Schwabing:Miteinander und füreinander

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Munter und entschlossen: die Initiatoren des Nachbarschaftstreffs. (Foto: Haas)

Mit viel privatem Engagement bauen Bürger rund um die Rümannstraße eine Nachbarschaftsinitiative auf

Von Ellen Draxel, Schwabing

Nils Seesing wohnt in der Nähe des Schwabinger Klinikums. Die Seidlvilla am Nikolaiplatz ist ein gutes Stück weg, auch zum Ackermannbogen sind es mehr als nur ein paar Minuten. An beiden Orten gibt es engagierte Nachbarschaftstreffs - aber in der Gegend um die Rümannstraße, wo Seesing Zuhause ist, existiert nichts dergleichen.

Nils Seesings Sohn ist vier. Für die Erziehung eines Kindes, davon ist der Schwabinger überzeugt, braucht es ein ganzes Dorf. Nicht nur Mama und Papa. Wie aber lässt sich die Idee einer aktiven Nachbarschaft in einer Großstadt umsetzen, in der viele nicht einmal den Mieter der Nebenwohnung kennen? "Ich habe Miniflyer gedruckt und meinen Nachbarn in den Briefkasten geworfen", sagt der 42-Jährige. Darauf stehen Vorschläge zu gemeinsamen Projekten. Fußballspielen etwa. Oder Strickabende. Einen Teil der Flyer deponiert Seesing bei der St. Mauritius-Apotheke an der Rümannstraße.

Nicht lange, da hat sich schon ein kleiner Zirkel Interessierter gefunden. Die Apothekerin ist dabei, Eltern von kleinen Kindern und Jugendlichen, Rentner. Im Februar trifft sich der Kreis erstmals im Café Ludwig im Petuelpark.

Die Spanierin Elia Ruiz Sandoval kennt Nils Seesing zu diesem Zeitpunkt bereits. Die 31-jährige Maschinenbauerin wohnt mit ihrer Familie im Nachbarhaus an der Barlachstraße. Auch ihr Ziel ist es, die Nachbarschaft rund um das Schwabinger Klinikum besser zu vernetzen. Elia Ruiz Sandoval nutzt einen dritten Weg der Kommunikation: Sie meldet sich bei der Internetplattform "nebenan.de" an. "Nach drei Tagen", erzählt die Mutter eines acht Monate alten Buben, "waren wir schon 60 Leute im Forum". Inzwischen sind es schon mehr als 200. Sie tauschen Umstandsklamotten aus, helfen sich bei der Kinderbetreuung, gehen gemeinsam mit ihren Hunden Gassi, treffen sich in der Krabbelgruppe oder beim Stammtisch. "Unser Forum ist offen für alle, die im Karree zwischen Petuelpark, Belgradstraße, Bonner Platz und Leopoldstraße wohnen", erklärt Ruiz Sandoval. Die Registrierung zur lokalen Nachbarschaftsgruppe erfolgt über eine Verifizierung, Nachbarn können einander aber auch per Link direkt einladen. Ebenfalls machbar ist eine Anmeldung mittels Zugangscode: Nachbarn schreiben den Code auf einen Zettel und reichen ihn weiter. Die Codes funktionieren nur in einem einzigen Gebiet.

Der erste Event, den die neu vernetzte Nachbarschaft organisiert hat, war ein Hofflohmarkt Mitte Mai auf einer Wiese an der Hagedornstraße. "15 Leute waren da - das war das erste Mal, dass sich die Nachbarn überhaupt getroffen haben", erzählt Seesing. Ein schönes Erlebnis, Elia Ruiz Sandoval und Nils Seesing würden gern mehr solcher Veranstaltungen auf die Beine stellen. Vor allem ist ihnen daran gelegen, den "Generationenbruch zu überwinden, eine Brücke zwischen Jung und Alt zu bauen", so Ruiz Sanodoval. Doch dafür braucht es Räume, zumindest einen. Viele ältere Menschen haben nicht mehr so einen leichten Zugang zum Internet, sie brauchen eine konkrete Anlaufstelle, zu der sie gehen können. Und auch Aktionen mit Kindern beispielsweise sind im Café Ludwig, in dem man sich derzeit noch für Besprechungen trifft, nicht möglich.

Sozialpädagogin Elisabeth Schellnegger, die seit elf Jahren den Generationengarten im Petuelpark betreut und bis vor fünf Jahren einen Nachbarschaftstreff am Innsbrucker für das von der Gewofag entwickelte Konzept "Wohnen im Viertel" geleitet hat, unterstützt die jungen Netzwerker: "Es gibt so viele Veränderungen im Bereich des Mildred-Scheel-Bogens und der Isolden-/Rümannstraße - die Menschen brauchen dringend etwas, damit sie zusammenwachsen." Nachbarschaftstreffs, fordert die 65-Jährige, müssten angesichts immenser Nachverdichtung auch in Bestandsgebieten aufgebaut werden. Nicht nur, wie von der Stadt forciert, in Neubauquartieren. "Gib den Leuten eine Fläche, und sie entwickeln ein unglaubliches Potential", weiß Schellnegger, "da funktioniert Integration, da hilft man sich, da arbeitet man zusammen." Schellnegger wohnt selbst an der Rümannstraße, sie kennt "viele schlimme Schicksale in der Gegend". Von ihr erst hat Seesing erfahren, dass es in seinem Umfeld auch Altersarmut gibt: "Das ist mir bis dahin verborgen geblieben."

Rückendeckung bekommen Ruiz Sandoval und Seesing vom Westschwabinger Bezirksausschuss. "Diese Initiative ist begeisternd, denkt Neues", lobt Gremiums-Chef Walter Klein (SPD). Gesucht werden nun "Räume für einen Nachbarschaftstreff, ohne dass es die Stadt große Mieten kostet". Damit die Menschen nicht nur eine Internetplattform, sondern auch ein Gesicht vor Augen haben.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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