Konzert:Wuchtig und klar

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Pianistin Dina Ugorskaja begeistert im Gautinger Bosco mit Bach und Beethoven. (Foto: Arlet Ulfers)

Dina Ugorskaja stellt im Gautinger Bosco Präludien von Bach und Beethovens letzte Klaviersonate gegenüber. Eine seltene Paarung, die das Publikum mit frenetischem Beifall belohnt

Von Reinhard Palmer, Gauting

Will man als Musiker Großes leisten, ist heute die kontinuierliche Präsenz in den Medien und auf den Konzertprogrammen geradezu unabdingbar. Im Normalfall. Aber Dina Ugorskaja kümmert sich offenbar wenig um die Gepflogenheiten im Konzertbetrieb. Sie zieht sich wohl gerne für längere Zeit zurück, legt dann wieder eine glänzende CD vor, begeistert die Konzertbesucher bei einigen Konzerten - und macht sich wieder rar. Ein solch kometenhaftes Erscheinen vollzog sie erstmals mit den späten Beethoven-Klaviersonaten op. 106 und op. 111. Seither wiederholte sie ihre durchschlagenden Erfolge in periodischen Abständen.

Diesmal ist es Bachs Wohltemperiertes Klavier, mit dessen Interpretation Ugorskaja den SZ-Kritiker Wolfgang Schreiber in höchsten Tönen schwärmen ließ. Nun brachte sie eine Auswahl von Präludien und Fugen daraus ins Gautinger Bosco und stellte sie Beethovens letzter Klaviersonate c-Moll op. 111 gegenüber. Eine seltene Paarung, doch auf alle Fälle sinnvoll und stimmig. "Immer, wenn ich beim Komponieren ins Stocken geriet, nahm ich mir das Wohltemperierte Klavier hervor, und sogleich sprossen mir wieder neue Ideen", schrieb einst Beethoven. Am Werk Bachs geschult, weisen seine Kompositionen weit mehr Bezüge zum Lehrmeister auf, als man aufgrund stilistischer Unterschiede im Allgemeinen beim oberflächlichen Zuhören erkennt. Ganz deutlich aber im Kopfsatzthema der c-Moll-Sonate, das in der ursprünglichen Werkplanung in einer mehrsätzigen Anlage für eine Fuge im Schlusssatz vorgesehen war. Das monumentale Thema, das Ugorskaja mit enormer Kraft im Anschlag in Stein meißelte, findet sich in ähnlicher Form oftmals im Werk Bachs, so auch im zweiten Band des Wohltemperierten Klaviers in der a-Moll-Fuge (Band II). Aber ganz anders als in der Beethoven-Sonate nahm Ugorskaja dort nach der ersten Vorstellung des Themas gleich wieder die wuchtige Kraft zurück. Grund dafür war ein ungewöhnliches Konzept der Interpretationen, die insgesamt in der Auswahl der Werke einer eher unscheinbaren Dramaturgie folgten. Ugorskaja schränkte die Differenzierung der unterschiedlichen Typen der Präludien und Fuge weitgehend ein. Sonst spieltechnisch mit einem breiten Spektrum an Möglichkeiten ausgestattet, reduzierte sie im Wohltemperierten Klavier sowohl Dynamik wie Agogik auf einen schmalen Bereich. Keine großen Gesten, keine expressiven Ausbrüche. Möglicherweise vor dem Hintergrund der Charakteristik historischer Instrumente. In der Wirkung stand jedoch vielmehr eine meditative Idee im Vordergrund, gepaart mit Bach spezifischer motorischer Monotonie. Von Vereinfachung kann dabei aber keine Rede sein, griff doch Ugorskaja im Gegenzug auf einen reichhaltigen Fundus anschlagstechnischer Differenzierung zurück. Nonlegato, Portato, verhaltenes Stakkato, Legato, Leggiero fanden unentwegt neue Schattierungen im Dienste einer hochgradigen Transparenz. Klarer hätten die Linien und Verläufe wohl kaum exponiert werden können. Das schwächte allerdings die Wirkung der vertikalen Lesweise, die für Spannung, Verdichtung, ja letztendlich für die Ausdruckskraft der Musik verantwortlich ist.

Die sparte sich Ugorskaja für die Beethovensonate auf und gewann dort daraus eine packende Interpretation, für die schon mit einer überaus emotional impulsiven Maestoso-Einleitung die Weichen gestellt waren. Die Lyrik der Arietta im zweiten und letzten Satz erklang in gewissem Sinne vergeistigt und innig. Doch ganz anders als es in den Präludien und Fugen zu hören war, in denen Ugorskaja emotionalen Impulsen nur äußerst verhalten folgte. Bei Beethoven spürte sie ihnen nach und versah die zarte Arietta mit feinsinnig changierender Farbigkeit. Vor allem aber den Schlusssatz mit einer schlüssig entwickelten Dramaturgie mit nachhaltiger Wirkung. Langer, frenetischer Applaus.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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