Volleyball-Bundesliga:Im Rhythmus der alten Schlagzeuger

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Mal wieder Herrschings Wertvollster: Patrick Steuerwald. (Foto: imago/Oryk HAIST)

Der TSV Herrsching muss personell improvisieren. Für den Sieg in Solingen wird Mittelblocker Wehl zurückgeholt

Von Julian Ignatowitsch, Herrsching

Irgendwann betreten sie alle wieder das Spielfeld und Trainer Max Hauser steht daneben, klatscht in die Hände und lächelt wissend, als hätte er nie etwas anderes erwartet. Er kriegt sie alle - wäre es nicht so, würde das Konstrukt Herrsching kaum funktionieren. Diesmal also: Michael Wehl. Der 26-jährige Fahrzeugtechniker stieg am Samstagmorgen in den Zug und fuhr kurzerhand von München ins bergische Solingen. Hauser hatte angerufen, er brauche seine sportlichen Dienste. Nach den Verletzungen von Peter Ondrovic (Finger) und Nicolai Grabmüller (Knie) stand der Klub vom Ammersee plötzlich nur mit einem Mittelblocker da, für ein Volleyballspiel benötigt man allerdings zwei, also wurde Wehl kurzerhand reaktiviert.

Der Plan ging auf: Herrsching gewann bei Aufsteiger Solingen 3:1 (22:25, 25:15, 25:16, 25:19). "Wir haben nicht schön gespielt, aber den Kampf angenommen", sagte Hauser über den vierten Saisonsieg gegen das noch punktlose Team am Tabellenende. Fast noch wichtiger war für ihn die Erkenntnis, "dass ich mich auf meinen erweiterten Kader verlassen kann". Damit war vor allem Wehl gemeint. "Er hat das gut gemacht", lobte Hauser,"angesichts seines Trainingspensums sogar richtig gut."

Wehl ist in Herrsching ein Spieler auf Abruf, er trainiert sporadisch, eigentlich war er vor einem Jahr bereits in die zweite Mannschaft verabschiedet worden. Und überhaupt sei er "nur so in die Bundesliga reingerutscht". Bei seinem ersten Spiel in dieser Saison waren Aufschlag- und Angriffsquote gleich wieder bundesligareif. "Ich habe mich gut gefühlt und hatte von Beginn an das richtige Selbstbewusstsein", beurteilte Wehl seinen Auftritt.

Herrsching gleicht in dieser Saison einer Band, die zwar den Frontmann ausgetauscht hat, aber immer wieder Schlagzeugspieler aus alten Zeiten zurück auf die Bühne holt - und damit den Club rockt. Die Achse aus den Nationalspielern Patrick Steuerwald, in Solingen mal wieder wertvollster Spieler, Ferdinand Tille und Tom Strohbach gibt den Ton an, dahinter halten wechselnde Ersatzspieler den Rhythmus.

Julius Höfer ist so jemand, in Solingen war er wieder erste Angriffsoption und bester Punktesammler; der Dauerbrenner Benedikt Doranth, schon seit vielen Jahren in Herrsching, sitzt oft auf der Bank, ist aber immer einsatzbereit; Florian Malescha, voll berufstätig und nach schwerer Knieverletzung fast Sportinvalide, ist plötzlich Stammspieler; oder eben Wehl, der seine Karriere gedanklich abgehakt hatte und auf einmal wieder Bundesliga spielt. Sie alle werden Herrsching nicht los, obwohl sie längst andere Zukunftspläne gemacht haben. Genau das zeichnet den Verein aus. Wer einmal hier war, bleibt Herrsching verbunden. Wehl begründet das einerseits mit dem "freundschaftlichen Verhältnis innerhalb der Mannschaft", andererseits mit der "Nähe zu München, wo viele von uns ihren Lebensmittelpunkt haben". Er selbst hat dort studiert und gerade zu arbeiten begonnen. "Nebenbei spiele ich gerne in Herrsching." Da er schon zwei Jahre Bundesliga mitgemacht hat, fühlt er sich auch mit weniger Training gut genug für die höchste Spielklasse. "Man wird routinierter", sagt der 26-Jährige. Das gilt auch für seine Kollegen aus "unserem berühmten erweiterten Kader", wie er in Anspielung auf den Trainer lächelnd sagt. "Ich glaube nicht, dass dieses Modell an einem anderen Volleyball-Standort funktionieren würde."

Herrsching steht nun auf Platz vier, hinter Berlin, Frankfurt und Friedrichshafen. Den tatsächlichen Leistungsstand wird man bis Weihnachten beurteilen können. Denn in den nächsten Wochen stehen die Spiele gegen Lüneburg (26.11.), Bühl (10.12.) und Düren (17.12.) an, alles direkte Verfolger, die alle einen Platz unter den ersten Sechs anpeilen. Davor tritt der TSV am Donnerstag (19 Uhr) erst mal zum größten Spiel der Vereinsgeschichte im Pokal-Halbfinale in Berlin an, worüber zuletzt viel diskutiert worden war. Herrsching war mangels regelkonformer Halle das Heimrecht entzogen worden; der TSV kritisierte Liga und Verband daraufhin lautstark. Für einen wie Wehl bedeutet die Entscheidung, dass er nicht beim Spiel dabei sein kann. "Ich muss unter der Woche arbeiten", sagt er. Andere aus dem "berühmten erweiterten Kader" haben sich dagegen schon frei genommen.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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