Spieler beim FT Gern:Kleine Riesen

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Einst trainierte der Nationalspieler Philipp Lahm bei der FT Gern. In der Jugendmannschaft träumen die meisten vom Leben als Fußballprofi.

Philipp Schneider

Miroslav Klose ist in Bestform, so gut wie heute hat man ihn lange nicht erlebt. Vielleicht weil er sein altes Trikot übergestreift hat, jenes aus dem Sommermärchen von vor vier Jahren, als er noch ein gefährlicher Torjäger war. Plötzlich spurtet der Spanier Fernando Torres die linke Außenbahn entlang, er flankt in die Mitte, wo sich Klose und Robben in die Luft schrauben, Klose legt ab auf Didier Drogba, doch der Ivorer trifft den Ball nicht richtig, der Rest ist Geschichte.

Nationalspieler Philipp Lahm trainirete einst bei der FT Gern. (Foto: Alessandra Schellnegger)

In dieser Mannschaft der großen Namen fehlt eigentlich nur der eine Spieler, der an diesem Ort am ehesten zu erwarten wäre. Der kleine Riese des deutschen Fußballs. Jenes Ausnahmetalent, das auf der linken wie auf der rechten Seite aufgestellt wird. Der Mann, der selbst dann nicht schlecht spielt, wenn er einen miesen Tag erwischt. Aber wohin man auch schaut, kein Philipp Lahm in Sicht.

Hier, auf dem Naturrasenplatz der Freien Turngemeinschaft Gern, muss niemand Lahms Trikot überziehen. Er ist ohnehin allgegenwärtig, weil er in den Köpfen ist. Es wissen ja alle, dass Lahm hier gespielt hat. Sie haben gehört, dass er schon damals gut war, und dass er hier vieles von dem gelernt hat, was ihn heute so besonders macht. Die Kinder, die gerade auf dem Platz stehen, sind Auserwählte. Es ist das Fördertraining der 15 besten Zwölfjährigen der FT Gern.

Hinten im Tor steht ein Junge mit schwarzer Trainingshose, einer der wenigen, der kein Trikot eines Idols trägt. Er schaut konzentriert, ist auffallend still, erst recht für einen Torwart. Daniel Dell'Aversano, Sohn einer schwedischen Mutter und eines fußballverliebten Italieners, spürt, dass der FT Gern seine letzte Chance ist.

Daniel will Fußballprofi werden, er weiß das seit seinem vierten Lebensjahr. "Also schon seit Ewigkeiten", sagt der Zwölfjährige. "Eigentlich seit dem Moment, als meine Mutter versucht hat, mir das Schlittschuhlaufen beizubringen. Ich sollte Eishockeyprofi werden, bin aber hingefallen."

Philipp Lahm war zwölf, als er von der FT Gern zum FC Bayern wechselte und es heißt, dass ein künftiger Profi bis dahin bei einem großen Verein untergekommen sein muss. Daniel hat das versucht. Er war zum Probetraining bei den Bayern und bei 1860 München. Sie lehnten ihn ab. Die Bayern ließen ihm mitteilen, er solle so weitermachen wie bisher. Immer dranbleiben. Bei 1860 waren sie etwas deutlicher. Sie sagten ihm, er könne die Sache mit dem Profifußball vergessen.

Doch Daniel gab nicht auf, seine Eltern gaben nicht auf. Daniel bekam Unterricht an der Deutschen Torwartschule, einer Privatschule, die vom ehemaligen Nationaltorhüter Andreas Köpke betrieben wird. 20 Trainingseinheiten kosten 299 Euro. Daniel sagt: "Ich bin nicht hier wegen Philipp Lahm. Aber wenn er bei Gern war, dann zeigt das doch, dass man es hier schaffen kann, oder nicht?"

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Theodor Grubmüller, seit 13 Jahren Trainer des Leistungskaders bei Gern, kennt diese Einstellung. Graues Shirt, graues Haar, graumelierte Schläfen. Grubmüller ist einer jener gutgelaunten, junggebliebenen 57-Jährigen, die es genießen, wenn sie nach ihrem Alter gefragt werden. Man will von ihm einmal wissen, wann er denn endlich kommt, der nächste Philipp Lahm der FT Gern. "Der Philipp ist doch in Südafrika. Sonst ist er montags öfters hier. Er schließt sich dann im Klubhaus ein und nimmt Tanzunterricht mit seiner Freundin. Die beiden heiraten doch bald."

Die Frage war natürlich anders gemeint, und als es Grubmüller merkt, muss er lachen. "Ach so, eine Art neuer Philipp Lahm? Ja, nee. Den kann man ja nicht züchten. Auch wenn 70 Prozent meiner Mannschaft glauben, sie würden einmal Profi werden, die Wahrscheinlichkeit liegt bei eins zu einer Million."

Ein Kunstrasenplatz, ein Naturrasenplatz und ein kleines, hölzernes Vereinsheim. Das ist die FT Gern. Ein gewöhnlicher Verein, dem zufällig irgendwann das Ausnahmetalent Philipp Lahm beschert wurde. Christian Nerlinger stammt aus der Jugend des TSV Forstenried, Andreas Ottl vom SV Nord Lerchenau. Irgendwo muss eine Karriere ja beginnen. Betritt man das Vereinsheim der FT Gern, kann es passieren, dass einen Daniela Lahm noch in der Eingangstüre fast über den Haufen rennt.

Die Jugendkoordinatorin des Vereins balanciert ein Tablett mit Bier auf die Terrasse, obwohl sie dafür natürlich gar nicht zuständig ist und mit den ganzen Anmeldeanträgen genug zu tun hat, wie sie sagt. Dass sie die Mutter von Philipp ist, lässt sich erst auf den zweiten Blick erkennen. "Es gibt nichts, was mich mehr aufregt, als wenn sich jemand bei uns anmeldet, nur weil Philipp hier schon gespielt hat", sagt Daniela Lahm. "Leider tun das sehr viele, wir werden fast überrannt."

Die Seele des Vereins

Sie gibt jetzt eine Führung durch das Klubhaus, das ja oft die Seele eines Vereins ist. Sicher, es gibt eine Philipp-Lahm-Fotocollage, auch hängen zwei signierte Trikots an der Wand. Eines vom VfB Stuttgart, eines vom FC Bayern. An der Stirnseite ist ein wenig zutreffendes, dafür lebensgroßes Portrait von Philipp an die Wand gepinselt worden.

Aber das Vereinsheim ist kein Museum des Philipp Lahm. Es bleibt Raum für Fotos ganz gewöhnlicher Fußballer, ganz normaler Mannschaften. Jenes vom größten Erfolg der Vereinsgeschichte etwa, dem Aufstieg der ersten Mannschaft in die Bezirksliga 1963.

"Schauen Sie, zum Glück haben wir ein malendes Mitglied mit Talent im Verein". Daniela Lahm deutet jetzt auf das Wandgemälde. Mit Talent ist es so eine Sache. Draußen auf dem Platz geht soeben das Training zu Ende, als doch noch einer an der Seitenlinie entlang schlendert: ein echter Philipp Lahm.

Neun oder zehn Jahre ist er vielleicht, weinend trägt er den Ball unter dem Arm und Lahms Lieblingsnummer auf dem Rücken. Wie hatte Trainer Grubmüller gesagt? Mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million wird er es schaffen.

© SZ vom 12.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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