Skicross:Sofa statt Südkorea

Lesezeit: 4 min

Olympia-Medaillenhoffnung Heidi Zacher erholt sich nach ihrem Kreuzbandriss in ihrer Heimat Bad Tölz - und meistert den Balanceakt als Rednerin bei der Einkleidung des Olympiateams.

Von Sebastian Winter

Gesundsein ist alles: Heidi Zacher in gelbem Anzug und mit rosanem Helm bei einem Rennen in Innichen. (Foto: Daniel Goetzhaber/imago/GEPA pictures)

Die vierte und letzte Runde der Einkleidung für die deutschen Olympiasportler hat begonnen, junge, athletische Frauen im roten Trainingsdress wuseln im Münchner Postpalast umher. Manche packen schon ihr Equipment für Pyeongchang - 60 Teile! - in zwei riesige schwarze Sporttaschen, die sie wiederum in noch riesigere, schwarze Einkaufswägen pferchen. Andere, wie der sehr sehnige Skispringer Richard Freitag oder die sehr, sehr muskelbepackten und tätowierten Bobfahrer, machen sich ohne Scham jenseits der Umkleidekabine oberkörperfrei, um die Passform von T-Shirts, Pullis und Jacken zu testen. So etwas kann schon mal drei Stunden dauern. Zwischendurch: Sponsoren- und Medientermine, dazu Fotoshootings für den Internetauftritt des Olympiateams. Danach, am Stand des Lebensmittelsponsors: Allerlei Müslis, Detox-Drinks mit Ananas, Mango, Orange und Spinat. Und Weißwürste, die wohl eher nicht für die Athleten gedacht sind. Heidi Zacher isst Weißwürste.

Die 29-jährige Tölzerin kann es sich erlauben, das mit den Weißwürsten, weil Pyeongchang für sie gerade weiter weg ist als der Mond. Der Kreuzbandriss, den sie am 14. Januar bei einem Sprung im Training für das Weltcup-Rennen im schwedischen Idre Fjäll (das später abgesagt wurde) erlitten hat, hat ihre Reisepläne Richtung Südkorea zerstört. 2007 war Zacher schon einmal ein Kreuzband gerissen, damals im anderen, dem rechten Knie. 2012 brach sie sich das Scheinbein. Durch die neuerliche Verletzung verpasst sie ihre dritte Teilnahme an Olympischen Spielen - 2010 war sie in Vancouver 20. geworden, 2014 in Sotschi 18. - just zu einem Zeitpunkt, da sie in Bestform war. In der laufenden Saison hatte die WM-Vierte von 2017 bereits ihren Lieblingsweltcup in Innichen gewonnen - und vier weitere Podestplätze in nur sieben Rennen erreicht. Sie galt als Medaillenanwärterin des Deutschen Skiverbandes (DSV) in Pyeongchang. Endlich Edelmetall bei einem Großereignis, das war ihr Ziel. "Man war so knapp dran. Dass es jetzt vorbei ist, ist sehr bitter", sagt sie: "Ich weiß ja, was Olympia für die Sportler bedeutet."

Ein paar Tage lag sie im Krankenhaus nach der erfolgreichen Operation am Montag vor einer Woche, das Handy klingelte fast pausenlos, irgendwann schaltete sie es aus und machte es nur noch an, um mit ihrer Familie zu telefonieren. Sie hat auch Besuch bekommen von ein paar Teamkolleginnen, das hat sie enorm gefreut.

Zacher ist mit dem Taxi angereist, nach München ohne Chauffeur ginge es ja gerade schlecht. Sie trägt im Postpalast wie die anderen Wintersportler das rote DSV-Dress, dazu aber diese mächtige schwarze Orthese um ihr linkes Bein. Und schwarze Stiefel. Es muss ihr wehtun, hier zu sein. Andererseits hat sie sich gefreut über die Einladung des Verbandes. Also nimmt sie ihre Krücken, humpelt mit ihnen aufs Podium, legt sie ab und setzt sich. Die Frau mit den langen blonden Locken soll mit anderen verletzten Athleten, die auch nicht in Südkorea dabei sein können, zum Thema "Teambuilding" referieren. Neben ihr haben Skispringerin Svenja Würth und Skirennläufer Stefan Luitz auf weißen Polstern Platz genommen, allen ist wie Zacher das Kreuzband im linken Knie gerissen. Wie Felix Neureuther und anderen, der Verband erlebt eine fast unheimliche Verletzungsmisere - ausgerechnet vor dem Höhepunkt des Winters in Pyeongchang.

Die Situation ist skurril, denn jene, deren Traum von den Spielen in Sekundenbruchteilen zerborsten ist, blicken nun auf die anderen, die voller Vorfreude ihre Olympiakleidung in die Einkaufswägen packen, schäkern, für die Kameras posieren. Es geht aber eben auch darum, jene Athleten mit ins Boot zu holen, die nun nicht dabei sind. Heidi Zacher sagt: "Es ist eine schöne Plattform hier, dass man wenigstens ein bisschen Olympialuft mitnehmen kann. Und ein schöner Rahmen, in dem man uns nicht vergisst und hinten runterfallen lässt."

Wieder da: Heidi Zacher. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Zacher berichtet von ihren Erlebnissen in Vancouver und Sotschi, von den vielen Sportlern, die sie dort kennengelernt hat und den Kontakten, die bis heute bestünden. Sie erzählt von ihrem Rehaprogramm, das Anfang März beginnen soll, aber jetzt heiße es erst einmal, das Bein ruhigzustellen. Zacher schließt ihren kleinen Vortrag mit einer für sie in diesen Tagen besonders wichtigen Botschaft: "Ich möchte den Sportlern hier noch viel Gesundheit mit auf den Weg geben, und dann freue ich mich, ihnen von der Couch aus zuzuschauen." Sofa statt Südkorea, das ist nun einmal ihr Los. Am Ende gibt es noch Medaillen für das verletzte Trio, was dann doch etwas kitschig ist. Ein paar Minuten nach dem Vortrag verblasst der Schein, ein Mitarbeiter aus dem DSV-Team kommt auf sie zu und sagt: "Du bist die ärmste Sau der Welt." Zacher erträgt die ehrlichen Worte mit einem etwas gequälten Lächeln, sie ist eine Frohnatur, lacht viel, was in dieser Situation durchaus hilfreich ist.

Den Sturz in Schweden hat sie fast schon wieder verdrängt, die harte Landung, das Gefühl, "dass da irgendetwas nicht stimmt". Sie hat in den nächsten Wochen nun viele Termine bei ihrem Physiotherapeuten in Bad Tölz, dann kommt der Rehastart im März, im Sommer möchte sie wieder auf dem Stand-up-Paddleboard stehen, am Sylvenstein- und am Walchensee. Möglichst bald "möchte ich definitiv wieder auf Ski stehen und mit Skicross weitermachen", sagt Zacher. Wenn sie fit ist.

Die Tölzerin hat keine Zukunftsängste, auch weil sie beruflich voll im Leben steht. Sie arbeitet nebenbei als Teamassistentin in einer Bank (gerade ist sie krankgeschrieben), im Herbst 2016 hat sie ihren Abschluss in General Management gemacht. Die Winterspiele 2022 in Peking schweben nun trotzdem über allem. Zacher wäre dann knapp 34. "Keine Ahnung", sagt sie: "Ich habe jetzt erst mal kurzfristige Ziele."

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: