Tag der offenen Tür:Wenn der Igel im Garten hustet

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Auch Igel kommen öfters im Tierheim in Riem unter. (Foto: Susi Wimmer)

Beim Tag der offenen Tür feiert das Münchner Tierheim am Sonntag, 9. Oktober, von 10 bis 17 Uhr sein 60-jähriges Bestehen (Riemer Straße 270).

Von Susi Wimmer

Über den Marienplatz spaziert ein Fuchs, in Schwabing brüten die Enten vom Eisbach auf den Flachdächern der Häuser und zur Brutzeit attackieren riesige schwarze Rabenkrägen sogar die Münchner Bürger: Wildtiere aller Arten streifen und flattern durch die City, sie machen es sich in der Stadt bequem.

Was allerdings ist, wenn die Babybisamratte im Nest verwaist, wenn ein Schwan flügellahm wird oder der Igel im Garten hustet? Dann sammeln die Münchner die Wildtiere ein und bringen sie ins Tierheim an der Riemer Straße. Dort wuseln und fliegen pro Jahr gut 2300 Wildtiere durch die Ställe und Volieren. "Wir haben mit den Tieren alle Hände voll zu tun", sagt Judith Brettmeister vom Tierschutzverein München. Und bislang bleiben die Helfer auf den jährlichen Kosten von etwa 180 000 Euro sitzen.

In dem kleinen Käfig steht ein Blumentopf, darin ein weiches lila Tuch, unter dem Tuch zuckt und fiept es ganz jämmerlich. Judith Brettmeister hebt die Heizdecke an, und darunter kommt ein rosafarbenes zitterndes Taubenküken zum Vorschein, das noch empörter schimpft. Unten am Boden steht eine eckige, nach oben offene Kiste, in der sich flauschige Entenküken aneinander drängen.

Brettmeister erzählt, dass die Enten nicht mehr am Eisbach brüten, sondern sich die Flachdächer der angrenzenden Häuser ausgesucht haben. Das Problem allerdings sei, dass bei den Jungen die Flügel als letztes wachsen. Sie watscheln also aus dem Nest, sehen die Mutter elegant vom Dach aus starten - und stürzen selbst in den Tod.

Viele Enten brüten nicht mehr am Eisbach, sondern in der Stadt. Die Jungen werden dann oft aufgelesen. (Foto: Florian Peljak)

Das mit den Wildtieren ist so eine Sache. Eigentlich sind sie herrenlos. Und sogar wenn ein Autofahrer ein Reh oder ein Kaninchen anfährt und es zum Tierarzt bringt, fällt das unter Wilderei. "Da sind die Gesetze streng", sagt Brettmeister, die selbst einen Jagdschein gemacht hat, um sich weiterzubilden. Rein rechtlich gesehen müsse dann der Jagdpächter geholt werden und das Tier töten. Judith Brettmeister erzählt von drei dehydrierten Fuchsbabys, deren Mutter erschossen worden war und die ins Tierheim gebracht wurden. Erst jüngst schleppten Tierliebhaber ein Rehkitz an, dessen Mutter gerade auf der Autobahn unter die Räder gekommen war. "Sollen wir die Tiere dann umbringen, oder was?", fragt sie.

Die Stadt München hat bislang eine Beteiligung an den Kosten abgelehnt. "Der entstehende Aufwand ist primär der Sorge von Tierfreunden zuzurechnen, die aus oftmals falsch verstandener Tierliebe in die natürliche Entwicklung eingreifen und Wildtiere beim Tierheim vorbeibringen", heißt es in einem Beschluss von 2013. Aktuell haben gemeinsame Gespräche mit diversen Organisationen und Privatleuten stattgefunden, die mit der Verpflegung von aufgefundenen Wildtieren zu tun haben.

Sie sollen einen Plan für den Betrieb einer Wildtier-Auswilderungsstation vorlegen. "Vermutlich wird am Ende das Konzept für eine gemeinsame Anlaufstelle aller Münchner Tierschutzorganisationen stehen - über eine finanzielle Förderung wird dann gesondert entschieden", sagt Kreisverwaltungsreferats-Sprecher Johannes Mayer.

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Allerdings ist der runde Tisch recht bunt zusammengewürfelt: Da ist zum Beispiel ein Vogelexperte aus Olching, der sich auf seinem Privatgrundstück um die Auswilderung der Tiere kümmert. Oder eine Münchnerin, die die Eichhörnchenhilfe gegründet hat. Und dann noch die Reptilienauffangstation, die aus Platzgründen gerade im Tierheim residiert. "Wie soll man da auf ein gemeinsames Konzept kommen", fragt Judith Brettmeister.

Derweil bimmelt das Telefon, Bürger rufen an und berichten von einem Revierschwan am Olympiasee, der ein Jungtier "kaputt hackt". Ein Tierschutz-Inspektor rückt aus und fängt zwei Schwäne vorsichtshalber ein. In einem anderen Käfig hängt ein Specht mit schiefgelegtem Kopf an einem Baumstumpf. Es gab auch schon ein Bennett-Känguru, das sich ein Mann aus Spaß in den Vorgarten gesetzt hatte. Es wurde dann an den Affenpark in Thüringen vermittelt. In einem Raum, der mit weißen Tüchern verhängt ist, damit die Sonne das Innere nicht so aufheizt, ist die Flugschule für Schwalben angesiedelt. An den gespannten Schnüren können die Vögel das Fliegen üben.

Wir können die Tiere, nachdem wir sie groß oder gesund gepflegt haben, nicht einfach rauslassen", sagt Judith Brettmeister. Sie müssten fachmännisch ausgewildert werden. Der Igel am besten an dem Platz, an dem er entnommen wurde. Manchen Vögeln muss weiterhin Futter angeboten werden, bis sie sich an das Leben in der freien Wildbahn gewöhnt haben. Überhaupt müsse der Lebensraum stimmen: die richtigen Brutplätze, die Nahrung und so weiter. Dann kann der Igel wieder zurück in den Garten, der Schwan in den See. Der Fuchs allerdings, der schleicht mal lieber nicht mehr über den Marienplatz.

Mit einem Tag der offenen Tür feiert das Münchner Tierheim am Sonntag, 9. Oktober, von 10 bis 17 Uhr sein 60-jähriges Bestehen (Riemer Straße 270).

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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