SZ-Adventskalender:Licht in einem schweren Leben

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Die 74 Jahre alte Wanda L. hat immer hart gearbeitet, um über die Runden zu kommen. Nun ist sie krank und kann ihre Ein-Zimmer-Wohnung kaum verlassen - deshalb hilft ihr der Verein "Dahoam"

Von Anita Naujokat, Isarvorstadt

Wanda L. (Name geändert) hat ein bewegtes Leben hinter sich. Das spiegelt auch ihre Wohnung wider. Drei wuchtige Schränke, drei große Regale, ein Tisch und ihr Bett nehmen fast den ganzen Raum der 28 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Wohnung ein. Was dazwischen noch an Wand frei ist, zieren Uhren verschiedenster Ausprägung und Bilder. Früher hatte die 74-Jährige noch viel mehr Möbel, Bücher und Geschirr. Als sie 2007 von der Eifel wieder nach München zurückkehrte, musste sie sich von vielen Dingen trennen, die ihr lieb geworden waren. Eine Fotografie fällt sofort auf: Sie zeigt eine fast exotisch anmutende, junge Frau. Es ist Wanda L. mit 19 Jahren.

Damals arbeitete sie fürs Varieté und als Artistin, trat als Komparsin in Filmen auf, hatte Tourneen in Paris und Italien. Was spannend klingt, war für Wanda L. in jener Zeit alles andere als ein Leben in Saus und Braus. Es gab nie genug Geld, manchmal trat man nur gegen Unterkunft und Verpflegung auf, sie war so gut wie nicht versichert, immer abhängig von der Truppe. In Italien wog sie einmal gerade noch 44 Kilogramm. Heute leidet sie am genauen Gegenteil. An einem Morgen vor vier Jahren war sie mit geschwollenen Händen und Armen aufgewacht. Wochenlang konnte sie sich kaum rühren, schlief fast nur noch, aß kaum und wurde dennoch von Woche zu Woche dicker. Die Ärzte diagnostizierten zu Gelenkrheuma und Arthrose eine Unterfunktion der Schilddrüse. Nach den Knien ist jetzt auch noch ein Hüftgelenk kaputt. Wegen ihrer Adipositas kann es aber nicht operiert werden. Hörgeschädigt an beiden Ohren ist sie schon seit ihrer Kindheit im Waisenhaus. Ihre Wohnung hat sie das bisher letzte Mal vor circa drei Monaten verlassen, weil sie zum Zahnarzt musste. Ohne die Hilfe des Vereins "Dahoam" könnte sie nicht mehr nach draußen und würde auch ihr Leben zu Hause wohl nicht mehr bewältigen.

Die Besuche von "Dahoam"-Mitarbeitern wie Michaela Wenzel (rechts) sind für Wanda L. (Name geändert) immer eine besondere Abwechslung im Alltag. (Foto: Natalie Neomi Isser)

Der gemeinnützige Verein für häusliche Krankenpflege und Altenbetreuung wirkt seit 30 Jahren in den Stadtteilen Au, Untergiesing und Isarvorstadt. Er bietet Pflege und Beratung, unterhält einen ambulanten Pflegedienst, eine Beratungsstelle für alte Menschen und ihre Angehörigen, einen Besuchs- und Begleitdienst und bietet Betreuungs- und Aktivierungsgruppen für Menschen mit Demenz.

Die Beratungsstelle wird - als eine von vier allgemeinen - von der Stadt unterstützt, der Pflegedienst nach den normalen Sätzen abgerechnet. Reicht das Geld wie bei Wanda L. dafür nicht aus, ist sie neben der Grundsicherung im Alter auch auf zusätzliche Sozialleistungen der Hilfe zur Pflege und für Essen auf Rädern angewiesen. Dieses werde jedes Jahr neu berechnet, sagt Michaela Wenzel, die seit acht Jahren die Beratung leitet. Papier über Papier also, für Extras bleibt nichts übrig. Besuchs- und Begleitdienste leisten eigens geschulte 16 Kräfte ehrenamtlich, deren Einsätze als zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistung über die Kassen abgerechnet und so finanziert werden können.

Doch es gibt Notwendigkeiten, die kein Kostenträger übernimmt. Da wären die orthopädischen Schuhe für einen nierenkranken Mann mit Diabetes, die dringend benötigte Matratze bei einem Rückenleiden, Ersatz für einen defekten Kühlschrank oder Kleinigkeiten wie Medikamentendosetten, die den Alltag erleichtern. Für solche Dinge ist "Dahoam" auf Spenden angewiesen. Im Kern betreut der Verein zehn bis zwanzig Menschen, die nur eine kleine Rente und/oder Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Beispielhaft der Fall einer Mutter mit ihrer Tochter. Zehn Jahre pflegte letztere - selbst durch einen Schlaganfall beeinträchtigt - die Mutter bis zu deren Tod. Beide verfügten nur über eine Grundsicherung. Der klassische Fall aber sei der Selbständige, der chronisch krank werde und so in finanzielle Not gerate, sagt Wenzel. Sie und ihre Kollegin Susanne Widl kommen zu Beratungen in den drei Stadtvierteln auch in die Wohnung; bei Beratungen am Telefon oder wenn jemand vorbeikommt, gibt es keine örtliche Einschränkung.

Wanda L., die ohne fremde Hilfe weder das Haus verlassen noch in ihrer Wohnung bleiben könnte, lässt auf den Verein nichts kommen. "Mit den Dahoam-Diensten habe ich wirklich Glück", sagt sie. "Da hat jeder Einzelne eine so wunderbare Persönlichkeit. Die kaufen in ihrer Freizeit schon mal für einen ein oder geben ein Päckchen auf. Das finde ich großartig." Nach ihrem Leben auf der Bühne und diversen Jobs hat Wanda L. viele Jahre als Telefonistin in einem Beerdigungsinstitut gearbeitet, bis ihre Stelle wegrationalisiert wurde. Die Weihnachtsfeier des Vereins und der eine oder andere Ausflug sind für sie nun echte Highlights. Aber auch solche Dinge können nur über Spenden finanziert werden.

Zu Hause schreibt, malt und häkelt Wanda L., spielt Flöte, sammelt Gedichte und Anekdoten. Dringend nötig ist eine Lichtklingel, da sie trotz Hörgeräts die Türglocke nicht mehr hört. Und um alles richtig in Reichweite zu haben, träumt sie noch von einem "richtig schönen großen Tisch". Dort könnte sie dann auch bequem in ihrer großen Brockhaus-Enzyklopädie lesen. "Mein ganzer Reichtum sind meine Bücher", sagt sie beim Abschied.

© SZ vom 23.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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