Extremsport:Drachenzähmen schwer gemacht

Lesezeit: 3 min

"Das ist der Wahnsinn": Die Teilnehmer des Ice-Cross-Downhill-Rennens im Münchner Olympiapark dürfen sich auf den Ritt über einen Kurs freuen, der laut Veranstalter so herausfordernd ist wie noch nie. Das Risiko ist Teil der Show

Von Christian Bernhard

Wie ein weißer Drache schlängelt sich derzeit ein Eisband über den Münchner Olympiaberg in den Olympiasee, 370 Meter lang, bewehrt mit Sprüngen, Wellen, Hindernissen und Steilkurven. Ein Kurs, der laut Veranstalter "völlig neue Maßstäbe setzt". Die Vorstellung, diesen Kanal schnellstmöglich herunterzubrausen, ruft bei den meisten Betrachtern Kopfschütteln hervor.

Martin Niefnecker ist einer von jenen, die sich auf Schlittschuhen diese Eisrinne hinunterstürzen. Ice Cross Downhill nennt sich die Sportart, die am Freitag (18 Uhr, Teamwettbewerb) und Samstag (17.30 Uhr, Finale Einzel) den Olympiapark beherrschen wird, jeweils vier Läufer (im Teamwettbewerb sechs) sind dabei gleichzeitig unterwegs. 20 000 Zuschauer sollen kommen. Niefnecker weiß, dass das, was er und seine Kollegen treiben, wenig mit Normalität zu tun hat. Jeder, den er frage, "sagt mir: Das ist Wahnsinn, was ihr da macht". Für Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns bleibt ihm bei Geschwindigkeiten bis zu 50 Stundenkilometern allerdings keine Zeit.

"Deine Angst musst du zu Hause lassen können." Der Garmischer Niefnecker kam durch seinen Vater mit sechs Jahren zum Eishockey und schaffte es bis in die Nachwuchs-Bundesliga. Parallel dazu stand er immer viel auf Skiern. Zum Ice Cross Downhill kam er, wie er sagt, "über viele Umwege, mehrere Ecken und blöde Zufälle". 2007 richtete ein Bekannter ein Qualifikationsrennen in Prag aus, Niefnecker nahm daran teil - und schon war er infiziert. 2010 kürte er sich zum ersten Weltmeister der Ice-Cross-Downhill-Geschichte. Eishockey und Skifahren spielen auch heute noch eine große Rolle im Alltag des 25-Jährigen, sie sind die Basis seines Trainingsprogrammes, das Gleichgewicht, Reaktionsfähigkeit und Schnellkraft fördern soll. Im Sommer sitzt er viel auf dem Rad und ist auf Inlineskates unterwegs - Hauptsache draußen und nicht im Fitnessstudio.

Seine Eishockey-Vergangenheit hilft Niefnecker im Eiskanal, denn Körperkontakt gibt es in dem schmalen Korridor häufig. Andere Fahrer, die vom Kunstlauf kommen, stünden erstaunlicherweise "echt gut" auf den Schlittschuhen, erzählt er, sobald Kontakt erfolge, "tun sie sich aber schwer". Dass dieser Kontakt übel ausgehen kann, erfuhr Niefnecker vor zwei Jahren am eigenen Leib. Beim Weltcup in Quebec (Kanada) brach sein Sprunggelenk, als ein Konkurrent nach einem Sprung in seinem Rücken landete. Obwohl Stürze besonders im Training an der Tagesordnung sind - um schnellstmöglich über die Hindernisse zu kommen, würden "teilweise vogelwilde Sachen" ausprobiert -, sei dies seine einzige schwere Verletzung geblieben. "Es ist nicht so wild, wie man meinen könnte."

Niefneckers Beschreibung der Praxis im Eiskanal macht allerdings deutlich, dass die Läufer ständig am Limit agieren. Um vor den Sprüngen nicht auf den letzten Platz zurückzufallen, dürfe man vorher nicht bremsen, erklärt er. Die Folge: "Du weißt von vornherein, dass du zu weit springst." Diese Risiko müsse man eingehen und "hoffen, dass du den Sprung stehst". Das gilt nun besonders im Olympiapark, wo der mit rund 20 Metern bisher weiteste Sprung auf die Läufer wartet. "Das wird mit Sicherheit interessant", sagt Niefnecker mit einem Schmunzeln. Immer weitere Sprünge sind Teil der immer bizarrer anmutenden Show der an sich schon spektakulären Sportart. "Die Strecken werden immer extremer und auch ein bisschen gefährlicher", sagt Niefnecker, zudem wird immer mehr an der Ausrüstung eingespart, um windschnittiger und beweglicher zu sein.

Wendigkeit ist ein großes Thema. Früher seien die Läufer meist um die zwei Meter groß und 100 Kilo schwer gewesen, erzählt Niefnecker, "klassische Eishockeytypen eben". Heute sind sie oft deutlich kleiner und wiegen teilweise nur noch 55 Kilo, wodurch sie um einiges beweglicher sind. Das Niveau der Fahrer sei "enorm gestiegen", betont Niefnecker, mittlerweile könnten 30 Fahrer ein Rennen gewinnen.

Von Schlittenhunden mit bis zu 40 Stundenkilometern über einen zugefrorenen See in Finnland gezogen wurden allerdings nur Niefnecker und zwei seiner Kollegen. "Das war eine der tollsten Erfahrungen, die ich bisher in diesem Bereich gemacht habe", schwärmt er. In München wird er nicht in diesen Genuss kommen: der Olympiasee ist weit davon entfernt, vereist zu sein.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: