Fußball:Harmonie in wilder Ehe

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Im zweiten Anlauf beginnt sich der VfR Garching in der vierten Liga zu etablieren. Ein Erfolgsrezept ist, dass sich begabte Spieler wie Zugang Manuel Eisgruber ohne Druck entwickeln können

Von Stefan Galler, Garching

Einige Sekunden Stille. Dann erst antwortet Daniel Weber, und man merkt, dass er sich keinen Standardtext zurechtgelegt hat. Es geht um die Frage nach dem Erfolgsrezept des VfR Garching, der als Aufsteiger nach zwölf Spieltagen Rang fünf in der Fußball-Regionalliga belegt. Punktgleich mit dem 1. FC Nürnberg II, nur drei Zähler hinter Bayern II und 1860 II, die allesamt unter Profibedingungen arbeiten. Nach der kurzen Denkpause setzt der Trainer zur Antwort an - und die fällt erst mal unbefriedigend aus: "Ich kann es gar nicht beschreiben", sagt Weber. "Man muss wahrscheinlich die zehn Jahre, die ich jetzt hier bin, betrachten. Wirklich definierbar ist der Erfolg nicht."

Vor zwei Jahren schaffte es der Breitensport-Verein aus dem nördlichen Landkreis München schon einmal in die vierthöchste Spielklasse. Damals zahlte er vom Start weg Lehrgeld, krebste immer im hinteren Tabellendrittel herum und musste nach zwei Niederlagen in der letzten Relegationsrunde gegen den FC Amberg (0:2; 0:1) in die Bayernliga zurück. Nun also der zweite Versuch, was bedeutet, dass ein Teil des Kaders mittlerweile über eine gewisse Regionalligaroutine verfügt. "Vielleicht waren wir im ersten Jahr ein bisschen zu ehrfürchtig. Jetzt haben die meisten ihre Erfahrungen in dieser Liga gesammelt, das gilt ja auch für einen Großteil unserer Neuzugänge. Und schon haben wir nicht mehr so viel Respekt", sagt Weber.

Übermäßiger Respekt vor dem Gegner, Druck, Angst vor dem Versagen - werden derartige Gefühle zu stark, geht im Fußball oft gar nichts mehr. In Garching dagegen wird größter Wert darauf gelegt, dass die Spieler von derlei Ballast befreit bleiben: "Man muss mir einfach mal glauben, dass wir überhaupt keinen Druck von außen bekommen", sagt Weber. Konkret heißt das, dass weder die Fußball-Abteilungsleitung, namentlich Franz Hölzl und dessen Stellvertreter Günter Niebauer, noch der VfR-Gesamtvorstand um Uwe Cygan ihm jemals vorgegeben hätten, "was ich tun oder lassen soll", betont der 43 Jahre alte Coach. Das gelte auch für Spielerverpflichtungen. "Ich kann holen, wen ich will. Und ich weiß ganz genau, was machbar ist und was nicht", sagt Weber.

Aktuell verstärkte er den Kader mit Innenverteidiger Daniel Müller, 23, der aus der Jugend von Eintracht Frankfurt stammt, bis 2015 für Bayern Alzenau in der Regionalliga Südwest und Hessenliga kickte und zuletzt ein gutes Jahr in Schweden verbrachte. Müller erhielt nach einem länger schwelenden Streit mit dem Weltverband Fifa um seine Spielberechtigung nun endlich seine Freigabe.

Diese Verpflichtung ist ein weiteres Zeichen dafür, dass man sich beim VfR trotz der 20 Punkte auf dem Konto seiner Sache keineswegs sicher ist. Und schon kommt Weber auf den FC Amberg zurück, der ihn und seine Garchinger damals aus der Liga bugsiert hatte: "Die standen zu Beginn der letzten Saison ähnlich gut da wie wir heute." Es folgte eine üble Rückrunde mit vier Punkten aus den letzten 16 Saisonspielen. "Da haben wir das mahnende Beispiel vor der Nase. Wir sollten tunlichst nie selbstzufrieden werden", folgert Weber. "Und ich werde natürlich weiterhin manchmal nervig und lästig sein, damit nichts einreißt."

Denn auch wenn kein offizieller Auftrag existiert, im zweiten Versuch erstmals den Verbleib in der Regionalliga zu schaffen, so ist der Ehrgeiz beim Coach und den Spielern doch groß, diesen größten Erfolg der Vereinsgeschichte zu schaffen. Und dazu ziehen alle an einem Strang. Man nehme das Beispiel Manuel Eisgruber, 27, Zugang vom Bayernligisten FC Pipinsried und in den bisherigen Saisonspielen mit sieben Toren sogar treffsicherer als Garchings Leitfigur Dennis Niebauer (sechs Tore). "Er ist wahnsinnig mannschaftsdienlich, passt charakterlich perfekt zu uns", lobt Weber den Neuen, der vor etwas mehr als zwei Jahren noch beim Bezirksligisten SV Sulzemoos spielte und davor beim damaligen Landesligisten BCF Wolfratshausen.

Eisgruber gibt die Komplimente artig zurück: "Es geht sehr familiär zu in Garching, aber auch geradlinig, das mag ich. Gerade die älteren Spieler haben sich sehr darum bemüht, dass ich gut aufgenommen werde", sagt der Angreifer, der bei Garching nicht nur auf seiner Lieblingsposition im Sturmzentrum eingesetzt wird, sondern auch mal auf dem linken Flügel. "Jeder im Verein weiß, dass keiner alleine erfolgreich sein kann, da muss man sein Ego auch mal hinten anstellen", so Eisgruber. Über seinen vorherigen Klub FC Pipinsried will sich der 27-Jährige nicht äußern. Doch seine Aussagen zum VfR kann man durchaus in Kontrast stellen zum autoritären Führungsstil des dortigen Präsidenten Konrad Höß: "In Garching kann man beruhigt Fußballspielen, da gibt es keinen Druck auf den Trainer und schon gar nicht diesen öffentlichen Druck, der über die Presse ausgeübt wird."

Eine Atmosphäre also, in der es sich gut und erfolgreich kicken lässt. Und die dazu beiträgt, dass selbst Ausnahmefußballer wie Dennis Niebauer dem Verein stets die Treue hielten, obwohl sie in höhere Ligen hätten wechseln können. Daniel Weber weiß das zu schätzen: "Dennis hat mal zu mir gesagt: 'So lange du dafür sorgst, dass es hier keinen Stillstand gibt, bleibe ich.' Und das sehe ich als meine Aufgabe an."

Bleibt die Frage, warum auch der Coach eine solche Vereinstreue an den Tag legt. "Ich habe schon seit fünf Jahren kein Angebot von einem anderen Klub mehr bekommen", sagt der gebürtige Rheinländer und wirkt fast etwas gekränkt. Selbst wenn er noch anfügt, dass er nicht mit dem VfR verheiratet ist, "auch wenn es so aussieht", wirkt er doch durchaus glücklich in dieser wilden Ehe: "Ich kann schon sagen, dass ich jene Zufriedenheit spüre, die nötig ist, um seine sportlichen Ziele zu erreichen."

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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