Volleyball-Bundesliga:Gedeckelte Anarchie

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Hallensprecher Alexander Tropschug und seine Müllarbeiter haben die Gäste aus Berlin am Samstag prima im Griff - zumindest bis die Partie beginnt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wenn es um die Show geht, liegen Herrsching und Berlin auf einer Wellenlänge, doch sportlich trennen die Klubs Welten. Einen Satz lang kann der Underdog vom Ammersee dem Favoriten am Samstag dennoch Paroli bieten

Von Katrin Freiburghaus, Herrsching

Es gibt sportliche Duelle, vor denen die Luft knistert, so groß ist die Rivalität der Kontrahenten, so offen der Spielausgang, so voller gegenseitiger Sticheleien die Historie. Die Partie von Herrschings Bundesliga-Volleyballern gegen den deutschen Meister am vergangenen Samstag war exakt das Gegenteil. Denn in Triple-Sieger Berlin Recycling Volleys und Herrsching haben sich zwei Klubs auf komplett unterschiedlichem finanziellen und sportlichen Niveau gefunden, die dafür ihr grundsätzliches Einverständnis bezüglich der Frage eint, was Volleyball außer Wettkampf vor allem sein sollte: Unterhaltung.

Beide Mannschaften beherrschen das Show-Segment auf unaufgesetzte Art, weil sie verinnerlicht haben, dass der oft zitierte "Turnhallenmief", den die Volleyball-Bundesliga so gerne aus ihrem Sport verbannt wüsste, nicht ausschließlich an zu niedrigen Spielstätten oder kleinen Etats haftet, sondern eine Einstellungsfrage ist. Berlin wie Herrsching pflegen in der Öffentlichkeit das Konzept gedeckelter Anarchie.

Vor dem Hintergrund der Harmonie hinter den Kulissen und den extrem unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen ist zu erklären, warum nach dem in den Sätzen zwei und drei sehr deutlichen 0:3 (23:25, 18:25, 21:25) kein Herrschinger ernstlich verstimmt war. TSV-Trainer Max Hauser ordnete das Ergebnis realistisch ein: "Dass wir am Ende des ersten Satzes eine 50:50-Situation hergestellt haben, reicht mir gegen eine Mannschaft wie Berlin." Sein Diagonalangreifer Julius Höfer, der den weiter verletzten Zugang Matthew Tarantino vertreten hatte, pflichtete ihm bei: "Den ersten hätten wir gewinnen können, dann wären alle total zufrieden - so sind alle zufrieden."

Die Gäste hatten sich bereits vor dem Anpfiff prächtig amüsiert, als Herrschings Kultur-Fraktion in Anspielung auf Berlins Hauptsponsor in orangefarbenen Overalls eingelaufen war und eine Mülltonne vor sich hergeschoben hatte. Der König vom Ammersee hatte zudem einen lahmenden, angeleinten Tiger an den ausverkauften Tribünen vorbeigeführt - eine Parodie auf das Berliner Maskottchen.

Tatsächlich gelang es auch der Mannschaft, Berlin einen Satz lang an der kurzen Leine zu halten. Mit starken Aufschlägen provozierte Hausers Team lange Ballwechsel und spielte sich in einen kleinen Rausch, der in der zwischenzeitlichen 18:15-Führung gipfelte. Nach drei Punkten in Serie ließ sich Berlin den Durchgang allerdings nicht mehr nehmen und stabilisierte sich fortan in der Annahme. Die Aktionen wurden kürzer und Herrsching bekam keinen Zugriff mehr auf das Spiel. "Wir haben es nicht geschafft, weiterhin diese Rallyes zu produzieren, die gegen starke Teams wichtig für uns sind, weil wir eben nicht jeden Ball tot machen", analysierte Hauser, "wir haben stattdessen den sehr schnellen Abschluss gesucht - und wurden dann direkt geblockt oder haben den Fehler gemacht."

Dafür, dass sich auch Aufschlagfehler häuften, hatte Hauser eine ganz simple Erklärung. "Die Devise war, brutal draufzugehen", sagte er mit Blick auf das Pokal-Viertelfinale in Düren am kommenden Mittwoch. Dort werde sein Team erneut "unheimlichen Aufschlagdruck" brauchen. "Und wenn man das im Spiel nie übt, wird man auch nicht besser", sagte er.

In Düren wird Hauser neben Mittelblocker Roy Friedrich, der aus beruflichen Gründen fehlt, wohl auch weiter auf Tarantino und den von Rückenproblemen geplagten Aleksandar Milovancevic verzichten müssen. "Wir müssen ein bisschen zusammenrücken, aber das können wir hier", sagte er. Die Chance, in Düren das laut Hauser "wichtigste Spiel des Jahres" zu gewinnen, sei nicht groß, "aber wir müssen nach dem Strohhalm greifen". Hauser ist am Einzug ins Halbfinale nicht allein aus sportlichen Gründen gelegen: Sollte Herrsching im Siegfall ein Heimspiel zugelost bekommen, dürfte es die Partie nicht in seiner Halle ausrichten. Eine regelkonforme Halle ist in ganz München nicht frei. "Die nächste steht in Coburg, und ich bezweifle, dass wir die kriegen", sagte Hauser, "das ist peinlich für den Freistaat Bayern, und ich will genau diese Peinlichkeit haben."

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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