Umweltschutz:Wie das Ende der Einkaufstüten die Fußgängerzone verändern wird

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Bisher sind Plastiktüten in der Kaufinger Straße ein beliebtes Accessoire. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Die Deutschen verbrauchen im Schnitt 76 Plastiktüten pro Kopf und Jahr.
  • Die EU will diese Zahl bis 2025 deutlich senken.
  • Immer mehr Geschäfte verlangen deshalb Geld für Plastiktaschen, bald auch H&M und C&A.

Von Laura Kaufmann

An der Supermarktkasse ist es schon eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn der Kampf gegen Müll nach Ansicht von Umweltschützern in Supermärkten überhaupt erst richtig begonnen werden müsste: Die in Plastik verpackten Bio-Äpfel verschwinden dort brav in der mitgebrachten Stofftasche.

Neue Jeans, Shirts und Röcke hingegen stopfen Verkäufer meist mit der gleichen Selbstverständlichkeit in eine Plastiktüte. Ohne dass überhaupt gefragt wird, ob es diese Tüte braucht. Ohne dass es dem shoppingfreudigen Münchner in den Sinn gekommen wäre, einen Beutel für seine Einkäufe mitzubringen. Dabei ist das Problem dasselbe wie im Supermarkt: Eine Plastiktüte ist nun einmal eine Belastung für die Umwelt.

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Laut Umweltbundesamt werden in Deutschland pro Kopf und Jahr 76 Plastiktüten verbraucht, bundesweit sind das 6,1 Milliarden Tüten im Jahr. Zu viel, weshalb nach einer EU-Verordnung dieser Verbrauch bis 2025 auf 40 Tüten pro Kopf sinken soll. Um das Ziel zu erreichen, soll sich der Handel in Deutschland freiwillig selbst verpflichten. Eine entsprechende Vorlage liegt im Umweltministerium und wartet auf Unterzeichnung.

Die etwa 160 Unternehmen, die darauf gelistet sind, geben ihre Plastiktüten dann nicht mehr kostenfrei ab. Einige haben sogar jetzt schon Initiative ergriffen: Bei Tchibo kosten die Plastiktüten seit Januar Geld, Karstadt verlangt seit März je nach Größe der Tüte 5, 10 oder 30 Cent, ab Mai bietet das Unternehmen zusätzlich Mehrwegtragetaschen für 1,50 Euro an. Auch Bekleidungsketten wie H&M und C&A werden demnächst Geld verlangen für ihre Tüten.

Rückgang um knapp 80 Prozent

Und diese Centbeträge machen einen Unterschied: "Seit wir Plastiktüten kostenpflichtig abgeben, verzeichnen wir einen Rückgang der Tütenausgabe um knapp 80 Prozent", vermeldet Tschibos Unternehmenssprecherin Sandra Coy. Die Reaktionen der Kunden seien überwiegend positiv.

Noch sind Stoffbeutel in der Kaufingerstraße in etwa so exotisch wie ein Papagei auf der Schulter, aber mit der Selbstverpflichtung des Handels könnte sich das ändern. Das Bild der Münchner Innenstadt würde sich dann grundsätzlich ändern. Blickt man dieser Tage die Shoppingmeile hinunter, läuft am Marienplatz eine Clique von Teeniemädchen die Treppen zur U-Bahn hinunter, mit prall gefüllten New-Yorker-Tüten in der Hand. New-Yorker-Tüten scheinen überhaupt das Erkennungszeichen junger Mädchen zu sein, zumindest wirkt das so bei einem Bummel durch die Kaufingerstraße.

Viele Passanten tragen hier nicht nur eine, sondern gleich drei Tüten in der Hand, nach Größe sortiert. Nach einer Weile vermag man Kunst darin zu erkennen; das knallige Sport-Scheck-Orange über schlammfarbenem Orsay, darüber die kleine Douglastüte als türkisfarbener Farbtupfer. H&M und C&A mit ihren weißgemusterten Logo-Tüten ergeben ästhetisch betrachtet eine äußerst langweilige Kombination, und am liebsten scheinen die Leute Waren von Galeria Kaufhof spazieren zu tragen.

Vornehm olivgrüne Kustermann-Tüten baumeln dagegen meist solo vom Handgelenk und gehören erwartungsgemäß nicht ins Repertoire von Schülerinnen, sondern eher in das von Menschen mit teuer aussehenden Mänteln. Zeig' mir deine Tüte, und ich sag' dir, wer du bist.

Fortführen lässt sich das Spiel in der Maximilianstraße, wo die Tüten anders aussehen als in der Kaufingerstraße. Lacktüten, die sich an Kordeln tragen lassen. Die man jederzeit als Geschenktüte wiederverwerten könnte, wäre kein Logo darauf. Verstärkte Papiertüten. Umweltbewusster ist das halt aber auch nicht, nur eleganter. Im Tal wenigstens läuft eine junge Frau mit einer "Pick&Weigh"-Tüte vorbei, passend zum Image des Secondhand-Ladens aus ökobraunem Papier.

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Aber auch bei der Herstellung von Papiertüten kommt so viel Chemie zum Einsatz, dass sie nicht die bessere Alternative sind. Ökologisch abbaubare Plastiktüten haben ebenfalls eine schlechte Ökobilanz. Und die umweltschonende Einwegtüte gibt es nicht. Zudem wird jede zehnte Plastiktüte nicht einmal recycelt. Bis eine unbedacht entgegengenommene Tüte verrottet, gehen bis zu 500 Jahre ins Land. Die Ururururenkel, die auf das letzte Fitzelchen dieser Plastiktüte stoßen, werden sich wahrscheinlich wundern, mit was ihre Vorfahren damals so beim Shoppen hantiert haben.

Wirklich umweltfreundlich sind nur Mehrwegtaschen

Die Deutsche Umwelthilfe rät zu Mehrwegtaschen, zu solchen aus Recyclingmaterial optimalerweise. Auch Jutebeutel und Stoffbeutel sind eine umweltfreundliche Wahl, bei mehrmaliger Verwendung, aber das versteht sich von selbst. Vielleicht laufen die Passanten der Fußgängerzone ja alsbald tatsächlich anders behängt durch die Stadt als mit ordinärem sportscheckorange und kaufhofgrün. Stattdessen mit Stofftaschen und Rucksäcken, bei hohem Shoppingbedarf mit einer der zusammengefalteten Megataschen aus recyceltem Plastik, die zur Not auch als Zelt dienen könnten.

Ein Preis von 5 bis 30 Cent wird niemanden davon abhalten, eine Tüte mitzunehmen, falls er eine braucht. Schon gar nicht in München. Aber er wird an der Selbstverständlichkeit kratzen, mit der meist alle Einkäufe außer Nahrungsmittel in Einwegtüten verschwinden. Und das ist ein guter Anfang, finden Umweltschützer wie auch Händler.

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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