Versuchter Totschlag:Ein Baby - entsorgt in der Toilette

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In dieser Toiletten-Anlage am Münchner Flughafen brachte die Frau im Juli 2015 das Mädchen zur Welt und ließ es zurück. (Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Wegen versuchten Totschlags an ihrem Neugeborenen steht eine 24-Jährige aus Heidenheim in Baden-Württemberg. Sie soll versucht haben, das Baby mit der Nabelschnur zu strangulieren und es anschließend in die Toilette gelegt haben.
  • Die Staatsanwaltschaft Ellwangen teilte nun mit, dass es Anhaltspunkte für zwei weitere Schwangerschaften in der Vergangenheit gebe.

Von Peter Becker, München/Landshut

Ein scheinbar lebloser kleiner Körper liegt in einer Kloschüssel, halb verdeckt von Papier. Ein Polizist versucht, das Baby zu retten. Er bemerkt die doppelt um den Hals geschlungene Nabelschnur, die den Atem abschnürt. Er klemmt zwei Finger dazwischen, das Baby schnappt nach Luft. Noch einmal zieht er kräftig an der Nabelschnur und mit einem Ruck befreit er Kind und Plazenta aus der Kloschüssel.

Zehn Monate später geht es dem kleinen Mädchen, das der Polizist aus der Toilette rettete, gut. Es ist gesund und lebt bei Pflegeeltern. Seine leibliche Mutter dagegen muss sich seit Dienstag vor dem Landshuter Landgericht verantworten: Sie hatte im Juli 2015 auf einer Toilette am Münchner Flughafen ihre Tochter zur Welt gebracht und dort zurückgelassen. In letzter Sekunde konnte sie der Polizist retten, der nun als Zeuge aussagen musste.

Die Mutter, eine Erzieherin, angeklagt wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung, hört sich die Aussage des Polizisten an und wischt sich verstohlen die Augen. So gefühlskalt wie sie ein weiterer Zeuge geschildert hat, ist sie offenbar nicht. Eigentlich hätte sie aussagen wollen, "um den Lügen ein Ende zu bereiten". Das hat sie in einem an diesem Montag beschlagnahmten Brief geschrieben. Doch sie schweigt auf Anraten ihres Verteidigers Ahmed Adam. Auch ihre als Zeugen geladenen Eltern machen keine Angaben.

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Ein Foto hatte die Ermittler der Erdinger Kriminalpolizei auf die Spur der 24-Jährigen gebracht. Es entstand am Flughafen bei der Übergabe einer Mau-Katze aus Dubai. Die 24-Jährige, die dort als Au-pair-Mädchen gearbeitet hatte, fungierte als Katzenpatin. Der Empfänger der Katze hatte bei der Vermittlerin in Dubai via Facebook nachgefragt, an welchen Merkmalen er die Überbringerin denn erkennen könne. Die Antwort: "Groß, blond und schwanger", rekapituliert der Zeuge bei seiner Befragung vor Gericht. Er selbst und seine Frau erinnern sich deutlich an den Babybauch der jungen Frau, die einen gestressten, barschen Eindruck hinterließ.

Ein Ermittler berichtet als Zeuge von der Fahndung nach der Mutter des Babys aus der Flughafentoilette. Die wurde eine Woche später in Heidenheim ausfindig gemacht. Die junge Frau leugnete, die Mutter zu sein, doch ein DNA-Test sprach gegen sie. Eine gynäkologische Untersuchung bestätigt ebenso, dass eine Schwangerschaft vorgelegen haben muss.

Was die Angeklagte dem mutmaßlichen Vater schrieb

Der Polizist schildert Auszüge aus einem Chat-Protokoll. Demnach hat die 24-Jährige während ihres Aufenthalts in Dubai mit dem mutmaßlichen Vater des Kindes Nachrichten ausgetauscht. Darin berichtete sie, sie habe erst im sechsten Monat bemerkt, dass sie schwanger sei. Da sei es für eine Abtreibung zu spät gewesen. Die junge Frau ließ dem Vater einen Monat vor den Ereignissen in der Flughafentoilette Ultraschallbilder eines Kindes zukommen.

Im Juni behauptete sie, die Tochter sei einen Monat früher als vorgesehen zur Welt gekommen. Dabei habe es Komplikationen gegeben. Die Luftröhre sei gequetscht. In den Chats war von einer komplizierten Zukunft mit ungewissem Ausgang die Rede. Die Angeklagte betrachtete die Schwangerschaft als Last. "Das Leben ist vorbei", schrieb sie dem Vater. Sie überlege, ob sie das Kind nicht in Dubai zur Adoption freigeben solle.

In Heidenheim meldeten sich später eine Kindergartenfreundin und ein Lehrer an der Erzieherinnenschule zu Wort. Diese wollen schon früher Schwangerschaften bei der Beschuldigten wahrgenommen haben. Ob es diese tatsächlich gab, ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft in Ellwangen. Verteidiger Adam sagte, er habe sich in diese Aktenlage nicht einarbeiten können. Deshalb habe er seiner Mandantin Schweigen verordnet. Der Prozess wird fortgesetzt - könnte aber schneller als erwartet gehen: Ein Geständnis der Frau scheint nicht ausgeschlossen zu sein.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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