Mixed Martial Arts:Bis aufs Blut

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Viele Fans ergötzen sich bei den Kämpfen in der kleinen Olympiahalle nur an brutalen Duellen. Die Qualität ist nicht so wichtig. Für die Veranstalter ist das ein Problem

Von Jonas Kraus, München

Die Zuschauer schreien wie wild, endlich passiert, worauf alle gewartet haben: Nursu Mamedov hält seinen Münchner Gegner Chris Abdoul im Schwitzkasten und schlägt immer wieder auf dessen Schädel ein. Abdoul aber kann sich befreien und prügelt nun seinerseits den Kontrahenten durch den achteckigen Käfig. Mit einer geschickten Schlagkombination schickt er Mamedov zu Boden, die Fans grölen, sie wollen, dass er sich auf ihn stürzt. Doch Abdoul zögert den Bruchteil einer Sekunde - zu lange. Mamedov rappelt sich auf. Beide sind schwer gezeichnet, doch der Kampf geht weiter. Die Menge jubelt.

Es dauerte am Samstag lange, bis die Zuschauer geschlossen vor Begeisterung johlten. Der Kampf zwischen Mamedov und Abdoul war schon das siebte Duell, das im Rahmen der Kampfsportserie "We love MMA" in der kleinen Olympiahalle ausgetragen wurde. Vor allem anfangs taten sich die Sportler schwer, die überwiegend männlichen Zuschauer von sich zu überzeugen. Viele waren zum ersten Mal live bei einem MMA-Kampf und erwarteten in erster Linie: ein blutiges Spektakel.

Erlaubt ist beim Mixed Martial Arts (MMA) vieles. Der Sport vereint alle gängigen Kampfsportarten in sich, kommt aber mit einem schlanken Regelwerk aus. Gewonnen hat der Kämpfer, der seinen Gegner zur Aufgabe zwingt, ausknockt oder nach den zwei mal fünf Minuten langen Runden die meisten Treffer gelandet hat. Insgesamt gibt es 30 Fouls - einen am Boden liegenden Gegner zu schlagen ist aber erlaubt. Deshalb hatte ein Großteil der 2000 Besucher wohl die Vorstellung, Zeuge von zehn hemmungslosen Prügeleien zu werden.

Dabei gleicht kein MMA-Kampf dem anderen, alles hängt von den Protagonisten ab. Den klassischen Kämpfer gibt es dabei nicht, denn alle wurden vor ihrem Wechsel zu den MMA in unterschiedlichen Disziplinen ausgebildet - haben also klare Stärken. Wenn zwei gute Ringer aufeinandertreffen, kann es passieren, dass sich anstatt eines wüsten Schlagabtauschs ein Ringkampf entwickelt. Sportlich wertvoll, aber wenig spektakulär. Dementsprechend verhalten war die Stimmung in der Halle. Ein unzufriedener Zuschauer brüllte in den Ring: "Ihr sollt kämpfen und nicht Liebe machen."

Für die Sportler ist das ärgerlich. Seit Jahren arbeiten sie daran, dass MMA als Sport und nicht als Prügelorgie wahrgenommen wird. Zwischen 2010 und 2014 durfte der junge Kampfsport aufgrund seiner Brutalität nicht im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden, nun kann es plötzlich nicht mehr brutal genug zugehen. "Viele haben einfach platte Vorurteile gegenüber unserem Sport", klagt Benedikt Schotthöfer, Trainer bei Munich MMA und verantwortlich für Chris Abdoul. Schotthöfer, gepflegter Bart, kurze Haare, sichtlich durchtrainiert, hat vor seiner Trainerlaufbahn selbst MMA-Kämpfe bestritten - und in der Judo-Bundesliga gekämpft. "Die Zuschauer sehen gar nicht, was für ein Aufwand dahinter steckt. Unsere Kämpfer beherrschen viele Sportarten auf höchstem Niveau." Sechs Mal in der Woche trainieren seine Schützlinge, alles Amateure. "Von einem Leben als Profi sind sie ganz weit entfernt."

Deshalb, und das ist ihm wichtig, verheizen sie ihre Kämpfer nicht. Der 19-jährige Afghane Amir Khan Atai, ebenfalls ein Schützling von Schotthöfer, geriet gegen seinen Gegner in die Defensive. Bevor er ausgeknockt werden konnte, beendete Schotthöfer das Duell. "Wir tragen Verantwortung." Bis zur Aufgabe lieferten sich die Kontrahenten einen guten Kampf. Abwechslungsreich, jedoch nicht übermäßig brutal. Die Zuschauer quittierten das Ende mit höflichem, zurückhaltendem Applaus. Bis der Moderator das Wort ergriff. "Viele sind wohl zum ersten Mal bei uns und kennen die Tradition nicht. Aber nach einem guten Kampf applaudiert man den Kämpfern im Stehen." Nach und nach erhoben sich die Fans von ihren Sitzen. Gejohlt hat keiner.

Doch auch wenn es dauerte, bis der Funke letztlich auf alle Fans übersprang: MMA ist ein Trendsport, der auch in Deutschland immer beliebter wird. "We love MMA" startete 2009 in Berlin, das Event in München war bereits die 38. Auflage. "MMA wird weiter wachsen und mehr Zuschauer anlocken", sagt Veranstalter Marcus Wortmeier bestimmt. Alleine im vergangenen Jahr seien mehr als 20 000 Besucher zu seinen Veranstaltungen geströmt.

Doch um neue Fans zu gewinnen, braucht es spektakuläre Bilder. Ausgedehnte Ringkampfeinlagen sind schwer zu vermarkten. Deshalb werden die Kämpfe zum Schluss hin immer besser, die Duelle härter. Alles folgt einem Plan.

Abdoul, ein hervorragender Boxer, und Mamadov, ein starker Ringer, liefern dann, was die Zuschauer sich wünschen. Obwohl beide mit den Kräften am Ende sind, prügeln sie weiter aufeinander ein, Mamadov hebt Abdoul einmal gar aus und wirft ihn krachend zu Boden. Am Ende entscheiden die Kampfrichter auf Unentschieden. Die Menge jubelt. Der Unmut zu Beginn: längst vergessen.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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