Viertel-Stunde:Einfach perfekt

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Es war einmal: Deutschunterricht für junge Flüchtlinge in Pasing. (Foto: Hermann Bednarz / oh)

Als am Pasinger Marienplatz eine ganze Schule verschwand, blieb eine Tafel zurück. Mit Kreideschrift offenbarte sie den Passanten, dass man in Bayern alles andere, aber kaum den richtigen Imperfekt erlernt

Von Jutta Czeguhn

Mit dem Perfekt drückt man in der deutschen Sprache aus, dass eine Handlung zwar in der Vergangenheit abgeschlossen wurde, aber dennoch einen Gegenwartsbezug hat. In Bayern allerdings ist diese Grammatikregel außer Kraft gesetzt, jeder benutzt das Perfekt hemmungslos, sobald etwas auch nur zwei Minuten her ist. Das Präteritum, das Imperfekt, scheint diesen Leuten irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein. Wenn jemand so daherredet, klingt das recht gestelzt. So einer kann nicht von hier sein.

Sehr konsequent scheint es da, Neubayern gleich praxisnah auf diese Sprachpraxis einzustimmen. Wie das aussehen kann, hat ein Leser aus Pasing für uns dokumentiert ( Foto). Oder sollte man nun besser schreiben, dokumentierte ein Leser...? "Ali trinkt eine Cola, Ali hat eine Cola getrunken. Ali hat Reis gegessen. Ali geht in die Schule. Ali ist in die Schule gegangen." Der letzte Satz ist denkbar wahr, eigentlich schon prophetisch, denn die Tafel, auf der er mit Kreide geschrieben wurde, existiert mittlerweile ebenso wenig wie die Schule, in der dieser Sprachkurs stattfand.

Um diese Geschichte zu erzählen, muss man einen kurzen Ausflug ins Plusquamperfekt wagen: Nachdem die alte Wirtschaftsschule an der Pasinger Institutstraße nach Sendling umgezogen war, konnten im Gebäude vorübergehend minderjährige unbegleitete Flüchtlinge untergebracht werden. Die lernten dann in ihrem Deutschunterricht, dass "Ali in die Schule gegangen ist". Korrekterweise hätte ihr Lehrer eine der verwirrendsten Zeitformen überhaupt an die Tafel schreiben müssen, das Futur II: "Ali wird in die Schule gegangen sein." Denn nach nur wenigen Monaten mussten die jungen Männer aus der alten Wirtschaftsschule ausziehen und kamen in die Bayernkaserne.

Das Gelände, auf dem die Wirtschaftsschule stand, ist nun eine planierte Fläche, die mit einem Geschäftsgebäude samt Hotel bebaut werden soll. Die Zukunft, Futur I also. Interessant wäre es zu erfahren, was aus Ali, respektive den Grammatikschülern geworden ist. Oder heißt es: wurde?

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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