Urteil:"Man hat den Eindruck, dass da was vertuscht werden sollte"

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  • Ein Altenpfleger hat in einem Pflegeheim in Giesing einem Bewohner mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
  • Nach zunächst widersprüchlichen Aussagen gestand der Mann vor Gericht.
  • Die Ehefrau des Opfers hatte größte Schwierigkeiten, die Tat vor Gericht zu bringen.

Von Susi Wimmer

Edith H. ( Name geändert) konnte das nicht auf sich sitzen lassen: "Ich werde das zur Anzeige bringen, Sie schlong mir mein' Mo' nimma", fauchte die 88-Jährige einen Altenpflege-Fachhelfer an - und sorgte im Endeffekt dafür, dass der 30-Jährige vor dem Amtsgericht landete. Nach anfänglichem Lügen gestand der Azubi, den 92 Jahre alten Heimbewohner mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben, weil der beim Duschen nicht kooperierte, und ihn zur Strafe eiskalt abgebraust zu haben. Dafür wurde er zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt, und er darf zweieinhalb Jahre lang nicht im Altenpflegebereich tätig sein.

Der Prozess offenbarte einmal mehr, dass die Pflege ein sensibler und auch problembehafteter Bereich ist. Der Angeklagte Martin L. hatte nicht nur im November 2016 in dem Pflegeheim in Giesing einen Bewohner geschlagen, sondern einen Monat später dort auch noch eine Frau mit der Faust ins Gesicht geboxt. Da diese jedoch dement ist, wurde das Verfahren nicht weiter verfolgt.

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Und auch Edith H. hatte ihre Mühe, für Gerechtigkeit zu sorgen: Die Heimleitung habe ihr nicht geholfen, erzählt sie, und als sie zur Polizei ging und erklärte, sie habe Angst, den Schläger anzuzeigen, weil der ja immer noch in dem Heim arbeite, wo ihr Mann sei, da habe dieser geantwortet: "Ja dann gehn's wieder heim und überlegen Sie es sich noch ein paar Tage." Sie habe mit dem Pflege-Experten Claus Fussek gesprochen - und schließlich landete der Fall doch bei der Polizei. Der Angeklagte, damals noch Auszubildender, sagte, er sei überfordert gewesen.

Richterin Sonja Birkhofer-Hoffmann hört sich die Aussage von Martin L. an, dass an jenem 2. November 2016 Kurt H. (Name geändert) ihm gegenüber "abwehrend" gewesen sei, als er ihn morgens in einem speziellen Rollstuhl in die Dusche schob. In der Dusche sei nichts vorgefallen, er habe den Mann ins Bett gehoben und sei aus dem Zimmer gelaufen, weil es "zu gefährlich geworden" sei.

Wieso gefährlich, fragt die Richterin. "Meine Sorge war, dass er aus dem Bett fällt", kommt die Antwort. "Und dann lassen Sie ihn allein und klingeln nicht nach einem Kollegen?" Der Angeklagte verheddert sich in Widersprüchen, versichert, dass er "keine alten und wehrlosen Leute" schlage, und irgendwann sagt er: "Da sag ich nix."

Erinnerungslücken bei den Verantwortlichen

Während die 88 Jahre alte Ehefrau des Opfers sich sehr wohl an jenen Tag erinnert, wie sie ihren weinenden Mann im Altenheim angetroffen hat, mit einer Verletzung am Mund und zwei blau umrandeten Augen, gestalten sich Erinnerungsvermögen und Wahrheitsfindung bei der Heimleitung und dem regionalen Qualitätsbeauftragten schwieriger. "Aus den Verletzungen", so Heimleiterin Jasmin S., "war nicht eindeutig ersichtlich, dass sie von Schlägen stammen."

Der Pfleger habe bekundet, den Mann nicht geschlagen zu haben. "Da steht Aussage gegen Aussage." Richterin Sonja Birkhofer-Hoffmann wird im Ton schärfer: "Da hat ein Bewohner zwei blaue Augen, der Pfleger sagt, er sei es nicht gewesen, und Sie sehen von einer Anzeige ab. Da krieg ich so einen Hals!"

Auch Staatsanwalt Wolfgang Messerer klingt empört: "Man hat den Eindruck, dass da was vertuscht werden sollte." Zuvor hatte der Altenheim-Qualitätsbeauftragte John-Michael R. ausgesagt, dabei erhebliche Erinnerungslücken geltend gemacht und dass er sich das mangelnde und nachträglich gefälscht wirkende Pflegeprotokoll des Opfers nicht erklären könne. Man habe Martin L. von der Station abgezogen, "um ihm den Rücken zu stärken und zu seinem eigenen Schutz".

Nachdem Gutachter Juri Adamec die Verletzungen des 92-Jährigen eindeutig Schlägen zuordnet, gesteht der Angeklagte nach einem Rechtsgespräch. In dem Giesinger Heim hatte er seit Dezember 2016 nicht mehr gearbeitet, allerdings war er über eine Zeitarbeitsfirma bis dato auch weiterhin in der Altenpflege tätig.

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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