Schwabing:Vom Krieg gezeichnet

Lesezeit: 2 min

Vom Abriss bedroht: Die Altstadtfreunde fürchten um die Häuser an der Leopoldstraße 59 und 61 (im Bild rechts). (Foto: Allesandra Schellnegger)

Bayerns oberste Denkmalschützer stufen das Doppelhaus an der Leopoldstraße, in dem einst Heinrich Mann lebte, nicht als erhaltenswertes Gebäude ein. Der Verein Altstadtfreunde zweifelt das Gutachten an

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Es ist auf den ersten Blick ein unscheinbares graues Gebäude, das sich in das Eck-Ensemble an der Münchner Freiheit fügt: das Wohn- und Geschäftshaus an der Leopoldstraße 59 und 61 mit der Filiale der Hypovereinsbank im Erdgeschoss. Doch der Verein Altstadtfreunde München trommelt seit Monaten dafür, das Bauwerk vor dem Abriss zu bewahren. Denn dort hat bis 1928 der Schriftsteller Heinrich Mann gewohnt. Doch nun liegt ein Gutachten des Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) vor, das den Stab über dem ehemals großbürgerlichen Doppelmietshaus bricht. Bei dem Gebäude handele es sich "nicht um ein Baudenkmal, und es erfolgt kein Eintrag in die Denkmalliste", heißt es in einem Schreiben des Generalkonservators Mathias Pfeil an das Bayerische Kultusministerium.

Der Eigentümer des Gebäudes, der Wittelsbacher Ausgleichsfonds, hat eine Bauvoranfrage bei der Stadt eingereicht. Nach Angaben des Immobilienchefs sollen damit zunächst lediglich die Verwertungsmöglichkeiten für das Objekt eruiert werden. Ein Abriss sei jedoch in den nächsten Jahren nicht vorgesehen, schon weil in dem Haus langfristige Mietverträge bestünden. Dennoch: Die Altstadtfreunde sehen ein "kulturhistorisch wertvolles Gebäude" bedroht, wie es der Vereinssprecher Florian Grüning im Sommer in der Sitzung des Bezirksausschusses formuliert hat.

Bayerns oberste Denkmalschützer sind anderer Auffassung. Zwar würdigt die Behörde das 1894 erbaute Gebäude für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg als "repräsentatives Haus" mit reicher Fassadengliederung in einem Mischstil aus Neubarock und Neurenaissance. Doch im Krieg habe das Gebäude schwere Schäden erlitten. Nach Maßgabe der Denkmalschützer belegen die Wiederaufbaupläne von 1947, dass die Grundrisse "vollständig" verändert worden seien, zudem ein "gravierender Eingriff" in die Fassaden vorgenommen wurde. Das Fazit: Die Behörde spricht dem Bauwerk die von den Altstadtfreunden konstatierte "besondere geschichtliche Wertigkeit" ab. Die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg könne an dem Gebäude kaum mehr abgelesen werden, im Inneren sei nichts aus der Zeit vor 1945 erhalten. "Der Wohnort des Schriftstellers Heinrich Mann lässt sich an dem erhaltenen Bestand heute nicht mehr nachvollziehen", heißt es in dem Papier.

Die Altstadtfreunde wollen sich damit indes nicht abfinden, sie halten die Einschätzung der Behörde für falsch. "Das basiert auf falschen Annahmen", sagt Vereinssprecher Florian Grüning. Er argumentiert: Eine Luftbildaufnahme des Luftschutzarchivs Karlheinz Kümmel könne belegen, dass die rechte Hälfte des Doppelmietshauses den Krieg nahezu unversehrt überstanden habe. In einem dreiseitigen Schreiben an Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) legt er dar, dass die Grundrisse der großbürgerlichen Wohnungen "nach wie vor erhalten und sichtbar" seien. "Am Bestand lässt sich bis heute klar sehen, wo Heinrich Mann gelebt hat", widerspricht Grüning den Denkmalschützern.

Grüning bringt noch zwei andere Argumente vor, weshalb das Haus schützenswert sei. Zum einen sieht er das Gebäude als "ältestes noch bestehende Gebäude an der Münchner Freiheit" sowie als "Zeugnis der gründerzeitlichen Erweiterung Schwabings", wie er im Brief an Spaenle formuliert. Zudem bringt er vor, dass im vierten Stock noch das Atelier der Malschule "Die Form" erhalten sei, die hier von 1925 bis 1970 untergebracht gewesen sei: "Das war ein wesentlicher Zufluchtsort von Mitgliedern der Widerstandsgruppe ,Die Weiße Rose', insbesondere von Alexander Schmorell."

Ob sich Kultusminister Spaenle davon erweichen lässt, ist fraglich. Der CSU-Politiker ist auch einfaches Mitglied des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann - und dort schwieg er, als der Vorsitzende Werner Lederer-Piloty (SPD) jetzt zum Gutachten des BLfD sagte: "Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund anzunehmen, dass das Landesamt falsch recherchiert."

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: