Beachvolleyball:Katze und Krake

Lesezeit: 4 min

In ihrer ersten gemeinsamen Saison überraschen die Herrschinger Julius Höfer und Benedikt Doranth auch sich selbst. Die bayerische Meisterschaft in Augsburg ist für die Topfavoriten nur das Aufwärmprogramm für die DM in Timmendorfer Strand

Von Sebastian Winter, München

Benedikt Doranth erzählt jetzt eine Geschichte, die wohl exemplarisch steht für den Zwiespalt, in dem viele ambitionierte Beachvolleyballer in Deutschland stecken. Die aber auch bezeichnend ist für das Hoch, in dem er selbst und sein neuer Partner Julius Höfer gerade stecken. Vor zwei Wochen verloren die Herrschinger Doranth, 28, und Höfer, 24, die erste Runde beim Masters-Turnier in Kempten, kampflos - sie waren nicht angetreten. Doranth musste Samstag früh eine Klausur für sein Sportmanagement-Studium schreiben, internes und externes Rechnungswesen. So ist die Realität im dualen Leben zwischen Ball und Büchern. Von Beachvolleyball alleine können in Deutschland nur eine Handvoll Profis leben.

Doranth und Höfer reisten jedenfalls verspätet nach Kempten, kämpften sich durch den Verliererbaum, jede weitere Niederlage wäre gleichbedeutend mit dem Ausscheiden gewesen. Nach sieben Siegen in Serie hatten sie das Turnier gewonnen. Es läuft zurzeit für das Duo, das im Winter in der Halle für Herrsching in der ersten Liga spielt, der breitschultrige Doranth, 1,93 Meter, als Kapitän und Außenangreifer, das 2,04-Meter-Ungetüm Höfer als sein sprung- und schlaggewaltiger Konkurrent. An diesem Wochenende sind sie die Topfavoriten bei der bayerischen Meisterschaft, aber für die 13. der deutschen Beachvolleyball-Serie soll der in einen großen Sandkasten verwandelte Augsburger Rathausplatz nur Zwischenstation sein für die DM in Timmendorfer Strand an der Ostsee. Nach kaum einem gemeinsamen Jahr. Stand jetzt klappt es mit der Qualifikation. "Dass wir so schnell so gut sind, davon war nicht auszugehen", sagt Doranth.

Der rasante Aufstieg mag auch darin gründen, dass sich beide seit Jahren kennen und Teil der Herrschinger Aschenputtel-Geschichte sind. Jenes Klubs also, der vor ein paar Jahren noch in der Landesliga dümpelte und inzwischen ohne viel Geld und noch immer ohne taugliche Halle das Erstliga-Establishment aufmischt. Das dem "Geilsten Club der Welt" (Selbsteinschätzung) innewohnende Selbstbewusstsein haben sie jedenfalls früh eingeimpft bekommen, nicht zuletzt durch ihren Trainer Max Hauser - ironischerweise ist er mit seinem Lohhofer Partner Harry Schlegel in Augsburg ihr wohl größter Gegner.

Das Selbstbewusstsein brauchen sie auch auf der deutschen Tour, auf der die Preisgelder weitaus höher sind - und mit ihnen das Konkurrenzdenken. Höfer und Doranth kratzen aktuell an den Top Ten, obwohl sie sich neu orientieren mussten. Doranth, seit Jahren einer der besten bayerischen Blocker, schulte auf Abwehr-Katze um und machte dem krakenartigen Höfer damit Platz am Netz. Das Experiment glückte. "Julius ist da vorne schon eine andere Hausnummer", sagt Doranth. Er selbst mache "noch nicht so viel mit Plan" in der Abwehr, trifft aber intuitiv oft die richtigen Entscheidungen. "Das hat ihm keiner außer mir zugetraut", sagt Coach Hauser. "Er wird nie der schnellste Abwehrspieler sein, muss er aber auch nicht. Denn er liest das Spiel gut." Auch das hat ihn Abwehrexperte Hauser, sein ehemaliger Beachpartner, mit dem er 2011 und 2012 bayerischer Meister wurde, gelehrt. "Sie sind in Augsburg die haushohen Favoriten, trainieren jeden Tag, Julius ist einer der besten deutschen Blocker. Eigentlich dürfen sie keinen Satz verlieren, auch nicht gegen mich. Ihr Hauptproblem ist aber noch das unkonstante Zuspiel."

Neben Hauser wären die Grafinger Yannic Beck und Tim Noack ihre größten Konkurrenten gewesen in Augsburg, doch Noack knickte kürzlich um. Weil das Duo aus dem Münchner Osten ebenfalls noch die DM im Blick hat, verzichtet es vorsichtshalber auf die Landesmeisterschaft und startet lieber erst am nächsten Wochenende auf der deutschen Tour in St. Peter-Ording. Bleiben noch als wirklich ernstzunehmende Konkurrenten ihre Grafinger Vereinskollegen Konstantin Schmid und Fabian Wagner, die bayerischen Meister von 2014. Von den Frauen aus der Region haben die Standhardinger-Zwillinge aus Lohhof, die zuletzt dreimal Zweite wurden, die größten Chancen. Zwölf Frauen- und 16 Männer-Duos duellieren sich im Herzen der drittgrößten bayerischen Stadt, auf den Tribünen ist Platz für 1000 Zuschauer, sportdeutschland.tv überträgt erstmals live. "Wir haben nach wie vor eine der besten Serien in Deutschland", sagt Roland Höfer, Beachvolleyball-Koordinator des Bayerischen Volleyball-Verbandes. Der Umzug des Finales im vergangenen Jahr von der kaum beachteten Ruderregatta-Strecke in Oberschleißheim nach Augsburg war dabei ein Glücksgriff.

Insgesamt geht es um ein Preisgeld von 2700 Euro. Nicht sonderlich viel, verglichen mit den vier deutschen Supercups, die jeweils mit 40 000 Euro dotiert sind. Benedikt Doranth und Julius Höfer haben nach eigenen Angaben in dieser Saison bislang knapp 4000 Euro eingespielt, was ihre Ausgaben keineswegs deckt, aber ein nettes Taschengeld ist. Die Unkosten, inklusive Fahrt, Hotel und Trainingslager, die sich Doranth zufolge selbst für ein semiprofessionelles Team wie ihn und Höfer auf 8000 bis 16 000 Euro pro Saison belaufen, sind durch Sponsoren gedeckt - ein Privileg auf diesem Niveau.

Im kommenden Winter wollen sie weiter an ihrem Zuspiel feilen, diesem so wichtigen Element im Sand, das sie noch nicht perfekt beherrschen. Ihre Priorität wird aber weiterhin auf dem Studium liegen - und zumindest bei Höfer nicht mehr auf Herrschings Erstliga-Hallenteam. "Er steht in unserem berühmt-berüchtigten erweiterten Kader, trainiert, wann er will, und bekommt kein Geld. Bei den Heimspielen ist er dabei und auswärts, wenn ich ihn brauche", sagt Trainer Hauser. Doranth überlegt noch, wie er sein Leben zwischen Ball und Büchern organisiert, wie die Prioritäten bei ihm liegen. "Ich finde diese Einstellung toll", sagt Hauser. "Man muss eine Sache nicht immer zu hundert Prozent machen. Manchmal reichen auch beharrliche 80 Prozent." Der Maschinenbau-Student Höfer hatte übrigens diese Woche seine Prüfungen. Ganz befreit kann er also ins Turnier starten - auch wenn er längst über seine Geburtsstadt Augsburg hinaus an den Ostseestrand blickt.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: