Konzert:Große Kunst

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Spielte auf höchstem Niveau: der junge Pianist Kit Armstrong. (Foto: June/oh)

Der erst 23 Jahre alte Pianist Kit Armstrong mit Beethovens Hammerklavier-Sonate im Bosco

Von Reinhard Palmer, Gauting

Dem 23 Jahre jungen Pianisten eilt ein makelloser Ruf - eines Musikers, Naturwissenschaftlers und Mathematikers - voraus. Eine Erwartungshaltung, die Druck ausüben kann, doch Kit Armstrong schenkt dem offenbar keine Beachtung. Er verkörpert geradezu Ruhe und innere Balance. Und das Publikum ist für ihn dazu da, begeistert, verführt und in seine musikalischen Welten entführt zu werden.

Doch darum musste er sich im Gautinger Bosco in der Reihe der diesjährigen Sonderkonzerte mit vier Pianisten nicht sonderlich bemühen. Der nötige verführerische Charme, seine bedingungslose Hingabe im Spiel und seine seelentiefe Versenkung in die Musik entsprechen seiner Natürlichkeit. Armstrongs beglücktes und beglückendes Lächeln, das er nach jedem Stück im Erwachen aus der profunden Konzentration ins Publikum warf, hatte eine erfrischende Wirkung. Die Sympathie des Publikums war ihm sicher.

Armstrongs unschlagbares Überzeugungsargument war aber nicht nur eine technische Meisterschaft, die ihresgleichen sucht. Er beherrscht jeden seiner Töne in allen Parametern. Und von denen gibt es viele in seinem Spiel, überlässt Armstrong doch nichts dem Zufall. Charakteristik, Klang, Dynamik, Agogik, Ausdruck - jeder Ton sitzt, als wäre er in Stein gemeißelt, in Ton modelliert oder in Butter geformt. Und dieser wunderbaren Musikalität, die hier die meiste Überzeugungsarbeit leistete, war auch zu verdanken, dass die Homogenität in diesem Programm gewahrt blieb. Aber im Grunde war es schon richtig, der Beethoven-Sonate op. 106, der Hammerklavier-Sonate, kein großdimensioniertes, allzu gewichtiges Werk voranzustellen, auch wenn die Trias der Wiener Klassik Haydn, Mozart und Beethoven ja von vorneherein bedeutungsschweren Zugriff versprach.

Tatsächlich führte Armstrong auch den Beweis, dass Bedeutung und Dimensionierung nicht unbedingt gleichzusetzen sind. Haydns Variationen f-Moll, die wohl einst Teil einer Sonate hätten werden sollen, sind eher leichte Kost. Doch schon das in stoischer Ruhe und fast schmerzhaft ausgereizter Langsamkeit vorgetragene Thema - genauso wie im Mozart-Adagio f-Moll KV 594 - verlieh dem Satz eine fast monumentale Wirkung, die trotz der auch filigranen oder bravourös-virtuosen Variationen bis zum letzten Ton anhielt.

Doch das sollte sich nur als Vorgeschmack aufs überdimensionierte Adagio der Hammerklavier-Sonate erweisen. In dieser Geduldsprobe, in die Beethoven minimalistisch emotionale Regungen und Bruchstücke von Erinnerungen im Fluss des empfindsamen Sinnierens aufkeimen ließ, bewährte sich Armstrongs pianistische Größe definitiv. Im Übrigen nahm er die Herausforderung Beethovens in den vorgeschriebenen hohen Tempi an, vermochte sie aber auch in der gebührenden Präzision ausführen. Schon in Mozarts beiden Werken für ein "Orgelwerk in einer Uhr" hatte er den schier unspielbaren Automatensatz mit höchster Exaktheit durchexerziert. Und es war verblüffend, welche Ausdrucksqualitäten er daraus gewann. War dort das theatralische Programm der Trauer und Apotheose vorgegeben, ging es bei Beethoven eher darum, die Rätselhaftigkeit des Werkes überzeugend zu inszenieren. Die Hammerklavier-Sonate spielte er hier erstmals öffentlich, er war der Sache weit mehr als gewachsen. Die Ovationen hielten noch über die beiden Zugaben hinaus an.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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