Theater:Eine Bühne für das eigene Leben

Lesezeit: 3 min

Der Sinto Alexander Adler, ehemaliges "Ghettokid", arbeitet heute als Kulturmittler und Streitschlichter für Schulen und die Diakonie. (Foto: Denkmal-film)

15 Kinder und Jugendliche aus Sinti- und Roma-Familien präsentieren im Theaterprojekt "Improma - Wir sind hier!" Szenen aus ihrem Alltag. Das Stück hat im Werkraum der Kammerspiele Premiere

Von Barbara Hordych

Seit seinem elften Lebensjahr habe er praktisch auf der Straße gelebt, wo er "ziemlich schnell in ziemlich blöde Sachen" hineingerutscht sei, umschreibt der heute 30-jährige Sinto Alexander Adler seine frühere Lebensrealität. Er sei "gewaltbereit" gewesen, "primitiv mit Leuten umgegangen" und habe "kleinere Diebstähle" verübt. "Ich war auf dem besten Weg ins Grab oder in den Knast", sagt er ganz klar. Doch das ist lange her. Mittlerweile ist aus dem ehemaligen Ghettokid vom Münchner Hasenbergl ein Kulturmittler und Streitschlichter geworden. Der sich im Auftrag von Diakonie und Schulen seit 15 Jahren um Brückenschläge bemüht - zwischen alteingesessenen Sinti und Roma und den neu Zugewanderten aus Bulgarien oder Rumänien, zwischen Deutschen, die ihn abschätzig als "Zigeuner" betrachten und Roma, die ihm als "Vorzeigesinto" misstrauen. "Ich möchte das, was ich an Positivem bekommen habe, weitergeben", sagt Alexander Adler.

So ist er seit vergangenem Sommer als Projektleiter für "Improma: Wir sind hier!" tätig, das am Mittwoch im Beisein von Marianne Sägebrecht in den Kammerspielen Premiere hat und später auch in Dachau und Berlin zu sehen sein wird. In dem Improvisationstheater-Projekt werden Kinder und Jugendliche aus Münchner Sinti- und Roma-Familien zu Protagonisten ihrer eigenen Geschichten, erzählen von ihren Wünschen, Ängsten und Ambitionen und gewähren so einen Einblick in eine Lebensrealität, von der oft nur diffuse Vorstellungen zwischen Zigeunerromantik und Verwahrlosung kursieren. Nicht von ungefähr stimmte in der aktuellen Mitte-Studie von Forschern der Universität Leipzig zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland mehr als die Hälfte der Befragten (55,4 Prozent) der Aussage zu: "Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten." Verletzende Fremdeinschätzungen, denen Kinder begegnen können, indem sie ihre Herkunft verleugnen. Oder indem sie sich selbstbewusst auf die Bühne stellen und wie die zehnjährige Lorena bekennen: "Ich bin stolz darauf, dass ich Sintiza bin."

"Improma" ist ein Brückenschlag auch in Alexander Adlers eigene Vergangenheit, in der die Tanz-, Musik- und Theateraktivitäten vom Verein Ghettokids zum Wendepunkt wurden. Den rief die Sonderschullehrerin Susanne Korbmacher am Förderzentrum im Münchner Norden ins Leben. "Da mag man heute drüber lachen, wenn man Jugendlichen erzählt, was das bewirkt hat. Ein Tanzprojekt und die Warnung: Wenn du eine Anzeige erhältst, bist du draußen, dann darfst du nicht mehr zur Gruppe kommen". Aber für ihn war es "der Start von allem", erzählt Alexander Adler bei einer Probe im Pfarrsaal von Sankt Nikolaus: Erst die Kreativ-Projekte der Ghettokids, dann Christian Wagners gleichnamiger Fernsehfilm, im darauffolgenden Jahr das Kammerspiele-Projekt "Bunnyhill", das den ungeliebten Rand der Stadt - das Hasenbergl - ins Zentrum stellte, schließlich sein Entschluss, Schauspiel zu studieren.

Über die Aktivitäten von Korbmachers Verein entstand damals auch der Dokumentarfilm "Planet Hasenbergl - Lichtblicke in der Münchner Bronx", der 2003 den "civis", den Medienpreis der ARD, erhielt. Gedreht hat ihn der Münchner Filmemacher Claus Strigel, der auch jetzt, zwölf Jahre später, wieder mit von der Partie ist. Zwar obliegt die künstlerische Leitung Andreas Wolf vom Münchner Fastfood-Theater. "Doch ohne Alexander wäre es niemals möglich gewesen, das Vertrauen der Sinti- und Roma-Kinder zu gewinnen", sagt Strigel. Die kämen nicht so einfach und würden sich für ein Theaterprojekt anmelden, auf die müsse man schon gezielt zugehen. "Es gibt bei diesen Familien ein Trauma, das über mehrere Generationen weitergegeben wird", sagt die evangelische Theologin Sabine Böhlau, Initiatorin der Organisation "Kairosis", die sich in München für soziokulturelle Projekte engagiert und auch "Improma" finanziert. Geprägt von jahrhundertelanger Verfolgung "haben sie Angst, dass ihren Kindern etwas zustößt, wollen genau wissen, wer sie abholt und wieder zurückbringt". Womit wieder Alexander Adler in den Fokus rückt. Er holt die jungen Akteure einmal in der Woche in unterschiedlichen Stadtteilen zur Probe ab, sein jüngerer Bruder Benjamin bringt sie nach Hause.

"Die Idee haben wir den eingeladenen Familien bei gemeinsamen Grillabenden vorgetragen", erzählt der Kulturmittler. Bei einem Hüttenwochenende für alle Interessierten auf der Winkelmoosalm zeigte ihnen Andreas Wolf, wie man mit Improvisationstechniken kleine Szenen entstehen lassen und seinen Gefühlen Ausdruck verleihen kann. "Wenn jemand zu uns Zigeuner sagt, dann ist das für uns eine Beleidigung. Es ist das gleiche, wenn man zu den Schwarzen Neger sagt, das ist auch eine Beleidigung für sie", erzählt etwa der 15-jährige Kurt. Auf der Bühne der Kammerspiele werden die Darsteller Erlebnisse aus ihrem Umfeld präsentieren, assistiert von Wolf und zwei Schauspielern. "Das kann eine ins chaotische abgleitende Szene aus der Schule sein, aber auch eine Szene auf dem Jugendamt, wo ein Mädchen erfährt, dass sich der Sachbearbeiter weigert, sie zu ihrer Familie zurückkehren zu lassen", sagt Wolf.

In den vergangenen Monaten haben die Teilnehmer "eine großartige Entwicklung" durchgemacht, hat Claus Strigel beobachtet. Aus einem anfangs "schüchtern gehauchten Kauderwelsch" seien inzwischen "laute und selbstbewusste Sätze" geworden. Ein entsprechend positives Feedback kam auch schon aus den jeweiligen Schulen, sagt Sabine Böhlau. Strigels bewusst provokativ betitelte Dokumentation "Zigeunerstück" wird am 4. Juni bei Sat.1 gesendet. Noch steht der letzte Dreh bei der Premiere in den Kammerspielen aus. Die wird für einige der jungen Akteure übrigens das erste Mal sein, dass sie überhaupt in einem Theater sind. Dafür werden sie es aus einer ganz besonderen Perspektive kennenlernen: von der Bühne aus.

Improma: Wir sind hier! , Mi., 15. u. Do., 16. April, 20 Uhr, Kammerspiele, Werkraum, Hildegarstr. 1, 23 39 66 00

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: