Trudering:Der Herr der Zahlen

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Nicht zu bremsen: Otto Martinek auf dem Weg ins Kulturzentrum. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Überweisungen, Quartalspläne oder spätabends die Abrechnung des Garderobengeldes - das ist die Welt des Otto Martinek. Nun feiert der ehrenamtliche Buchhalter des Kulturzentrums Trudering seinen 90. Geburtstag

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

Otto Martinek stellt eines schon mal fest: "Ich rede nicht gern, nicht über mich und nicht über sonst etwas, ich bin nicht gerne in der Öffentlichkeit, und überhaupt ist ja schon alles gesagt ." Teppichboden dunkelgrau, Wände hellgrau, zwei Schreibtische, zwei Computer - das ist die Welt, in der Martinek sich wohler fühlt als im Rampenlicht. Es ist die Welt der Zahlen. Martinek ist stellvertretender Schatzmeister des Trägervereins Truderinger Kulturzentrum und kommt fast täglich, um Buchungen und Überweisungen zu tätigen, Quartalspläne und Abrechnungen zu machen, Personalordner zu pflegen und die Mitgliederkartei zu verwalten. Wohlgemerkt ehrenamtlich. Seit mehr als 45 Jahren ist er im kulturellen Vereinsleben an verantwortlichen Stellen aktiv. Das ist sein halbes Leben, denn der bescheidene Mann feierte seinen 90. Geburtstag.

Kuchen, Kerzen, Blumen, Glückwünsche, Ehrungen - das alles bleibt natürlich nicht aus zu so einem Anlass. Und irgendwie hat es ihn dann doch gefreut, seine wachen blauen Augen blinzeln gerührt, er lächelt. "Wenn es mehr von Ihrer Sorte gäbe, wäre die Welt eine bessere", sagt Ingo Mittermaier, der Vereinsvorsitzende, und Schatzmeisterin Gertrud Ziegltrum nimmt ihn herzlich in den Arm. Allein fürs Kulturzentrum habe er seit seinem Eintritt in den Bürgerhausverein vor 20 Jahren rund 17 000 Stunden an ehrenamtlicher Arbeit geleistet. Diese Zahl haben natürlich andere ausgerechnet - Otto Martinek selbst hätte für solche Sperenzchen gar keinen Nerv.

Den Umgang mit dem Computer hat er sich schon vor vielen Jahren als Schatzmeister der "Egerländer Gmoi z' München" - ein Verein zur Pflege und Erhaltung des Egerländer Volksgutes - selbst angeeignet, ebenso wie beim Eintritt in sein Berufsleben als Buchhalter eines Taschenbuchherstellers die Bilanzrechnung. Er ist überzeugt, dass nur sitzt, was man selbst ergründet hat. Jetzt ist er dankbar für das elektronische Hilfsmittel, denn das linke Auge hat schon stark nachgelassen und auf dem Bildschirm kann er sich die Zahlenwerke nach Belieben vergrößern.

Mit den Egerländern hatte Martineks Vereinsengagement begonnen. Er selbst ist im Sudetenland geboren, doch deren Vereinigung war ihm seinerzeit zu politisch, zu groß. Seine Frau stammte aus dem Egerland, sein Schwiegervater war in diesem Verein aktiv und so rutschte auch Martinek rein. Ganz bereitwillig, denn ihm war früh klar, dass er fürs Alter vorsorgen muss. "Nicht finanziell, aber in Form von Aufgaben", wie er sagt. Diese besondere Art der Vorsorge ist ihm offenbar großartig gelungen. Bei den Egerländern war er nicht nur Buchhalter, sondern organisierte auch große Bälle und Veranstaltungen, die Weihnachtsfeier und die Tombola, half bei den Festwagen für den Oktoberfestzug, war im Landesverband aktiv, erstellte Festschriften. Schon seit 1982 ist er Ehrenmitglied der Egerländer Gmoi München.

Zum Bürgerhausverein kam er unter dem Vorsitzenden Otto Vogginger. "Der hat gesagt, du machst jetzt die Buchhaltung. Dann hab ich es halt gemacht", erinnert sich Martinek. Er war es, der der Stadt die gesammelten 250 000 Euro Eigenanteil für den Bau des Kulturzentrums aushändigen konnte; er war es, der während der Bauzeit, in der der Verein als Bauherr auftrat, aber die Stadt das Geld zuteilte, für jede Summe zur Bank musste und alles akribisch verbuchte.

Auch mit den Gästen des Zentrums kommt der stille Mann in Berührung, denn er sitzt mit seiner Vorstandkollegin Lotte Elenz meist an der Abendkasse. "Aber da muss ich nicht viel sagen", betont er, "meist nur, dass ich keine Karten mehr habe, weil alles ausverkauft ist". Danach geht er in die Vorstellungen, es sei denn, es ist ein Jazzabend. Das mag er nicht so gerne. Und sind alle gegangen, rechnet er noch das Garderobengeld ab. Einer muss es ja machen.

Das alles geht prima, weil er nur wenige Schritte entfernt vom Kulturzentrum wohnt. Und Martinek will weitermachen, warum sollte so ein Geburtstag daran auch etwas ändern? Er mag die Zusammenarbeit im Vorstand, mit Geschäftsführerin Christina Hesse und den Damen im Büro, er liebt die sinnvolle Aufgabe. "Ich bin mit allem zufrieden", sagt Otto Martinek schlicht.

Wie er so lange körperlich fit bleiben konnte, dafür hat er eigentlich kein Rezept: "Ich rauche seit meinem 20. Lebensjahr, ich trinke jeden Tag mein Bier, ich treibe keinen Sport und esse nur wenig Gemüse." Versorgt wird der Witwer mit Vorgekochtem von seiner Tochter oder er geht essen, denn zum Kochen hat er angesichts des regelmäßigen Einsatzes keine Zeit. Nachmittags schaut er fern, kümmert sich um seine Wohnung oder sortiert seine Papiere. Wie er geistig fit bleiben konnte, weiß Martinek allerdings schon: Viel lesen und der stete Umgang mit Zahlen und Tabellen: "Das Hirn ist auch ein Muskel, den muss man laufend trainieren."

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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