Fußball:Großes Herz

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Nach dem Training bricht Fürstenfeldbrucks Mittelfeldspieler Fernando Ernesto zusammen, die Ärzte geben später Entwarnung. Der Vorfall ist nur ein Kapitel aus dem turbulenten Leben eines 25-Jährigen aus Angola, der Fußballprofi werden wollte - und in der Landesliga strandete

Von Fabian Swidrak, Fürstenfeldbruck

Sein Herz schlug immer schneller, seine Schritte wurden immer kleiner, die Abstände dazwischen größer. Mehrmals musste Fernando Ernesto auf dem kurzen Fußweg von der S-Bahn-Station Starnberg nach Hause stehen bleiben. Seine Kräfte schwanden. Der Schmerz war kaum auszuhalten, "er fühlte sich an wie Seitenstechen, nur eben in der Nähe des Herzens", erzählt er. Kurz danach brach Ernesto zusammen.

"Ich hatte Angst um mein Leben", sagt er und blickt nach oben. "Meine Mutter starb an einem Herzinfarkt, auch mein Vater hat Probleme. Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet." Ernesto sitzt vor dem Vereinsheim des Landesligisten SC Fürstenfeldbruck, zu dem er in der Sommerpause gewechselt ist. Auch am Abend seines Zusammenbruchs war er zuvor dort gewesen und hatte trainiert.

Drei Wochen liegt der Vorfall nun zurück. Ein Unbekannter hatte ihn nach seinem Zusammenbruch in die nahe Klinik gefahren, wo er zwei Tage auf der Intensivstation lag. Erst dann die Entwarnung: Ernesto hat weder eine Herzkrankheit, noch hatte sich der erste Verdacht eines Herzmuskelfaserrisses bestätigt. Muskuloskelettale Thoraxschmerzen, so die Diagnose. Starke Schmerzen im Bereich des Brustkorbs, ausgelöst durch Überbelastung.

Erstmals nach seinem Zusammenbruch stand Ernesto beim Heimspiel gegen die Spielvereinigung Kaufbeuren (0:0) vor zwei Wochen wieder in der Startelf. Alle 14 Tage geht Ernesto nun vorläufig zum Arzt und lässt ein EKG anfertigen. "Zur Sicherheit. Beim Herzen hört der Spaß echt auf." Es gibt genügend warnende Beispiele, auch unter Fußballern.

Fernando Ernesto bei den U-19-Junioren des FC Bayern, wo er sich nicht gegen Toni Kroos durchsetzen konnte. (Foto: Imago)

Der Vorfall, er ist lediglich ein kleines Kapitel aus dem turbulenten Leben, auf das der 25-jährige Altenpfleger bereits zurückblicken kann. Ernesto war nah dran an einer Karriere als Profifußballer. Als 14-Jähriger zog er ins Internat des FC Bayern München und spielte dreieinhalb Jahre in dessen Nachwuchsmannschaften. "Die Position des Achters war meine", sagt Ernesto. Er war ein guter Achter. Einer aber war im selben Jahrgang noch besser: Toni Kroos. "Was er mit dem Ball angestellt hat, war damals schon verrückt. Irgendwann habe ich eingesehen, dass ich gegen ihn keine Chance haben werde." Ernesto verließ die Münchner nach dreieinhalb Jahren und wechselte zur U19 des FSV Mainz 05. Schlecht sei dieser Schritt nicht gewesen, sagt er. Den Durchbruch aber schaffte er auch dort nicht.

"Der Tod meiner Mutter hat mich psychisch komplett aus der Bahn geworfen", sagt er. Eine Ausrede solle das nicht sein. "Aber er war wie eine Blockade. Ich konnte meine Leistung nicht mehr bringen." Ernesto war gerade 18, als seine Mutter starb. Er hat sie nie kennengelernt.

Ernesto wurde in Angola geboren. Seine Eltern trennten sich, als er nicht einmal ein Jahr alt war. Die Mutter verschwand, sein Vater floh wegen des Bürgerkriegs nach Deutschland, Ernesto wuchs bei seiner Großmutter und einer Tante auf. Erst im Jugendalter begann er, nach seiner Mutter zu suchen und Kontakt herzustellen. Ihr Tod aber kam einem Treffen zuvor.

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(Foto: Toni Heigl)

In Dachau...

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(Foto: Claus Schunk)

...Ismaning...

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(Foto: Imago)

...Heimstetten...

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(Foto: Imago)

...und bei den Junioren von Mainz 05 spielte er nur kurz.

Sechs Jahre war Ernesto alt, als auch er mit Großmutter und Tante Angola Richtung Portugal verließ. "Angola war eine portugiesische Kolonie, das bot sich an", sagt Ernesto, der dort in der Jugend für Sporting Lissabon spielte. "Das war aber lange nicht so professionell wie man denkt, wenn man den Namen hört", sagt er. Erst mit elfeinhalb Jahren kam er schließlich nach Deutschland zu seinem Vater. Kontakt hat er auch zu ihm heute kaum noch.

"Ich hatte trotz aller Umstände eine schöne Kindheit", sagt Ernesto. Viele Kinder, die älter als 14 Jahre alt waren, mussten im Bürgerkrieg kämpfen. Ernesto aber hatte schon in Angola Zeit für Fußball. Davon profitiert er heute noch. Die Technik ist seine große Stärke. "Taktische Dinge habe ich erst in Deutschland gelernt", sagt Ernesto. Er ist ein echter Straßenfußballer, ein Freigeist, auf und neben dem Platz. Oft wechselte Ernesto in den vergangenen Jahren den Verein. SpVgg Bayreuth, SV Heimstetten, 1. FC Schweinfurt 05, FC Pipinsried, FC Ismaning, TSV 1865 Dachau und nun eben Fürstenfeldbruck. Für alle spielte er, seit er Mainz nach nur einer Saison wieder verlassen hatte.

Nicht immer gingen Ernesto und die Klubs ohne Konflikt auseinander. Pipinsrieds Spielertrainer Tobias Strobl suspendierte Ernesto im April 2013, nachdem der Mittelfeldspieler seine Emotionen mehrmals nicht im Griff gehabt hatte und mit Mannschaftskameraden aneinandergeraten war. "Manchmal war er eben fast zu ehrgeizig", sagt Strobl heute. Auch eine Karriere im höherklassigen Fußball könnte daran gescheitert sein. "Ich habe den Eindruck, er wollte oft zu viel auf einmal."

In Pipinsried wurde er suspendiert. (Foto: Toni Heigl)

Beim FC Ismaning trainierte Ernesto unter Xhevat Muriqi. "Talentierte Spieler neigen nun einmal dazu, sich auf Lob auszuruhen. Ob du erfolgreich bist, hängt aber zu 60 bis 70 Prozent von Arbeit, Disziplin und Glück ab, nicht von Talent", sagt dieser über seinen ehemaligen Mittelfeldspieler.

Beide Trainer aber, und da sind sie sich einig, betonen, wie hoch die individuelle Klasse des Fußballers Fernando Ernesto ist. Und wie sympathisch der Mensch Fernando Ernesto trotz aller Ecken und Kanten ist. "Fernando hat ein gutes Herz", sagt Strobl. Zum Glück auch ein gesundes.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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