Fußball:Nächste Abzweigung Norwich

Lesezeit: 3 min

„Am Talent liegt’s nicht“: Moritz Leitner, hier 2010 im Trikot der Löwen. (Foto: imago sportfotodienst)

Der Münchner Moritz Leitner, einst ein umworbener Junioren-Nationalspieler, wird in Englands zweite Liga verliehen.

Von Sebastian Fischer, München

Der Fußballer Moritz Leitner hat in den vergangenen Monaten einige Klischees erfüllt, die seiner Berufsgruppe anhaften. Das ist auf seinem Instagram-Account zu sehen, Leitner ist dort sehr erfolgreich, seine Beiträge abonnieren rund 188 000 Menschen. Auf den Fotos ist er dabei zu beobachten, wie er sich selbst in neuer Markenkleidung vor dem Spiegel betrachtet, wie er mit der Prominenz posiert, mit Boxern und Schauspielern, wie er Playstation spielt. Leitner macht, was viele Fußballer in ihrer Freizeit eben so zu tun pflegen.

Allerdings, das ist das Problem, hat er ein einschlägiges Fußballerklischee zuletzt ausgelassen: Leitner,25, hat seit Monaten kein einziges Fußballspiel bestritten. Doch das soll sich nun ändern.

Am Donnerstagabend hat Leitners Arbeitgeber, der Bundesligist FC Augsburg, bekanntgegeben, ihn bis zum Ende der laufenden Saison an den englischen Zweitligisten Norwich City auszuleihen. Dort soll er Spielpraxis sammeln, heißt es in einer Mitteilung des Klubs, in der auch Leitner zitiert wird. "Ich bin jemand, der darauf brennt, möglichst oft spielen zu können", sagt er, und dass er in England sicher etwas lernen könne, "was mir bei meiner Rückkehr in die Bundesliga nützlich sein wird. Jedes Spiel dort wird mir gut tun." Ein Einsatz in England wäre für ihn der erste seit dem 22. April 2017. Damals wurde Leitner für acht Minuten im Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt eingewechselt.

Nun muss man wissen, dass der gebürtige Münchner Leitner 2010, als 17 Jahre alter Mittelfeldspieler bei 1860 München, von sechs Vereinen umworben und schließlich von Borussia Dortmund verpflichtet wurde, für rund 600 000 Euro Ablöse, die 1860 vor einer finanziellen Notlage bewahrten. Man muss auch wissen, dass Leitner 97 Bundesligaspiele bestritten hat und 24 Länderspiele für Deutschlands U 21. Man muss das wissen, um die Frage zu stellen: Was ist bloß passiert? Warum wird Leitner nun zum dritten Mal in seiner Karriere verliehen? Warum ist aus ihm kein Stammspieler geworden?

"Ganz klar", sagt Reiner Maurer, der Leitner bei 1860 einst zum Profi machte und sein erster Trainer im Männerfußball war: "Am Talent liegt's nicht."

Maurer erinnert sich, wie er Leitner einst aus der A-Jugend zu den Profis berief, weil ihm dessen enge Ballführung auffiel und eine außergewöhnliche Gabe, mit Pässen Räume zu erschaffen, das Spiel aus dem Mittelfeld in die Spitze zu beschleunigen, zu entscheiden. Doch Maurer erinnert sich auch, dass Leitner damals schon bei den A-Junioren oft auf der Bank gesessen hatte, sich mit dem einen Mitspieler oder dem anderen Jugendtrainer angelegt hatte. Ja, sagt Maurer und lacht, so könne man das beschreiben: Leitner war immer einer der Besten. Aber vielleicht hat er sich zu oft darauf ausgeruht und es heraushängen lassen, einer der Besten zu sein. Vielleicht ist das bis heute so.

Nach zwei Jahren in Dortmund ging Leitner 2013 zur Leihe zum VfB Stuttgart. Dort traf er auf den knurrigen Trainer Huub Stevens, der sagte, Leitner sei einer, der "gern schöne Bälle spielt" - es war nicht als Kompliment gemeint. Aus einem Trainingslager ist die Anekdote überliefert, dass Leitner in einem Trainingsspiel eine Schiedsrichterentscheidung kritisierte und Stevens daraufhin brüllte: "Immer diese Klappe! Geh' laufen! Und morgen läufst du um sechs!" Horst Hrubesch, damals U 21-Bundestrainer, musste persönlich nach Stuttgart fahren, um zu vermitteln, dass Leitner immerhin in der Reserveelf spielen durfte. Maurer sagt: "Der Moritz braucht besondere Fürsorge."

Leitner ging nach Dortmund zurück, wechselte 2016 zu Lazio Rom und spielte wenig. Er wechselte im Januar 2017 nach Augsburg, wo er bereits 2011 einmal zur Leihe gewesen war. In Augsburg traf er auf Manuel Baum, seinen früheren Lehrer an der Realschule in Taufkirchen. In Augsburg erhofften sie sich, dass Leitner den bisweilen monotonen Konterfußball des FCA mit feiner Spielkultur bereichern könne. Doch Baum sagte auch: "Wir erwarten, dass er sich in dem einen oder anderen Bereich entwickelt und an das anpasst, was wir wollen." Das ist offenbar bislang nicht geschehen. In einem Jahr spielte Leitner nur zwei Mal von Beginn an.

In Norwich trifft er auf sieben deutsche Mitspieler und auf den Trainer Daniel Farke, den er noch aus Dortmund kennt, Farke arbeitete dort als Coach der U23. Doch Leitner, 1,76 Meter groß, 66 Kilo leicht, trifft auch auf physisch starke Gegenspieler in einer von ruppigem Fußball geprägten Liga. "England, ob das optimal ist?", fragt Reiner Maurer. Die Antwort kennt er nicht.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: