Untergiesing:Die Wüste lebt

Lesezeit: 3 min

Farbe ins Grau: Der Griff zur Malkreide ist der jüngste Versuch, 1500 Quadratmeter Asphalt am Kolumbusplatz attraktiver zu gestalten. (Foto: Florian Peljak)

Graffiti, Skulpturen und Kletterturm sind erst der Anfang, der Kolumbusplatz soll dauerhaft attraktiver werden. Ideen für seine Belebung werden in einem Workshop gesammelt und auf einem großen Fest vorgestellt

Von Julian Raff, Untergiesing

Im Dreiländereck zwischen Au, Unter- und Obergiesing entfaltet keiner der drei Stadtteile besonderen Charme. "Aufenthaltsqualität" bietet der Kolumbusplatz schon deshalb kaum, weil er sich als unauffällige Wohnstraße hinter dem Verkehrsknoten beim namensgebenden U-Bahnhalt versteckt. Vorne dagegen, am Fuß des Giesinger Bergs, hat es meist eilig, wer zum Beispiel vom geparkten Auto zur U-Bahn will. Den einzigen Anlass zum Verweilen bot bis Frühjahr 2013 eine Bushaltestelle an der Hebenstreitstraße, ehe sie auf die gegenüberliegende Straßenseite verlegt wurde. Seither erstrecken sich rund um den Bus-Bahnsteig immerhin 1500 Quadratmeter ungenutzter Asphalt, eine Mini-Fußgängerzone, seit die Hebenstreitstraße als Schleichweg dichtgemacht worden ist, wie vom Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching (BA) gefordert.

Dass die Bürgerinitiative "Mehr Platz zum Leben" zu dieser Zeit bereits ein Auge auf die Brache geworfen hatte, ist kein Zufall. Melanie Kieweg, treibende Kraft der Initiative und (parteilose) Zweite Vorsitzende des BA, hatte sich lange für die Verkehrsberuhigung eingesetzt, auch wenn die SPD-Fraktion übermäßige Belastung der Nachbarstraßen befürchtete. Allerdings gestehen auch politische Kritiker Kieweg und ihren Mitstreitern Spürsinn für vernachlässigte Plätze mit Potenzial zu. Immerhin hatte der Verein seit Ende der 1990er-Jahre zäh, fantasievoll und letztlich erfolgreich für die Belebung des 500 Meter entfernten Hans-Mielich-Platzes gekämpft und bespielt diesen seither regelmäßig mit Musik, Theater, Kunst und Festen.

Am Kolumbusplatz könnten sich freilich auch erfahrene Aktivisten etwas schwerer tun, ein echtes Stadtteilherz zum Schlagen zu bringen: Die Haltestelle duckt sich unter eine hoch frequentierte Bahnbrücke. Am Giesinger Berg brummt, stinkt und dieselt es fast rund um die Uhr. Schwierige Rahmenbedingungen also, trotzdem mangelt es nicht an Ideen. Die gehen allerdings weit auseinander oder konkurrieren sogar, wie ein erster Bürgerworkshop im vergangenen Oktober zeigte: Sportmöglichkeiten für Jugendliche favorisierten die einen. Die Bahnbrücke biete schließlich Wetterschutz und der Platz sei so laut, dass Skatepark, Slacklines, Boulderwände oder Basketballplatz wirklich niemanden stören dürften. TU-Studenten steuerten das Konzept eines organisch wirkenden Holzrahmens für Ballfangnetze bei. Viel zu dicke Luft, warnten die anderen. Die Feinstaubwerte ließen dort keinen gesunden Sport zu, stattdessen sollte der Platz horizontal und vertikal intensiv begrünt werden, um wenigstens ein bisschen Dreck aus der Luft zu filtern. Straßengastronomie und Kunst hätten dort auch eine Chance verdient, so die dritte Forderung.

Weiterspinnen wollen die Untergiesinger ihre Ideen auf einem zweiten Treffen im Herbst. Davor soll ein großes Fest am Sonntag, 8. Juli, schon mal alle drei Nutzungsideen auf dem Platz versammeln, den Schwerpunkt bildet eindeutig die Kunst: Nach guten Erfahrungen mit der Gestaltung der Lärmschutzwände am Hans-Mielich-Platz hatte die Bahn zum Jahreswechsel überraschend schnell ihr Plazet gegeben, so dass die Graffitikünstler der Dachauer Gruppe "Outer Circle" Ende April damit beginnen konnten, die nördliche Wand an der Plattnerstraße mit einem dynamischen Zugmotiv zu gestalten. Technisch kein leichtes Unterfangen, da die Wand auf einer steilen Böschung aufsetzt. Das Ergebnis verbirgt sich derzeit hinter üppigem Grün, wird dafür aber in der kahlen Jahreszeit umso mehr Farbkraft ins Viertel bringen. Auf der anderen Seite, zur Hebenstreitstraße hin, geht demnächst das Kollektiv "Graphism" ans Werk. Die Innenseiten der Brückenpfeiler gestaltet demnächst WON ABC, bekannt für knallig-psychedelische, politisch anspielungsreiche Wimmelbilder.

Eine künstlerische Brücke zwischen Unter- und Obergiesing schlägt an der zum Giesinger Berg gewandten Außenseite des östlichen Pfeilers Juls Zeser, dessen Holzinstallation "Ois Giasing" ebenfalls am 8. Juli enthüllt wird. Auf dem angrenzenden Fahrbahnteiler steht bereits eine Holzwand, die zur offenen Kreativmeile für jedermann wird. Die Zwischenräume werden durch neuartige Moos-Kuben einer Münchner Start-up-Firma begrünt, die als leistungsfähige Feinstaub-Fänger wirken sollen. Einen ersten sportlichen Akzent setzt ein 7,5 Meter hoher mobiler Kletterturm.

Kunstaktionen und Fest erhalten zwar 7000 Euro aus dem Förderprogramm "Bürger gestalten ihre Stadt", allerdings wollen Kieweg und die Bürgerinitiative auch Spenden und Veranstaltungserlöse für die spätere, dauerhafte Umgestaltung des Platzes auftreiben. Ein umfangreiches Festprogramm steht. Entdecken lässt sich am Kolumbusplatz schon jetzt einiges: Die originelle Metallskulptur "Der Fisch Herr Vogel" ist vor einigen Wochen vom Hans-Mielich-Platz hierher gezogen. Bei einer Aktion am Freitag haben zudem Künstler jeden Alters die Asphaltwüste mit Kreide verschönert - zumindest bis zum nächsten Starkregen.

© SZ vom 28.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: