Sprayer-Geschichte:München - Ursprung der deutschen Graffiti-Bewegung

Schmuckfoto München Ost, Maximiliansanlagen

Längst dürfen Künstler an verschiedenen Orten, etwa in der Unterführung am Friedensengel, ganz legal ihre Bilder sprühen.

(Foto: Florian Peljak)

Alles begann mit dem rätselhaften Wort "Heiduk". Später rief ein besprühter S-Bahnzug die erste Sonderkommission Graffiti auf den Plan. Heute "investiert" die Stadt in ihre Sprayer. Ein Rückblick.

Von Jürgen Moises

1970: Wer oder was ist Heiduk? Was das Wort bedeutet, das plötzlich auf Münchner Hauswänden prangt, darüber rätselt ganz München. "Keine Ahnung", heißt es bei der SPD, "weiß niemand bei uns", antwortet die CSU, und auch die Medien wissen nicht richtig weiter. Heute gilt als weitgehend gesichert, dass eine Kommune aus dem Schlachthofviertel hinter dem Spaß steckte, den andere Scherzbolde kopierten. Heiduk, ein Witz? Vielleicht. Jedenfalls einer, dank dem München heute als Ursprungsort der deutschen Graffiti-Bewegung gilt.

1983: Danach ist erst mal wieder Ruhe, bis Anfang der Achtzigerjahre durch Filme wie "Wild Style" der Hip-Hop nach München kommt und der Straßenkünstler Ray 1983 erstmals seine witzigen Comic-Figuren an die Wände malt. Auch Butler, Zar, Roy oder Don M. Zaza greifen zur Sprühdose, und als Ray 1984 als erster einen Güterwaggon in Deutschland bemalt, kommt die Sache immer mehr ins Rollen. Das erste Graffiti auf eine S-Bahn sprüht "Cheech H" in Herrsching.

1985: Künstler gestalten in Geltendorf einen ganzen S-Bahnzug, was bei der Münchner Bahnpolizei zur Gründung der ersten Sonderkommission Graffiti führt. In dieser Hinsicht ist München also ebenfalls Vorreiter. Als im selben Jahr die Flohmarkthallen auf dem ehemaligen Gelände der US-Armee in der Dachauer Straße für Graffiti-Künstler freigegeben werden und dort eine "Hall of Fame" entsteht, sorgt das sogar international für Aufsehen. Ein Jahr später erscheint mit "Munich Graffiti. Hundred Pieces" von Heiko Schiemann und Peter Watzl eines der ersten Bücher zum Thema. Über dieses wird auch Astrid Weindl auf die Szene aufmerksam und ist von deren "kreativem Potenzial" begeistert. Die Sozialpädagogin, die seit 1999 die Jugendkultureinrichtung Färberei leitet und sich seit 30 Jahren für Street Art einsetzt, hat nun zusammen mit dem Berliner Graffiti-Writer und Veranstalter Akim Walta alias Zebster auch das München-Programm der Ausstellung "Magic City" organisiert.

1996: Auch an "Isart" ist Weindl beteiligt, als die Stadt die Brudermühlbrücke für Graffiti-Künstler freigibt. Ein Projekt, das Schule macht und dem in den Jahren darauf mit dem Kunstpark Ost, der Unterführung am Friedensengel oder dem ehemaligen Viehhofgelände ähnliche Projekte folgen. Eines der größten ist die Donnersbergerbrücke, die seit 2011 als Freiluft-Street-Art-Galerie fungiert und von der "Writers Corner München" verwaltet wird. Einem Zusammenschluss der Münchner Szene, dem über 50 Künstler angehören.

2015: "Graphism", ein weiteres Münchner Kollektiv, veranstaltet im Viehhof das Urban Art Festival "Deadline" und im selben Jahr wird von der Landeshauptstadt mit David Kammerer, auch Cemnoz genannt, der deutschlandweit erste Sachbearbeiter für Street Art & Graffiti eingesetzt. Nur kündigt der bereits nach ein paar Monaten, vielleicht weil zwischen Kunst und Sachbearbeitung doch eine zu große Lücke klafft. Von Querelen über die Vergabe von Geldern ist ebenfalls die Rede. Die Stelle wird von der Stadt nicht neu besetzt, der jährliche Etat von 80 000 Euro für Street Art und Graffiti aber bleibt erhalten. Außerdem wird Cemnoz' Idee realisiert, eine Internetseite zu schaffen, die über Fördermöglichkeiten, freie Flächen und die Geschichte der Street Art in München informiert. In wenigen Wochen soll sie laut Astrid Weindl freigeschaltet werden. Aber nicht nur die Stadt "investiert" in Street Art. Auch immer mehr Sammler, Galerien und Museen interessieren sich dafür. Dass Street Art heute populär sei wie nie, "ein Hype" und "gutes Geschäft", das gibt die Färberei-Leiterin zu.

2016: Neben der seit 2009 jährlich stattfindenden Messe "Stroke Art Fair" hat München seit Dezember mit dem Museum of Contemporary and Urban Art sogar ein Street-Art-Museum. Auch wenn dieses seinem Museums-Anspruch bisher noch nicht ganz gerecht wird. "Ich finde interessant, wie viele Geier da gerade kreisen", sagt Weindl, die ihren Glauben an die Street Art aber nicht aufgibt. "Ich finde es toll, dass es eine weltweite Malbewegung gibt. Und wie vernetzt, kommunikativ, multikulturell diese Kultur ist, das ist doch alleine schon ein Traum."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: