Postzusteller in München:"Dieser Wandel ist schon gigantisch"

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Wenn der Postmann zweimal klingelt - viele Schriftsteller und Filmemacher hat dieser Beruf inspiriert. Christian Hufsky kennt immer noch etliche seiner Kunden persönlich. (Foto: Florian Peljak)

Seit 33 Jahren arbeitet Christian Hufsky als Postzusteller - einst war es eine Vernunftentscheidung, jetzt ist es eine Leidenschaft. Doch über die Jahrzehnte hat sich viel geändert.

Von Gerhard Fischer

Ein Montagmorgen im Juli, vor dem Postamt in der Arnulfstraße. Es ist 8.40 Uhr, die schwarz-gelb gekleideten Postboten fahren auf ihren gelben Rädern, an denen große, gelbe Taschen hängen, durch das Tor auf die Straße, man meint fast, sie schwärmten aus. Auf einem riesigen Schild steht: Deutsche Post, Niederlassung Brief, München. Hier sind die Briefzusteller zuhause. Die Paketzusteller sind woanders untergebracht.

Christian Hufsky kommt zu Fuß durchs Tor. Hufsky ist 48 Jahre alt, 33 davon hat er bei der Post gearbeitet, er hat schon mit 15 als Lehrling angefangen. Er führt durch das Postgebäude, und rasch fällt auf, dass der schlanke Mann mit der schwarzen Brille und den Ringen im Ohr alles, was er tut, schnell macht: gehen, reden, später dann Briefe in Briefkästen stecken.

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Hufsky ist schon seit dem frühen Morgen im Postamt. Er hat Briefe sortiert. Früher musste er alle ordnen, jetzt macht eine Maschine den Großteil der Arbeit. "Sie sortiert etwa 90 Prozent der Kurzbriefsendungen vor, also der kleinen Briefe", sagt Hufsky, "für mich bleiben nur die Briefe, die sie nicht lesen kann: schlampig geschriebene Adressen; Adressen, die nicht stimmen; Adressen in chinesischer oder arabischer Sprache." Auch Zeitschriften oder Kataloge muss er noch selbst sortieren.

Um kurz nach Neun radelt auch Christian Hufsky vom Hof. Er fährt mit seinem E-Bike zügig durch den Hirschgarten zur Laimer Unterführung. Hufsky ist für Laim zuständig, erst sind die Hochhäuser an der Landsberger Straße dran, dann fährt er rein in die Agricolastraße, in die Rappstraße, in die Reutterstraße, schließlich zur sogenannten Österreicher-Siedlung, die eigentlich schon zu Pasing gehört, postalisch aber noch zu Laim. "Ich habe einen Stammbezirk", sagt Hufsky, "weil ich schon so lange bei der Post bin."

Christian Hufsky stellt sein Rad vor einem Bürogebäude in der Landsberger Straße ab. Er kann die Post nicht einfach in die Sammelbriefkästen im Erdgeschoss stecken. "In diesem Haus sind Firmen", sagt er, "die bekommen viele Einschreiben, da muss ich direkt zu den Büros hoch." Ein Mann öffnet ihm die Büro-Tür. Hufsky reicht ihm das Einschreiben. Der Mann unterschreibt. "Den Namen bitte in Druckbuchstaben", sagt Hufsky.

Weit über tausend Briefe sind auszutragen

Weiter geht's. Christian Hufsky rauscht die Landsberger Straße entlang. Er wirkt, als wolle er keine Zeit verlieren. Immerhin hat er an diesem Tag weit über tausend Briefe auszutragen. "Die Zeiten, als die Postler um 12 Uhr mittags daheim waren, sind vorbei", sagt er. Wirtschaftlichkeit ist das Gebot der neuen Zeit.

Nachdem die Post in den 1990er Jahren privatisiert worden sei, müsse sie "wirtschaftlich arbeiten", sagt auch Hufsky. Für die 700 Zusteller in München heißt das: Sie haben mehr zu tun, ihre Bezirke wurden größer und ihre Arbeitszeit festgelegt. "Vor 33 Jahren, als ich angefangen habe, wurde nicht so sehr darauf geachtet, wie lange man gearbeitet hat", sagt Hufsky.

