den Rechnern 15 Minuten erst einmal gar nichts", berichtet Trinkl. Danach bereite schon eine einfache Suchmaschinen-Anfrage Probleme. Gängige Lernplattformen könnten kaum genutzt werden.

Derzeit ist nur etwa ein Viertel aller Münchner Schulstandorte auf einem aktuellen technischen Stand. Grund-, Mittel- und Förderschulen stehen teilweise auf dem Niveau der Neunzigerjahre, manche Gymnasien, Realschulen und Berufsschulen können immerhin auf eine Internetverbindung von bis zu zehn Megabit pro Sekunde zurückgreifen. Wenn es nach dem Stadtrat geht, soll das Elend endlich ein Ende haben. Mit einer groß angelegten Breitbandinitiative soll die IT an den Bildungseinrichtungen ertüchtigt werden. Dafür hat der Stadtrat im Juli fast 52 Millionen Euro bis 2022 freigegeben.

Bürokratie macht die Digitalisierung noch langsamer

Langsame Internetverbindungen sind allerdings nicht das einzige Problem. Die Schulen hätten auch mit der Bürokratie zu kämpfen, berichtet Trinkl. Als Beispiel führt er den Drucker der Schulsekretärin an. Dieser ging kaputt. "Ich hatte noch ein Ersatzgerät übrig", sagt Trinkl. Installieren aber durfte er es nicht. Im Bildungsreferat sei ihm gesagt worden, dass ein PC der Verwaltungsmitarbeiter (im Beamtenjargon nennt er sich Verwaltungsrechner) und ein Drucker, der für den Unterricht vorgesehen war (der sogenannte pädagogische Drucker), auf unterschiedlichen Kostenstellen liefen. "Eine Kombination ist nicht vorgesehen, also mussten wir einen neuen Drucker kaufen", sagt der Systembetreuer. Er komme sich manchmal vor wie ein Bittsteller.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Albert Wiedemann gemacht. Der Mathematiker kommt aus der Softwarebranche, seit 1990 ist er Seminarlehrer für Informatik und unterrichtet am Erasmus-Grasser-Gymnasium am Westpark. "Das städtische System ist viel zu zentralistisch angelegt", klagt Wiedemann. Den Schulen blieben zu wenige Möglichkeiten, um eigene Ideen einzubringen. Sie dürften nur Programme verwenden, die die Stadt zentral zur Verfügung stelle.

Ausnahmen seien nicht vorgesehen. "Wenn ich am Anfang des Schuljahres feststelle, dass ich für den Wahlunterricht ein Bildbearbeitungsprogramm brauche, kann ich das zwar offiziell beantragen", sagt Wiedemann. Es dauere dann aber bis zu einem halben Jahr, bis das Programm auch installiert sei - zu lange für den Wahlunterricht. "Immerhin haben wir seit letztem Schuljahr Windows 7", sagt Wiedemann. Das Betriebssystem stammt aus dem Jahr 2009.

Wiedemann kann viele solcher Absurditäten erzählen. Etwa von den hypermodernen Infobildschirmen, die es heute statt der auf Papier geschriebenen Vertretungspläne gibt. Diese brauchen in großen Schulen bis zu zehn Minuten, bis alle Infos durchgelaufen sind. Oder von Technikern, die unangemeldet mitten in Schulstunden Geräte austauschen. "Auf die Unterrichtssituation nimmt da keiner Rücksicht", sagt Wiedemann.

Die neue Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) hat die bessere Computerausstattung der Schulen ganz oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt. Wenn es nach ihr geht, soll der Ausbau so schnell wie möglich abgeschlossen sein. Da Neubauten und Pavillons bereits Breitbandverbindungen haben, könnte es tatsächlich zügiger vorangehen als gedacht. Nur in Einzelfällen, wenn die örtlichen Gegebenheiten es nicht anders erlauben, sollen Schulen sechs Jahre lang warten müssen, bis sie auf dem aktuellen Stand sind.

Schulen in der Fläche testen das digitale Lernen

Vielleicht beteiligen sich dann auch mehr Münchner Schulen an den digitalen Projekten des Freistaats. Der Modellversuch "Digitale Schule 2020", den die Stiftung Bildungspakt Bayern organisiert, startet im September. Schulen aus Buchloe, Coburg, Ebern, Erlangen, Neunburg vorm Wald, Offenstetten, Ottobrunn und Schöllnach wurden ausgewählt; sie testen digital-gestütztes Lernen in der Schule.

Aus München kam nach Angaben der Stiftung nur eine Bewerbung. Eines der Auswahlkriterien: die aktuelle IT-Ausstattung und hochleistungsfähiges Internet. Städtische Schulen haben sich nicht gemeldet. "Wir haben unser eigenes, neues Konzept der Münchner Medienbildung, das in einer Pilotphase an 14 Kitas und Schulen erprobt wird", sagt Zurek.

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