Berg:Der Schatz vom Schatzlhof

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In einem Nachlass befinden sich bisher unveröffentlichte Briefe von Oskar Maria Graf aus New York. Die intimen Zeilen an die Nachbarn in Berg verraten verhaltene Sehnsucht nach der Heimat.

Von Sabine Bader

Beim Stöbern im Nachlass des Berger Ehrenbürgers Paul Huber hat Brigitte Reihl fünf Briefe des Schriftstellers Oskar Maria Graf (Mitte) entdeckt, die dieser in den 1950er Jahren in die alte Heimat schickte. Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

Es gibt Schätze, die kommen recht unprätentiös daher - etwa in Form von maschinengeschriebenen Seiten zwischen ein paar Pappdeckeln und Kuverts in einer alten Schachtel. Sie hatte auf dem Speicher des Schatzlhofs in Berg gestanden und dort die Jahrzehnte überdauert. Die Briefe sind aus den 1950er Jahren und stammen von Oskar Maria Graf, der in seinem New Yorker Exil Kontakt zu einer Nachbarsfamilie aus Jugendtagen hielt - zu Paul Huber senior, dem Schatzlbauern und ehemaligen Bürgermeister von Berg, dessen Frau und deren gemeinsamem Sohn Paul.

Es sind fünf Originalbriefe, die man bisher nicht aus der veröffentlichten Korrespondenz des Schriftstellers kennt. Entdeckt wurden sie erst vor gut einem Jahr im Nachlass des 2010 gestorbenen Paul Huber. Und Brigitte und Hans Reihl, die Erben Hubers, beide an Literatur interessiert, wussten sofort, was sie da in Händen hielten. Einen kleinen Schatz eben.

Das Verhältnis der Berger zu Graf ließ sich über Jahrzehnte selbst wohlwollend bestenfalls mit unterkühlt umschreiben. Tatsächlich waren die Berger lange der Auffassung, der Schriftsteller sei ein Tunichtgut, ein arbeitsscheuer Zeitgenosse mit herzlich wenig Anstand im Leib und obendrein noch Kommunist. Letzteres allein hätte leicht ausgereicht, um sich der Verachtung der Dörfler sicher sein zu dürfen. In seiner alten Heimat vermissten Graf in den 1950er Jahren also nur Wenige. So schreibt er 1954 an die Schatzlbäuerin auch: "Und ob ich jemals Bayern und Berg wiedersehen werde, daran zweifle ich sehr. Seit meine Mutter tot ist, was zieht mich da schon groß ihn (. . .)". Im September 1934 war Grafs Mutter, die Vorbild war für seinen wohl bekanntesten Roman "Das Leben meiner Mutter", gestorben. Im Jahr zuvor war er bereits vor den Nationalsozialisten geflohen - über Wien nach Brünn und Prag und von dort aus dann über die Niederlande in die USA. Er kam erst 25 Jahre später, 1958, nachdem er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, erstmals wieder nach Deutschland.

Und auch wenn Graf ein gespaltenes Verhältnis zur alten Heimat hatte, schwingt in seinen Zeilen an die Hubers doch verhaltene Sehnsucht mit. So schreibt er im Mai 1956 an Paul Huber. "Annamirl (Anm. d. Red: seine Tochter Annemarie) hat mir geschrieben, wie nett Du stets mit ihr bist und dass Du es auf Dich genommen hast, mir eine kleine Fotoserie über mein verändertes Heimatdorf Berg zu machen. Die Freude darüber war bei mir groß, und, bitte, eilen tut das nicht. Ich will nur wissen, wie das alles geworden ist, dieses von Wiesen, Getreideäckern und Waldungen umsäumte Berg, an das ich nur noch mit der Vorstellung meiner Jugend denken kann." Und als die Fotos Monate darauf bei ihm in New York eintreffen, antwortet Graf postwendend. "Lieber guter Paul! Allerherzlichsten Dank für die Übersendung der vielen liebevoll gewählten Fotos von Berg und Starnberg (. . .) Vor allem überrascht mich, dass soviel Schulen und Gastlokale in Berg sind, sogar der alte, liebe ,Ölschlag' hat daran glauben müssen, mein Gott, was knüpfen sich daran für Erinnerungen an unsere indianisch verspielte Jugend."

Im Gegensatz zur Korrespondenz, die Graf mit bedeutenden Exilanten wie Thomas Mann, Albert Einstein oder Bertolt Brecht führte, klingen diese Briefe auf anrührende Weise nah und intim. So vertraut er der Schatzlbäuerin im Mai 1954 auch an: "(. . .) Ich bin oft so niedergeschlagen, wenn ich die Zeitungen ansehe und all die dumme, verbrecherische Großsprecherei von der besten Atom oder H. Bombe lese, dass ich tagelang darunter leide (. . .)". Dass Graf auch noch Jahre später Zukunftsängste plagen, zeigt ein Brief vom Januar 1957 an Paul Huber, bei dem er sich für die "lieben Festtagswünsche" mit den Worten bedankt: "(. . .) Ich versende solche Wünsche nie, weil es mir immer vorkommt, als hätten wir in dieser düsteren Zeit kaum noch Glück zu wünschen (. . .)."

Für Brigitte Reihl offenbart Graf in diesen Briefen in anrührender Schlichtheit seine Haltlosigkeit in der Diaspora. "Heimat ist für Graf der Ort, die Menschen und die Sprache", sagt Reihl. In der kommenden Woche wird sie in Starnberg und Gauting aus den fünf Briefen lesen. Zudem hat sie jetzt einen Aufsatz über den Fund in der März-Ausgabe der Literaturzeitschrift Starnberger Hefte unter dem Titel "Oskar Maria Graf - der Diasporit und das Bild der alten Tage" veröffentlicht.

Lesungen: Dienstag, 25. März, 19.30 Uhr im Hotel Bayerischer Hof, Café Prinzregent in Starnberg, Donnerstag, 27. März, 20 Uhr, Buchhandlung Kirchheim in Gauting.

© SZ vom 22.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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