Solln:Wie ein Chamäleon

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Der Fellererplatz in Solln: Mal bläst er sich auf, als sei hier das pralle Leben erfunden worden. Mal liegt er völlig unscheinbar im Schatten der Pfarrkirche

Von Jürgen Wolfram, Solln

Peter Fellerer hat nicht lang gefackelt: Wenn Ministranten am Messwein nippten oder anderen Blödsinn machten, soll der Geistliche sie gnadenlos verdroschen haben. Doch Fellerer (1879 - 1930), erster Pfarrer von St. Johann Baptist, nachdem die Sollner Pfarrei selbständig geworden war, hatte mehrere Gesichter. Er tat sich auch als Stifter einer "Kinderbewahranstalt" hervor, aus der sich später ein kirchlicher Kindergarten entwickeln sollte. Und die ambulante Krankenpflege im einstigen Dorf Solln hat er ebenfalls mit ins Leben gerufen.

Ähnlich facettenreich wie sein Namensgeber präsentiert sich heutzutage der Fellererplatz. Wäre er im Tierreich angesiedelt, käme er vermutlich als Chamäleon daher. In seiner Rolle als unumstrittener Mittelpunkt des Stadtviertels im Münchner Süden bläst er sich - wie an Markttagen oder bei Straßenfesten - auf, dass man meinen könnte, hier sei der Begriff des prallen Lebens erfunden worden. Dann wieder erscheint der Nabel von Solln als zentraler Platz kaum wahrnehmbar, als eine Art aufgeweiteter Straßenraum im Schatten der mächtigen Pfarrkirche.

Zwei Welten: Wirklich lebhaft geht es auf dem Fellererplatz nur an Markt- und Festtagen zu. (Foto: Robert Haas)

Es spricht viel dafür, dass der Fellererplatz in nächste Zeit eine Aufwertung erfährt, wie er sie lange nicht gesehen hat. Zum einen bürgt dafür das unlängst eingeweihte neue Pfarrzentrum; von ihm dürften schon in naher Zukunft starke Impulse für das soziale und gesellschaftliche Leben in Solln ausgehen. Auch sonst stehen die Vorzeichen günstig für eine anhaltende Belebung: das Alten- und Servicezentrum (ASZ) Solln-Forstenried sowie neue und neu entdeckte Läden sind nicht weit; dieser Tage erst hat ein kleines Café mit dem treffenden Namen "petit" eröffnet.

Geradezu ungestümer Beliebtheit erfreut sich freitags der Wochenmarkt auf dem Fellererplatz. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Hier trifft sich das Viertel, hier decken sich seine Bewohner mit Feinkost für den verwöhnten Gaumen ein. Vor der Mahlzeit richten sie gern noch ein wenig Verkehrschaos an, denn es ist bei Marktkunden seit langem Brauch, zum Einkauf mit dem Wagen am verstopften Zentrum vorzufahren. Dass man nur wenige Schritte entfernt zu Hause ist, spielt so wenig eine Rolle wie die paar Gramm Wurst oder Käse, die es mal wieder mehr sein dürfen. Der Wettstreit um die raren Parkplätze gilt als sportliche Herausforderung. Das eigentliche Ärgernis sind die unnachgiebigen Politessen, die ausgerechnet an Markttagen um den Fellererplatz herum streichen. Nach allgemeiner Auffassung wollen sie in ihrer Kleinlichkeit nicht recht zum großzügigen Sollner Gestus passen - selbst wenn sie noch so freundlich lächeln.

Ida Maendlen verfolgt das Kommen und Gehen seit vielen Jahren. (Foto: Claus Schunk)

Die Anziehungskraft des Fellererplatzes beruht nicht zuletzt auf seinen Konstanten. Baulich überragt die prächtige Pfarrkirche St. Johann Baptist alles andere. In ihrem Umgriff leben Menschen, die nicht mehr wegzudenken sind aus diesem Winkel des Stadtviertels. Eher unwahrscheinlich, dass man in Solln jemanden findet, der Ida Maendlen und ihre "Schuh-Ecke" nicht kennt. Seit 33 Jahren versucht die Geschäftsfrau nun schon, "Leben in die Schlafstadt zu bringen". 19 Jahre lang war sie Vorsitzende des Gewerbevereins "Wir Sollner" und hat in dieser Funktion das Weinfest berühmt gemacht.

Als Nachfolgeveranstaltung des legendären "Wildsaufestes" miterfunden vom ehemaligen Herausgeber der Sollner Hefte, dem 2014 verstorbenen Hermann Sand, schafft das Weinfest, was in Solln sonst als schwierig gilt: die individuelle Lebensweisen bevorzugenden Ex-, Alt- und Neu-Sollner zusammen zu bringen. In der Regel kommt es am Samstag vor dem Wiesn-Auftakt im September zu diesem besucherreichen Stelldichein, häufig bei schönstem Wetter. Einen ähnlich prominenten Platz im Sollner Festkalender hat sonst höchstens noch der Christkindlmarkt, den ebenfalls der Verein "Wir Sollner" auf den Fellererplatz zaubert. "Zum Feiern kommen immer alle, zum Einkaufen leider nicht", fällt Maendlen dazu spontan ein. Das Problem: An den Straßenfesten ist wegen des auflagenbedingt hohen organisatorischen Aufwandes unterm Strich nichts verdient. "Wir machen das also für die Bevölkerung", beteuert Maendlen. Ein Entgegenkommen, das sie für unverzichtbar hält, denn: "Ohne die Aktivitäten von ,Wir Sollner' und vielleicht noch des Maibaumvereins wäre Solln tot."

Geradezu ungestümer Beliebtheit erfreut sich freitags der Wochenmarkt auf dem Fellererplatz. (Foto: Robert Haas)

Es ist erst ein paar Wochen her, dass die "Iberl"-Wirtin Sibylla Abenteuer die Vereinsführung von Ida Maendlen übernommen hat. Gewissermaßen als erste Amtshandlung versicherte sie, am Weinfest nicht rütteln zu wollen. Im Gegenteil: Es soll sogar noch um eine kleine Gewerbeschau erweitert werden, "auch wenn der Aufwand für einen einzigen Tag ziemlich groß ist". Voraussichtlich am Samstag, 12. September, ist es soweit.

Auf den ersten Blick ändert sich rings um den von Alt- und Neubauten gesäumten Fellererplatz wenig, auf den zweiten schon. Den kleinen Geschäften setzt das Internet zu, sie fürchten um ihre Existenz. Selbst Ida Maendlen, sonst eher der resolute Typ, der sich so leicht nicht unterkriegen lässt und jeder "Schleimerei" abhold ist, sieht schwarz: "So einen Miniladen wie die Schuh-Ecke gibt es in zehn Jahren wohl nicht mehr." Dabei ist für sie die sonstige Konkurrenz weit, anders als bei Boutiquen und Gemüseständen. Im wesentlichen lebe man schon jetzt von den Stammkunden, sagt Maendlen. Um deren Treue zu erringen, müsse man in Solln "lang hinarbeiten". Sie selbst macht das auf ihre burschikose Art. Kommt bei einigen super an, bei anderen weniger. "Egal, ich kann und will mich nicht verstellen." Vom Pfarrer Peter Fellerer hätte sie sich bestimmt längst eine Watschn eingefangen.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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