Schwabing:"Wir haben uns gewehrt wie ein Indianerstamm"

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Immer feierstark: die Bewohner der Agnesstraße. (Foto: privat)

Ins Leben gerufen im September 1980, feiern die Bewohner der Agnesstraße nun zum letzten Mal ihr Herbstfest

Von Ellen Draxel, Schwabing

Eine Ära geht zu Ende: Zum letzten Mal feiern die Bewohner der Agnesstraße an diesem Samstag, 23. September, ihr nun fast schon legendäres Herbstfest. Mit sechs Livebands, die zwischen 14 und 22 Uhr mit Swing- und Samba-Rhythmen, Pop, Rock, Jazz und Rock 'n' Roll die Stimmung zum Kochen bringen und noch einmal echtes Sommerfeeling aufkommen lassen wollen.

Klingt an sich nach einem klassischen, bestens organisierten Zusammensein unter freiem Himmel. Doch das Herbstfest in der Agnesstraße war nie ein Straßenfest wie jedes andere. Schon am 20. September 1980 nicht, beim allerersten Mal. Damals, vor 38 Jahren, waren es vor allem die Mieter des Gründerzeit-Hauses mit der Hausnummer 66 und ihre Nachbarn, die sich als verschworene Gemeinschaft unten auf der Straße trafen. Um zusammenzustehen, zu diskutieren und Strategien auszubaldowern. Vor allem aber, um nach außen hin sichtbar zu demonstrieren: Wir lassen uns nicht unterkriegen, von keinem Miethai, von keinem Immobilienmogul, von keinem Spekulanten.

"Unser Fest im Herbst 1980 war eines der allerersten Straßenfeste in der Stadt, ein Protest der Mieter gegen die drohende Vertreibung", erinnert sich Reinhard Zimmermann. Der Schwabinger war zu dieser Zeit Student der Philosophie und wohnte, wie auch heute noch, im Haus an der Agnesstraße 60. "In keiner Straße in München fanden bis heute so viele Mieterfeste statt wie bei uns." In den Achtziger- und Neunzigerjahren, als die Gier der Spekulanten besonders ausgeprägt war, veranstalteten Zimmermann und seine Nachbarn bis zu drei Straßenfeste im Jahr - im Mai, im Sommer und im September. "Wir haben uns gewehrt wie ein Indianerstamm." 15 Jahre lang kämpften die Bewohner um ihr Zuhause, selbst anrüchige Tricks und Kniffe der Immobilienhaie konnten sie nicht einschüchtern. Ihre Beharrlichkeit hatte schließlich Erfolg, die Hausnummer 66 etwa ist heute genossenschaftlich organisiert.

Dass es in München heute die Erhaltungssatzung und das Vorkaufsrecht der Stadt gibt, ist in großem Maße den Agnesstraßlern zu verdanken. Ihr Straßenfest war außerdem Prototyp, Vorbild und Initiator vieler ähnlicher, oft ebenfalls politisch motivierter Veranstaltungen in den Folgejahren im öffentlichen Raum der Stadt. "Darauf", sagt Zimmermann, "sind wir stolz." Die Anwohner haben eine Menge erreicht - Zeit also, einen Schlussstrich zu ziehen. Schade nur, findet Zimmermann, dass die städtischen Vorschriften inzwischen so restriktiv seien. Auf alten Fotos, kann er sich erinnern, ist die Straße noch voll von Biertischen. Jetzt braucht es eine fünf Meter breite Feuerwehrzufahrt. "Unser Clou war immer ein Wasserbett zum Hüpfen für die Kinder. Das passt jetzt nicht mehr hin."

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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