Konzert:Weites Feld

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Das Diogenes Quartett beweist bei seinem Auftritt im Rahmen des Kleinen Sommerfestivals in Gauting Vielseitigkeit und Sinn für Spannung

Von Reinhard Palmer, Gauting

Es war ein großer Bogen, den das Diogenes Quartett beim Kleinen Sommerfestival in der Gautinger Remise von Schloss Fußberg schlug. Das galt nicht nur für den zeitlichen Rahmen der Werkentstehung, der immerhin schon knapp 125 Jahre umfasste, sondern gerade auch in Bezug auf die stilistischen und inhaltlichen Ausprägungen, obgleich alle drei Komponisten für die hier aufgeführten Streichquartette den viersätzigen Typus gewählt hatten.

Zunächst das sechste Streichquartett aus Beethovens op. 18, das noch traditionell wirkt und voller jugendlicher Euphorie und ausgelassener Spielfreude steckt. Geradezu das Gegenteil dazu stammte aus der Feder Janáčeks: die Kreutzersonate nach der gleichnamigen Novelle von Tolstoi.

Janáček hatte den Titel wiederum Beethovens Violinsonate entliehen, nachdem sie in der Geschichte eine Schlüsselrolle spielt. Als eine Art musikalische Nacherzählung des Dramas um Liebe, Eifersucht und Mord ist das Streichquartett geradezu ein Psychogramm eines komplexen Liebesverhältnisses mit bedrohlich-dramatischen Untertönen.

37 Jahre früher entstanden ist das Streichquartett von Friedrich Gernsheim: stilistisch ein spätromantisches Werk, angefüllt mit leidenschaftlicher Wucht, schwärmerischer Schönmalerei und dramatischer Zuspitzung. Der Lehrer unter anderem von Engelbert Humperdinck("Hänsel und Gretel") hatte der Musikgeschichte wohl nicht viel Neues hinzuzufügen, doch sein Streichquartett zeugt von enormer Kennerschaft im Tonsatz sowie inhaltlich-thematischer Erfindungsgabe.

Für das Diogenes Quartett ergab sich aus dem weitgefächerten Repertoire die Möglichkeit, ein ebenso breites interpretatorisches Feld zu beackern und seine Wendigkeit und Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen. Nach 19 Jahren gemeinsamen Musizierens ist das Ensemble längst so weit, dass es nicht nur aus dem Vollen schöpfen kann, sondern auch mit Leichtigkeit und Intuition zaubert.

Vor allem, was die Ausdrucks- und Klangcharakteristik betrifft. Schon der Einstieg mit beherzter Leichtigkeit, tänzerischer Verve und erfrischend koloriertem Schmiss in Beethovens Kopfsatz zog die volle Konzentration des zahlreichen Publikums auf sich - und hielt sie bis zum letzten Ton aufrecht. Der pulsierende Galopp im Scherzo und der Wirbel im Schlusssatz rissen ordentlich mit.

Sie waren vor allem der sicheren dramaturgischen Inszenierung geschuldet: Das Diogenes Quartett versteht es nämlich glänzend, die Sätze voller Spannung zu entwickeln und den Bogen stets schlüssig und mit konzentrierter Energie über die weiten Entwicklungen hinweg zu ziehen. Gerade die Fähigkeit, auf den ersten Blick nicht zusammenhängende Elemente auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen und deren Verbindungen zu exponieren, wie es vor allem in Gernsheims F-Dur-Streichquartett im Variationensatz zum Schluss, in Beethovens Finale ("La Malinconia") oder auch Janáčeks mehrteiligem Schlusssatz mühelos gelang, ist eine große Stärke des im Jahr 1998 gegründeten Ensembles.

Ganz besonders, wenn die Schlüssigkeit in krassen Gegensätzen besteht, wie sie Janáček dazu benutzte, die psychologische Vielschichtigkeit der Erzählung überzeugend in Töne zu setzen. So kontrastiert im dritten Satz der Kreutzersonate die nostalgische Idylle mit scharfgestrichenen Dissonanzen. Und diese Kluft erfuhr in der Wiedergabe durch das Diogenes Quartett keinerlei aufweichenden Kompromiss.

Aber Stefan und Gundula Kirpal (b eide Violine), Alba González i Becerra (Viola)

und Stephen Ristau (Violoncello) verstehen es nicht nur, kraft- und lustvoll orchestrale Fülle auszubreiten. Gerade in den langsamen Sätzen und in den weiten, immer noch klangvollen Rücknahmen punktete das Ensemble üppig. Etwa mit feinsinnig austarierter, wohltuender Klangwärme - so in Beethovens Adagio -, tief beseelter Ausdruckskraft - immer wieder in Janáčeks langsamen Passagen - sowie mit lustvoller Leidenschaft in Gernsheims kantablem Andante. Gerade in Letzterem bewies das Ensemble ausgeprägtes Fingerspitzengefühl für orchestrale Wirkung bei kammermusikalischer Effizienz.

Lang anhaltender Applaus in der Gautinger Remise und eine Seelenmassage von Franz Schubert (C-Dur-Andante in Rekonstruktion) als Zugabe.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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