Fußball:Zwischen Bürgerpflicht und Kür

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Sie wollen nur spielen: Mit Bayerns erster Flüchtlingsmannschaft im Fußball-Spielbetrieb ist der ESV Neuaubing bundesweit bekannt geworden. (Foto: Florian Peljak)

Viele Klubs in und um München kümmern sich mit Hingabe um Flüchtlinge. Sie integrieren sie in ihr Vereinsleben und in den Spielbetrieb - selbst wenn deren Bleiberecht oft ungewiss ist

Von Andreas Liebmann, München

Der Weihnachtsmarkt des SV Dornach war keine Großveranstaltung. Kurz vor dem Fest kamen die Sportler noch einmal gemütlich zusammen: fünf Buden, ein Lagerfeuer, mehr nicht. In einer servierten junge Männer aus Zentralafrika ein Kokos-Schmalzgebäck aus ihrer Heimat. "Ausgezeichnet" war es, lobt Klubchef Gerhard Vodermeier. Der Aschheimer Ortsteil hat 1000 Einwohner, mehr als 600 sind Mitglieder in seinem Sportverein. Im nahen Industriegebiet sind zurzeit allerdings mehr als hundert Asylsuchende untergebracht, zwischenzeitlich war dort eine Notunterkunft für Tausende. Das hat das Dorf- und Vereinsleben verändert.

"Wir waren uns einig, dass wir nicht 120 junge Männer in Blechcontainern dem Nichtstun überlassen", erinnert sich Vodermeier an den ersten Kontakt mit den neuen Nachbarn. "Die wollen ihre Power auch ausleben. Also haben wir sie zum Training eingeladen, ihnen Möglichkeiten, Rechte, aber auch Pflichten dargelegt." Einige Monate später also hatten einige von ihnen afrikanische Nachspeisen zubereitet. In alle Aktionen des Klubs seien die Neuen eingebunden, sagt Vodermeier: "Bayerische Grundbegriffe wie "Servus' und ,Griaß di' beherrschen sie fließend." 17 haben einen Spielerpass als Fußballer bekommen, dafür hat der SV Dornach 850 Euro bezahlt; einer hat durch den Verein sogar einen Job gefunden. Einige der Männer spielen für Dornachs zweite Mannschaft, die meisten bilden eine dritte, die in der B-Klasse 5 Fünfter ist. Im Training sind noch viel mehr. Mitgliedsbeiträge werden nicht verlangt. "Wir hatten einige Schwierigkeiten mit der Disziplin erwartet, weil die ja kein Vereinsleben kennen", gesteht Vodermeier, doch von Anfang an laufe alles reibungslos. "Nur das Bleiberecht steht auf tönernen Füßen." Aus Mali, Senegal, Eritrea kommen die jungen Männer, viele werden wohl irgendwann wieder weggeschickt. "Das ist extrem unbefriedigend", findet er, "man hat doch Herzblut reingesteckt und denen das Dorfleben nähergebracht."

Dornach ist kein Einzelfall, ganz im Gegenteil. Die erste Flüchtlingsmannschaft des ESV Neuaubing ist bundesweit durch die Presse gegangen. Überall im Großraum München versuchen Sportvereine, speziell im weltumspannenden Fußball, Asylsuchende aufzunehmen. Und so wie Vodermeier geht es auch Heinz Eichinger in Vierkirchen, einem kleinen Dorf bei Dachau. "Es weiß ja keiner, wie lange die bleiben", bedauert er. "Das sind dann schon Tragödien, wenn die wieder gehen müssen. Man gewöhnt sich doch an die Burschen."

Im Helferkreis des Dorfes ist Eichinger für all jene zuständig, die aus den nahen Containern raus in einen Sportverein wollen. "Dann kümmere ich mich um alles Organisatorische", erzählt er, das sei ein Haufen Arbeit. 50 Erwachsene und zehn unbegleitete Minderjährige betreut er. Einige interessierten sich auch für andere Sportarten, etwa für Basketball, "aber das Gros will Fußball spielen". 20 kicken zurzeit in Vierkirchen, wo sein Sohn Harry Eichinger Technischer Leiter der Fußballabteilung ist. Drei haben es in die erste Mannschaft geschafft. "Die sind auch eine sportliche Verstärkung", sagt Harry Eichinger.

