Stadtwerke:Wer kümmert sich um den Atommüll von Kraftwerk Isar 2?

Atomkraftwerk Isar II

11107 Gigawattstunden Strom hat das Atomkraftwerk Isar 2 im vergangenen Jahr erzeugt - das ist ungefähr ein Achtel des Jahresverbrauchs in Bayern.

(Foto: DPA)
  • Das AKW Isar 2 ist seit 1988 am Netz. Betrieben wird es von Preussen-Elektra, einer Tochter des Eon-Konzerns. 25 Prozent halten die Stadtwerke München.
  • Sollte Eon eines Tages nicht mehr zahlen können, blieben an den Stadtwerken die kompletten Kosten von Isar 2 hängen.
  • Alleine für den Atommüll wären das mehr als 1,3 Milliarden Euro.

Von Kassian Stroh

Irgendwann im nächsten Sommer würde Florian Bieberbach gerne eine Überweisung nach Berlin freigeben. Eine gewaltige, es geht um 330 Millionen Euro, vielleicht auch etwas mehr. Viel Geld - doch es loszuwerden, kann der Stadtwerke-Chef kaum erwarten, auch wenn er es nie wiedersähe. Aber eine große Sorge wäre Bieberbach damit los. Die nämlich, wer sich um den ganzen Atommüll kümmert, den das Kraftwerk Isar 2 produziert hat. Eine Sorge, die andernfalls ihn und seine Nachfolger noch Jahrzehnte quälen und noch viel mehr Geld kosten könnte.

Seit 1988 ist Isar 2 am Netz. Betrieben wird es von Preussen-Elektra, einer Tochter des Eon-Konzerns, der 75 Prozent des Atomkraftwerks gehören. Die übrigen 25 Prozent halten die Stadtwerke München. Eine einträgliche Investition, seit Jahren produzieren nur wenige Reaktoren auf der Welt so viel Strom wie Isar 2. Doch je näher der Atomausstieg rückt, desto klarer werden auch dessen dauerhafte Kosten. Denn wie alle Kernkraftwerke produziert Isar 2 auch viel radioaktiv strahlenden Müll; niemand weiß, wo und wie er künftig gelagert werden soll, sodass über Jahrhunderte und Jahrtausende keine Gefahr von ihm ausgeht.

Eine Lösung dafür zu finden und zu finanzieren, dafür waren bisher die Kraftwerksbetreiber verantwortlich. 634 Millionen Euro haben die Stadtwerke München (SWM) bis Ende 2015 an Rücklagen gebildet, um dereinst den Abriss von Isar 2 ebenso zu finanzieren wie die Endlagerung der alten Brennstäbe - zu einem Viertel natürlich nur. Doch das Geld reicht nicht. Allein in diesem Jahr werden die SWM noch einmal eine Summe "in der Größenordnung von 150 Millionen Euro" beiseite legen müssen, wie Bieberbach sagt. Auch wenn ihm das die Bilanz versaut. "Das belastet das Ergebnis stark, das ist klar", sagt der SWM-Chef. "Das schluckt man nicht einfach mal so."

Aber für ihn ist ja Land in Sicht: Kommende Woche soll der Bundestag einen neuen Fonds beschließen, den die Kraftwerksbetreiber mit 23,6 Milliarden Euro befüllen sollen. Im Gegenzug werden sie von der Haftung für den Atommüll befreit, dessen Lagerung finanziert künftig der Fonds - und wenn das Geld nicht reicht, der Steuerzahler. Für Isar 2 müssen die SWM gut 240 Millionen Euro überweisen, die sie laut Bieberbach sofort aus den Rückstellungen entnehmen können, sowie einen "Risikoaufschlag" von knapp 90 Millionen Euro.

Letztere muss er in diesem Jahr noch in seiner Bilanz zusammenkratzen, zusammen mit einer zweistelligen Millionensumme, um den Effekt auszugleichen, dass die Atom-Rückstellungen wegen der niedrigen Zinsen derzeit viel weniger Rendite bringen, als sie eigentlich müssten. Wegen dieses Zinseffekts wäre Bieberbach auch froh, wenn der Fonds möglichst rasch in Berlin beschlossen und von der EU-Kommission genehmigt würde: Jeder Tag Verzögerung bedeutet Verlust.

Und mehr Gefahr: Denn für Isar 2 gilt eine einzigartige Regelung, die für die Stadt München ein milliardenschweres Restrisiko darstellt, nämlich eine "gesamtschuldnerische Haftung". Sollte Eon eines Tages nicht mehr zahlen können, blieben an den Stadtwerken die kompletten Kosten von Isar 2 hängen. Alleine für den Atommüll wären das mehr als 1,3 Milliarden Euro.

Eon in Zahlungsschwierigkeiten? Vor einigen Jahren noch wäre diese Vorstellung absurd gewesen. Doch die Energiekonzerne stehen inzwischen unter Druck, Eon hat nach hohen Abschreibungen in den ersten neun Monaten dieses Jahres einen Verlust von mehr als neun Milliarden Euro gemeldet. Die Münchner Stadtwerke hätten es deshalb am liebsten gesehen, wenn sie ihr Geld an den Fonds rasch überweisen könnten und dann rechtlich aus dem Schneider wären. Doch da hat die Bundesregierung nicht mitgespielt, sie pocht auf die "gesamtschuldnerische Haftung".

Somit verlieren die Stadtwerke erst dann ihre Risiken, wenn sie und auch Preussen-Elektra den jeweiligen Betrag überwiesen haben. Dann, aber auch erst dann sind die Stadtwerke "das Risiko los, dass wir irgendwann den ganzen Rest zahlen müssten", wie Bieberbach sagt. "Eine Riesenerleichterung." Die kann freilich noch ein bisschen auf sich warten lassen, denn für die letzten Überweisungsraten an den Fonds hat Preussen-Elektra bis ins Jahr 2022 hinein Zeit - auch wenn die Firma dann hohe Zinsen zahlen müsste. Auf Anfrage lässt sie nur wissen, so lange in Berlin das Gesetz noch nicht verabschiedet sei, könne man noch gar nichts darüber sagen, wann man wie viel Geld zu zahlen gedenke.

Und selbst wenn alles rund liefe und sie sich bald der Probleme rund um den Atommüll entledigt hätten, den teuren Ausstieg hätten die Stadtwerke damit noch nicht von der Backe. "Wir sind da noch Jahrzehnte drin, bis in die 2040er-Jahre hinein", prophezeit der Stadtwerke-Chef. Bis längstens Ende 2022 darf Isar 2 noch laufen, dann ruht das Kraftwerk eine Weile, bis der Abriss beginnt. Und der wird noch einmal teuer: eine Milliarde Euro vielleicht, so genau kann das niemand sagen. Er gehe aber davon aus, dass die bereits gebildeten Rückstellungen dafür ausreichten, den Stadtwerke-Anteil zu finanzieren, sagt Bieberbach.

Immerhin diese Frage wird ihm also das Jahresergebnis für 2016 nicht verhageln. Doch auch so werde das "nicht erfreulich" sein, weil die Stadtwerke auch heuer zu viele "Negativeffekte" zu verbuchen hätten: die etwa 150 Millionen Euro zusätzlich für den Atommüll zum Beispiel oder auch Wertberichtigungen, weil wegen der niedrigen Energiepreise manche Anlagen nicht so viel abwerfen wie erhofft. Mit dem normalen, laufenden Geschäft könne man zufrieden sein, sagt Bieberbach, der genaue Zahlen noch nicht verkünden will. Nur so viel: Das Jahr 2016 werde nicht so schlimm wie 2015, als die Stadtwerke fast 540 Millionen Euro Verlust machten, weshalb sie erstmals seit Langem keine Gewinnausschüttung an ihre Besitzerin, die Stadt München, überwiesen. Das soll heuer wieder anders sein, kündigt Bieberbach an. Die in der jüngeren Vergangenheit üblichen 100 Millionen werde man für dieses Jahr wieder zahlen können.

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