So wie alle Profi-Eishockey-Mannschaften hat auch der EHC München einige tall guys in seinen Reihen, die großen Kerle, die den Gegner durch ihre bloße Präsenz beeindrucken sollen. Matt Smaby etwa, 1,96 Meter, 108 Kilogramm schwer, oder Steve Pinizzotto, der zwar nur 1,85 Meter groß ist, seine knapp 100 Kilogramm aber unmissverständlich einzusetzen weiß. Jeremy Dehner tänzelt förmlich aus dieser Reihe: 1,76 Meter, eleganter Schlittschuhläufer, ruhig und zurückhaltend. Dehners unscheinbares Auftreten abseits der Eisfläche kontrastiert indes stark mit seinen sportlichen Leistungen. Auf dem Eis ist der 28-jährige Amerikaner momentan der auffälligste und spielstärkste Münchner Verteidiger.
Dehner steht seit Sommer 2014 beim EHC unter Vertrag. So richtig angekommen in München ist er aber erst in der aktuellen Spielzeit der Deutschen Eishockey Liga (DEL). "Ich bin gesund und fühle mich gut", sagt er, "das ist der große Unterschied zum letzten Jahr." In der vergangenen Saison hatte er aufgrund eines Adduktorenrisses monatelang zuschauen müssen. Bis zum Ende der Hauptrunde kam er nur auf 16 Spiele, in denen er ohne Tor blieb. Er habe sich damals "wertlos" gefühlt, sagt Dehner, "düstere Gedanken" seien in ihm während der langen Pause aufgekommen. Ende Januar gab der Zugang von Jokerit Helsinki zwar sein Comeback, konnte aber keine großen Akzente mehr setzen. EHC-Co-Trainer Matt McIlvane kann das gut nachvollziehen. "Wenn du als Spieler nach einer langen Pause zurückkommst, ist es schwer, du selbst zu sein", erklärt er. Gesund zu sein und sich gesund zu fühlen, mache einen großen Unterschied.
Dehner ist ein gutes Beispiel für diese These. Seine Qualitäten, die vergangene Saison allenfalls durchschimmerten, bringt er nun regelmäßig aufs Eis. Er spiele "eine große Rolle in unserem Team", sagt McIlvane über Dehner, "er ist an der Scheibe ein Top-Verteidiger, sehr professionell und defensiv sehr verlässlich." Besonders wertvoll für den EHC machen ihn derzeit aber seine Offensivqualitäten.
Sein Passspiel - EHC-Trainer Don Jackson sagt: "Jeremy ist ein Spieler, der sehr gut weiß, wie man die Scheibe bewegt" - war schon immer augenfällig. Neu ist allerdings sein Torhunger. Mit seiner guten Technik und Wendigkeit verschafft er sich im gegnerischen Drittel immer wieder Freiräume, die er zu gefährlichen Aktionen nutzt. Dreimal hat Dehner vor den Spielen am Freitag in Ingolstadt (19.30 Uhr) und am Sonntag gegen die Schwenninger Wild Wings (16.30 Uhr, Olympia-Eishalle) in der Liga bereits getroffen, zuletzt zum 1:0 beim furiosen 7:2-Sieg in Augsburg, dazu kommt ein Treffer in der Champions League. Überrascht sind sie beim EHC davon nicht. "Wenn wir ihn letztes Jahr die gesamte Zeit über zur Verfügung gehabt hätten, hätten wir wahrscheinlich da schon viel davon gesehen", glaubt McIlvane.
Die Verteidiger spielen in Jacksons Konzept eine wichtige Rolle, da sie große Freiheiten in der Offensive genießen. "Mir gefällt dieser Stil", sagt Dehner - und untermauert seine Worte mit Fakten. Der 28-Jährige ist mit zehn Scorerpunkten zur treibenden Kraft im EHC-Spiel geworden, da Richie Regehr (drei Tore, neun Vorlagen) und Nationalspieler Daryl Boyle (1/9), die in der vergangenen Saison noch zu den offensivstärksten Verteidigern der Liga zählten, einiges von ihrem Punch verloren haben.
Seine wiedererlangte Sicherheit und das stetig wachsende Selbstvertrauen führten Dehner vor kurzem sogar auf ungewohntes Terrain. Gegen Meister Mannheim ließ er sich zu einer Faustkampfeinlage hinreißen, was ihm hinterher einige Sprüche seiner Teamkollegen einbrachte. Bei all seinen Allround-Fähigkeiten: Dieses Gebiet dürften in Zukunft wieder Pinizzotto und die großen Jungs bearbeiten.