Er fährt in einen großen Hof. Jede Menge Autos stehen herum. Ein Mann kommt aus einem Flachbau, in dem eine Autofirma untergebracht ist. Er geht lächelnd an Hufsky vorbei und hebt die Hand zum Gruß, als begegne er einem alten Bekannten. Der Briefträger hebt auch die Hand und fährt um den Flachbau herum, um die Post einzuwerfen. "Ich habe diesen Bezirk schon seit zehn Jahren, da kennt man sich", sagt Hufsky. Wobei: Es gebe Menschen, denen er seit zehn Jahren Post bringe, die er aber noch nie gesehen habe. "Die sind halt zu der Zeit, wenn ich komme, in der Arbeit."

Am engsten sei der Kontakt zu den Älteren. Zum einen hätten die genügend Zeit, sich mit dem Briefzusteller zu unterhalten. "Und für die ist der Postbote auch immer noch der Mensch, der Neuigkeiten bringt", sagt Hufsky. Die Jungen hätten ihr Smartphone; die hätten eben kein Zeitschriften-Abo. Und die Alten bekämen auch noch Postkarten. Und Geburtstagskarten.

Christian Hufsky ist mit den Hochhäusern in der Landsberger Straße fertig, er wird gleich in die Agricolastraße einbiegen. Aber zuvor zeigt er noch auf zwei grüne Boxen am Wegesrand. "Das sind unsere Aufladestationen", sagt er. Hufsky muss dort nicht etwa sein E-Bike aufladen. In den Boxen sind Briefe, Postkarten, Päckchen. Hufsky kann nämlich nicht alle Postsachen, die er an einem Tag austrägt, morgens auf sein Rad laden. Ein Teil wandert in die Boxen, und wenn seine Taschen leer sind, kann er dort sozusagen nachladen. Aber jetzt muss er das nicht. Er ist ja noch am Anfang.

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Von der Agricolastraße biegt er in die Rapp-Straße ein. Vor einem Einfamilienhaus holt er seinen Schlüsselbund aus der Tasche. Es ist ein Bund mit unzähligen Schlüsseln, er sieht aus wie eine Krake mit tausend Armen. "Ich muss ja in die Häuser rein", sagt Hufsky und lacht. Und manchmal ist eben keiner da, der ihm aufmachen würde. Er sortiert die Post kurz, wenn er vor einem Haus steht. Er macht das wahnsinnig schnell. Man sieht, dass er viel Routine hat.

Christian Hufsky fährt jetzt in Hinterhöfe, und man ist überrascht über die Idyllen, die man vorfindet hinter den gelben Häusern mit den dunkelgrünen Fensterläden. Da stehen Bänke im Kreis unter Bäumen. Bestimmt sitzen an den Abenden Menschen auf diesen Bänken und ratschen und trinken und feiern - ganz so, wie es die Leute im Süden machen, in Spanien, Italien oder Griechenland. Zum guten Gefühl trägt bei, dass es an diesem Juli-Montag sonnig ist.

Wie ist es eigentlich im Winter? Ist man da gerne Briefzusteller? "Man gewöhnt sich an Regen und Kälte", sagt Christian Hufsky. "In den 33 Jahren, in denen ich bei der Post arbeite, sind wir nur dreimal nicht raus - da war es wegen Blitzeises zu gefährlich." Man darf nicht vergessen, mit welchem Gewicht die Briefzusteller unterwegs sind: Die Taschen wiegen bis zu 50 Kilogramm.

Heute muss der Zusteller nicht mehr in jede Wohnung

Hufsky kommt an einem Mietshaus vorbei, in dem er früher viel Arbeit hatte. Heute gibt es ja die Sammelbriefkästen im Erdgeschoss, aber es gab Zeiten, da musste man zu jeder Wohnung in den ersten, zweiten, dritten oder vierten Stock, um die Post durch die Schlitze zu werfen. "In der Rappstraße und in der Reutterstraße musste ich in 56 Häusern immer in die Wohnungen hoch", sagt er.

Hufsky fährt jetzt von der Rappstraße die Reutterstraße - er hat viele Straßen mit R -, zwei Männer stehen in einem Garten, Hufsky ruft ihnen ein "Griaß Eich" zu, die Männer antworten mit einem lässigen "Servus"; es ist fast wie auf dem Dorf. Man kennt sich. Man grüßt. "Eigentlich sind alle freundlich", sagt er, "aber ich bin auch freundlich - wie man in den Wald rein ruft, kommt es zurück."

Dann ist Pause. Hufsky macht immer zur gleichen Zeit eine Rast, immer am gleichen Ort: in der Reutter Klause in der Reutterstraße. Und er trinkt immer einen Kaffee. Wenn das Wetter schlecht ist, tut er das drinnen, wo ein paar bunte Schalensitze vor einer Theke stehen, die aus Holz und Kacheln besteht. Heute kann Hufsky den Kaffee auf einer Bierbank vor der grauen Klause trinken, von der Straße trennt ihn eine dichte Hecke. Er plaudert ein bisschen mit dem Wirt, einem freundlichen, schlagfertigen Mann, und mit den Leuten, die vorbeikommen, ein ehemaliger Postler ist unter ihnen. Es sind keine richtigen Gespräche. Es sind Sprüche. Man zieht sich auf.

Man beginnt dann das Interview mit "Sie machen Ihre Arbeit . . ." - und Hufsky sagt sofort: " . . . mit Leib und Seele". Er sei gerne an der frischen Luft, er sei gerne sein eigener Herr, und er sei gerne mit Menschen zusammen. "Von Februar bis Mai bin ich ausgefallen, weil ich einen Bänderriss in der Schulter hatte - da haben sich die Leute bei meinen Kollegen nach mir erkundigt", erzählt er. "Und als ich dann wieder da war, haben sie auch gefragt, wie es mir ginge."

Die Briefe sind weniger geworden in den vergangenen Jahren - aber um seinen Job braucht sich der Postbote keine Sorgen zu machen. (Foto: Florian Peljak)

Mit einigen Leuten spreche er über private Dinge. Als seine Frau ihren Job bei einer Versicherung kündigte, um das Abi nachzumachen und Medizin zu studieren, sei er häufig danach gefragt worden, wie es ihr dabei gehe. Wie weit sie sei. Inzwischen ist sie fertig und arbeitet. Hufsky hat selbst nie mit dem Gedanken gespielt, seinen Job zu kündigen, um etwas anderes zu machen. Er mag seinen Beruf, er ist Beamter. Das findet er gut.

Christian Hufsky ist in Niederbayern aufgewachsen, in Tittling bei Passau, 400 Einwohner. Nach der Schule wusste er zunächst nicht, was er machen sollte. Zur Auswahl standen: Vergolder, technischer Zeichner beim Wasserwirtschaftsamt - oder Postler. "Beim Wasserwirtschaftsamt hätte man nach der Ausbildung wieder gehen müssen", sagt Hufsky. "Die Post war halt ein sicherer Arbeitsplatz und auch gut bezahlt - und nach der Ausbildung war man schon Beamter." Es war damals eine Vernunftentscheidung. Die Leidenschaft für den Beruf kam mit den Jahren.

Hufsky fuhr zunächst in den Dörfern um Tittling die Post mit dem Auto aus. Damals hatte noch jede Gemeinde ihr Postamt. Heute sind die Filialen in Supermärkten oder Tante-Emma-Läden untergebracht. Mit Mitte 20 ging er nach München. Er hatte Gothic-Wave-Partys im Ballroom Esterhofen organisiert, legte Platten auf und hatte hier seinen Freundeskreis.

Christian Hufsky kommt jetzt etwas zur Ruhe. Er trinkt den Kaffee langsam und erzählt am Tisch entspannter als vom Rad herab. Zum Beispiel, dass es früher mehr Briefe und Postkarten gab. Heute schreibt man E-Mails. "Dafür haben die Waren- und Büchersendungen zugenommen, weil viel übers Internet bestellt wird", sagt Hufsky. "Dieser Wandel ist schon gigantisch."

Angst, dass Briefzusteller arbeitslos werden könnten, hat er aber nicht. Auch wenn die Post gerade testet, ob man das Zustellen einschränken könnte. "In naher Zukunft wird die Post nicht viel weniger werden", sagt Hufsky, "in ferner Zukunft vielleicht schon." Aber dann werde er vermutlich schon in Pension gegangen sein, der Briefträger von Laim.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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