Vor Gericht:Seltsame Ermittlungsmethoden: Prozess um angeblichen Kunstbetrug eingestellt

  • Ein Münchner Auktionator soll einem langjährigen Kunden expressionistische Bilder zu überhöhten Preisen verkauft haben.
  • Vor Gericht wird schnell klar, dass sich die Anklage wohl nicht halten lässt.
  • Die Ermittlerin gibt zu, das, was sie vorträgt, "im Internet gelesen" oder von Privatdetektiven erfahren zu haben, die zum Teil vom angeblichen Opfer bezahlt wurden.

Von Stephan Handel

Immerhin, als freier, unbescholtener Mann verlässt Patrick H. am Dienstagnachmittag das Gerichtsgebäude, und die Erleichterung darüber ist ihm anzusehen. Was ihn die Freiheit kostet - neben Sorgen und Nerven -, lässt sich recht genau beziffern: 500 000 Euro. So viel Geld muss er zahlen. Doch der Schaden, der tatsächlich entstanden ist, ist sehr viel höher - er ist nicht in Geld zu zählen, sondern in Verlust an Vertrauen in die Ermittlungsbehörden, an deren Verlässlichkeit. Zu verantworten haben das die Behörden selbst.

Patrick H., 42 Jahre alt, war beschäftigt im Münchner Auktionshauses seines Vaters. In dieser Funktion war er angeklagt, einen langjährigen Kunden beim Ankauf von 13 Bildern französischer Expressionisten betrogen zu haben. Insgesamt, so die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, sei dem Opfer, dem ehemaligen Ingolstädter Modefabrikanten Hans Bäumler, ein Schaden von mehr als 4,4 Millionen Euro entstanden. Denn Patrick H. habe von Bäumler trotz des freundschaftlichen Verhältnisses weit überhöhte Preise verlangt. Das war im Jahr 2011.

Wenige Jahre später begann Hans Bäumler, sich betrogen zu fühlen. Er versuchte, sein Gefühl durch einen Schadenersatz-Prozess zu befriedigen, scheiterte jedoch, weil das Münchner Gericht, bei dem die Klage einging, sich für nicht zuständig erklärte. Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht, meinte, es würde lieber die Ergebnisse eines Strafverfahrens abwarten. So kam es überhaupt zu dem Prozess.

Drei Tage wurde verhandelt, schon am ersten Tag wurde klar, dass die Anklage auf recht tönernen Füßen steht. Noch deutlicher wurde dieser Eindruck am Montag, als der Gutachter befragt wurde, der den Wert der verkauften Bilder beurteilen sollte: Die immense Schadenssumme, die der Staatsanwalt berechnet hatte, kam zustande, weil er vom sogenannten Verkehrswert ausgegangen war. Die tatsächlich erzielbaren Preise liegen natürlich deutlich höher, so dass der angeblich angerichtete Schaden deutlich zusammenschmolz.

Das war wohl auch der Grund, warum Philipp Stoll, der Vorsitzende Richter, zu Beginn des dritten Verhandlungstages vorschlug, das Verfahren einzustellen. Der Staatsanwalt wollte darüber nachdenken, während noch eine Zeugin vernommen wurde. Und diese halbe Stunde bot Prozessbeteiligten wie Beobachtern ein Schauspiel der besonderen Art.

Die Ermittlerin hatte "im Internet gelesen"

Die Zeugin ist Hauptkommissarin beim Landeskriminalamt und war mit den Ermittlungen in dem Fall betraut - aber was heißt Ermittlungen: Was sie vortrug, hatte sie nach eigenen Angaben "im Internet gelesen" oder von Privatdetektiven erfahren, die zum Teil vom angeblichen Opfer bezahlt worden waren und schon deshalb kaum als glaubwürdige Quelle betrachtet werden können.

Zusätzlich gab sie an, sie sei gleich beim ersten Durchlesen des angeblichen Sachverhalts an einen anderen - diesmal allerdings tatsächlichen - Kunstbetrug erinnert worden: "die gleiche Masche". Das allein wäre schon ein eklatanter Verstoß gegen das Gebot der unvoreingenommenen Ermittlungsarbeit, was allerdings angesichts der offenkundigen Inkompetenz der Beamtin auch nicht mehr ins Gewicht fiel - Richter Stoll sah sich veranlasst anzumerken, von einer Haupt-Sachbearbeiterin könne man wohl eine andere "innere Haltung" erwarten.

Mittlerweile hatte der Staatsanwalt die Zeit genutzt, um nachzudenken beziehungsweise sich mit seinen Vorgesetzten zu besprechen. Das Ergebnis: Einer Einstellung des Verfahrens stimme er nur zu, wenn Patrick H. bereit sei, eine Million Euro als Geldauflage zu bezahlen - zufällig genau die Summe, die er hinterlegt hatte, um aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Die Empörung auf der Verteidigerbank, sowieso schon nicht niedrig angesichts des bisherigen Verlaufs des Prozesses, wuchs noch einmal um ein gehöriges Stück.

Letztendlich einigte man sich auf die Hälfte, also 500 000 Euro, und die Anmerkung, dass das in gar keinem Fall ein Schuldanerkenntnis sei. Patrick H. verließ das Gericht als freier, unbescholtener Mann - der nun aber weiß, dass auch für teures Geld nicht unbedingt Gerechtigkeit zu bekommen ist.

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