Untermenzing:Gericht bremst die Stadt aus

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Nicht auszuhalten: Der Verkehrslärm auf der Allacher Straße ist zu groß. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Anwohner der Allacher Straße setzen nach jahrelangem Streit Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen durch

Von Ellen Draxel, Untermenzing

Vor Lärm geschützt zu werden, ist ein Grundrecht - und eine Stadt hat die Pflicht, alles zu tun, dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit zu gewährleisten. Tut sie das nicht oder hat versäumt, alle Ermessensspielräume auszuschöpfen, ist sie verpflichtet, nachzubessern. So wie jetzt im Falle der Allacher Straße. Das hat das Bayerische Verwaltungsgericht entschieden - ein Urteil, das Präzedenzcharakter haben dürfte.

Rückblick, Januar 2016. Im Gerichtssaal sitzen sich Anwohner der Allacher Straße und Vertreter der Stadt München gegenüber. Fünf Jahre lang haben die Parteien über den Ausbau der Allacher Straße zwischen Eduard-Schwartz- und Ernst-von-Beling-Straße - die sogenannte erstmalige Herstellung - diskutiert. 78 Anträge wurden gestellt, selbst eine Mediation führte zu keinem Ergebnis. Nun treffen sie sich vor dem Kadi wieder. Die Stadt, kritisieren die Kläger als Mitglieder der Interessengemeinschaft Allacher Straße, wolle die Straße ohne Temporeduzierung ausbauen. Dabei seien die Lärmgrenzwerte in einigen Bereichen längst überschritten.

"Wir sind ein reines Wohngebiet, trotzdem fahren bei uns bis zu 9000 Autos am Tag vorbei", argumentiert Klägerin Erna Schmid. Bereits im Jahr 2007 hätten die Lärmwerte in den Spitzenstunden mehr als 64 Dezibel erreicht: "Seitdem hat der Verkehr massiv zugenommen." Die Allacher Straße werde von vielen Autofahrern als Schleichweg genutzt, um den sechs Ampeln und häufig angesetzten Geschwindigkeitskontrollen auf der parallel verlaufenden Von-Kahr-Straße zu entgehen. Und dieser Durchgangsverkehr könne sich noch verschlimmern, wenn erst das Quartierszentrum am Oertelplatz und das Diamaltgelände fertiggebaut seien. Die Anlieger fordern deshalb Elemente der Entschleunigung für den künftigen Ausbau der Straße. Ob in Form eines versetzten Straßenverlaufes, eines Tempolimits oder anderer Lösungen, überlassen sie der Stadt.

Bislang allerdings sah die Verwaltung keine Handlungsspielräume für eine Verkehrsberuhigung. "Das Verkehrsaufkommen ist zu hoch für eine Tempo-30-Zone", hatte Peter Geck vom Kreisverwaltungsreferat noch im Januar im Sitzungssaal erklärt. Auch eine lokal begrenzte Geschwindigkeitsreduzierung schloss er aus, da keine Gefährdung vorliege, die erheblich über das in einer Großstadt übliche Maß hinausgehe. "Wir halten die Verkehrssicherheit für wichtiger als die Lärmüberschreitung", lautete sein Resümee - zumal die Lärmbelastung laut den Werten der Stadt zumutbar sei.

Genau an diesem Punkt aber ist das Gericht dezidiert anderer Ansicht. "Die Grenze der Zumutbarkeit ergibt sich nicht aus einem bestimmten Schallpegel oder Abgaswert", so die Juristen um Richter Dietmar Wolff. Abzustellen sei vielmehr auf die "Schutzbedürftigkeit der betroffenen Anlieger". Zwar könne es durchaus zutreffen, dass sich der strittige Abschnitt der Allacher Straße von Verkehrs- und Lärmbelastung nicht wesentlich von anderen vergleichbaren Straßenzügen im Stadtgebiet von München unterscheide. "Allein diese Tatsache rechtfertigt aber nicht jegliche Untätigkeit, da Lärmschutz der Anlieger dann regelmäßig ins Leere ginge und die Stadt ihrer Pflicht der grundrechtlichen Gewährleistung des Gesundheitsschutzes nicht nachkäme", heißt es im Urteil des Gerichts.

Die Daten, die die Verwaltung bisher vorgelegt hat, waren unvollständig und teils widersprüchlich. Nun ist die Kommune gehalten, "die aktuelle tatsächliche Lärmsituation zu verifizieren". Je höher die Überschreitung der Orientierungswerte, "umso gewichtiger müssen die Aspekte sein, die die Untätigkeit rechtfertigen". Und umso mehr Verbesserungen werden bei der Planung erforderlich sein. Nach Ansicht des Gerichts wären etwa Geschwindigkeitsreduzierungen auf Tempo 30 in bestimmten Teilabschnitten der Allacher Straße möglich, kombiniert mit Vorgaben, die den Durchgangsverkehr verhindern. Auch bauliche Maßnahmen wie Fahrbahnversetzungen kämen in Betracht.

Die Bewohner der Allacher Straße fühlen sich nun bestätigt. "Das Urteil", sagt Erna Schmid, "deckt sich voll inhaltlich mit unserem Anliegen und der Klageeinreichung".

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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