Der Anfang im Frühjahr sei nicht einfach gewesen, erzählt sein Vater. "Mehrmals war ich bei denen und habe gefragt, wer im Mai zu einem ersten Training kommen will", erinnert sich Heinz Eichinger. "Ich habe Zettel aufgehängt. Drei oder vier haben sich gemeldet." Doch dann habe ihn fast der Schlag getroffen, als er zu besagtem Training kam, denn den neuen Spielertrainer erwarteten neben 30 Vierkirchnern noch 18 Asylsuchende. "Der Trainer ist toll damit umgegangen", lobt er. Nach zwei Wochen hätten die Flüchtlinge sogar ein Freundschaftsspiel gegen die Vierkirchner gewonnen. Auch sie kommen aus Sierra Leone, Senegal, Nigeria, Eritrea, viele mit geringer Bleibeperspektive. Dennoch hat sie der Helferkreis mit Sportkleidung ausgestattet, und jeder Asylsuchende im Team hat einen Paten bekommen, der sich um die fußballerischen Belange seines Schützlings kümmert, ihm die Regeln und Gepflogenheiten erklärt. Die meisten sprechen gut Englisch.

Bernhard Slawinski gerät ins Schwärmen angesichts solcher Beispiele. Münchens Kreisvorsitzender beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) hat das Gewaltpräventionsprojekt "Fairplay München" gegründet, doch vor fast genau einem Jahr, als er eine Zwischenbilanz dieser Arbeit ziehen sollte, da warnte er in dieser Zeitung lieber vor der nächsten großen Herausforderung: der Flüchtlingswelle, die auch auf die Fußballvereine zurollen werde. Nun, ein Jahr später, ist er nicht nur ob der eigenen Weitsicht begeistert: Es sei toll, welche Integrationsfähigkeit der Fußball biete und wie stark sich die Vereine einbrächten. Er selbst verstehe sich als Motivator, als einer, der Vereine davon überzeugen wolle, sich Flüchtlingen anzunehmen, der Kontakte herstelle. Er sehe ja, wenn Vereine Probleme hätten, ihre unteren Mannschaften zu bestücken. Für die Flüchtlinge sei es wichtig, nicht nur in den Unterkünften zu sitzen, sondern ausbrechen zu dürfen, beim Sport Freunde zu treffen. Die BFV-Sozialstiftung hat 1000 Paar Fußballschuhe verschenkt, die Egidius-Braun-Stiftung half Vereinen mit je 500 Euro; in Vierkirchen zum Beispiel werden davon gerade Hallenschuhe angeschafft. Man dürfe die Neuen nicht mit Samthandschuhen anfassen, findet Slawinski, sie sollten auch bei Veranstaltungen helfen, bei Aufräumarbeiten - wie alle anderen Mitglieder eben auch. Wo er auch hinsieht: All das klappe gut.

Zurzeit findet Fußball natürlich in der Halle statt, doch viele Sporthallen sind blockiert - durch Flüchtlinge. "Da sägt sich die Politik den eigenen Ast ab", sagt Slawinski und bricht eine Lanze für die Stadt München. Dem Sportamt sei es im Gegensatz zu vielen Städten und Gemeinden im Umland gelungen, keine einzige Sporthalle für Asylbewerber zu nutzen. Für Februar werde gerade ein Turnier geplant mit lauter Klubs, in denen Flüchtlinge spielen.

Slawinski sieht die Sportvereine in der Pflicht, solches Engagement zu zeigen, das zähle zu ihren sozialen Aufgabe, zu den Bürgerpflichten. Dennoch ist er begeistert, wie gut alles läuft. Auch viele Klubs mit Migrationshintergrund packten an, Türkspor Allach, SV Italia; der Anstoß zu dem Turnier im Februar komme von Maccabi München. "Über alle Religionsgrenzen hinweg engagieren sich viele vernünftige Leute", staunt er, die positive Stimmung und Willkommenskultur rund um München seien "unglaublich". So könne erst gar keine Angst vor Fremdem entstehen. Slawinski findet: "Wir dürfen auch mal stolz sein auf unsere Region."

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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