Herrsching:Koordinaten verrutscht

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Der 48. Breitengrad verläuft nach neusten Messungen weiter nördlich als bisher angegeben durch Herrsching und Starnberg

Patrizia Steipe

Der 48. Breitengrad verläuft nicht mehr so wie auf dieser Plakette in Starnberg angegeben. Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

- Eigentlich hatte Reiner Zollmarsch, Ingenieur der Friedinger Firma Strobl, nur den Grund für das neue Herrschinger Feuerwehrhaus vermessen wollen, doch dann fiel ihm die "schöne Plakette" im Boden auf. "Hier ist der 48. Breitengrad", stand auf der Tafel beim Maibaum. "Das reizt jeden Vermesser und fordert eine genaue Überprüfung heraus", berichtete er. Mit Ingenieur Wolfgang Bibl prüfte er die Standorte. Das Ergebnis war unerwartet. "Die Lage der Plakette weicht zirka 100 Meter nach Süden vom durch das GPS-System angegebenen 48. Breitengrad ab", sagt Zollmarsch. Bürgermeister Christian Schiller konnte die Entdeckung gar nicht glauben: "Wir sind mit Hand- GPS-Geräten auf die Suche nach dem 48. Breitengrad gegangen." Die Geräte zeigten an, dass der Breitengrad sich nördlicher durch die Gemeinde zieht, unter anderem durch das Betriebsgelände der AWA Ammersee

Das Phänomen trifft auch auf andere Standorte im Landkreis zu, die für sich beanspruchen, genau auf dem 48. Breitengrad zu liegen (etwa in der Starnberger Wittelsbacher Straße und vor der Schlossberghalle). "Wir haben die dortigen Plaketten nachgemessen - mit dem gleichen Resultat", sagt Zollmarsch. Manfred Popp vom Münchner Landesamt für Vermessung und Geoinformation erklärt, das dank der neuen Satellitenmesssysteme die Oberfläche der Erde inzwischen genau gescannt werden könne. Dadurch könnten Massenmittelpunkt und Oberfläche der Erde exakt bestimmt werden. Zollmarsch vermutet, dass die damalige Position des Breitengrads auf ersten Satellitenmessungen aus den 1970er und 1980er Jahre fußt. 1987 hatte Adolf Wexlberger die Plakette feierlich eingeweiht; die Daten basierten auf terrestrische Messungen. "Das gültige geodätische Datum war das Potsdam-Datum."

Als der Erdmittelpunkt genauer bestimmt werden konnte, wurde das "Potsdam-Datum" durch das weltweit gültige "WGS84" ersetzt. "Dieses weicht um zirka 100 Meter vom alten ab", sagt der Ingenieur. Während Karten- und Datenmaterial aktualisiert wurden, hat wohl niemand an die Plaketten gedacht. Dabei liegt in den neuen Berechnungen Werbepotenzial. So läuft nach GPS-Messungen der Breitengrad an der Grundschule Söcking vorbei und direkt durch den Haupteingang des Landratsamts: "Besuchen Sie uns auf dem 48. Breitengrad!", könnte zu einem geflügelten Wort der Kreisbehörde werden. Auch nahe des Starnberger Vermessungsamts läuft die Linie vorbei. "Das ist uns bisher gar nicht aufgefallen", bestätigt Christian Schlosser, Leiter der Außenstelle, der nachmessen lassen will, wo der Breitengrad vorbeiläuft.

Ganz so einfach sind die Messungen allerdings nicht, warnt Popp. Seine Behörde könne die Koordinaten mit einer Genauigkeit unter einem Zentimeter bestimmen: "Wir messen in Differenzen." Dabei werden verschiedene Satelliten mit einem Zeitfaktor kombiniert. Bei marktüblichen GPS-Geräten wird in Echtzeit gemessen. "Das ist auf zehn Meter genau", sagt Zollmarsch.

Der 48. Breitengrad könnte in ein paar Jahren übrigens wieder woanders verlaufen. "Die Messungen werden noch genauer und die Erde verändert sich ständig", sagte Zollmarsch. Nach dem Erdbeben in Japan habe sich das Land um zwei Meter Richtung China bewegt. Was die Plakette in Herrsching betrifft, hat Zollmarsch einen pragmatischen Vorschlag für die Inschrift: "Hier befindet sich der historische 48. Breitengrad."

© SZ vom 14.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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