Schwabing:"Ich schaue nach vorne"

Lesezeit: 3 min

Frauen aus Afghanistan, Albanien, Äthiopien, Irak, Kosovo, Sudan und Syrien erzählen beim "Bilder-Fest" in der Schwabinger Seidlvilla von überstandenem Unheil und dem Kampf um ein würdiges Leben in der neuen Heimat

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Die junge Frau lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Ihre Haltung, ihre Augen, ihr Lächeln zeigen auf diesem Foto aus dem Jahr 1982 eine gelöste, lässige, zufriedene Fatma Ibo im Schatten eines Baumes in einem kleinen Dorf, 30 Kilometer von Aleppo/Syrien entfernt. Um sie herum stehen und winken ein Dutzend Kinder; zwanglos und ausgelassen posieren sie mit ihrer Lehrerin Ibo. 33 Jahre ist das jetzt her, einen Großteil dieser Jahre konnte die heute 53-Jährige keineswegs gelöst und zufrieden verbringen. "Die Gruppe hat mir sehr geholfen", sagt Ibo.

Sie blickt dabei versonnen auf das alte Foto, es ist derzeit Teil der Ausstellung "Bilder-Fest" in der Schwabinger Seidlvilla. Es ist eine berührende Schau, mit packenden Bildern und mit eben solchen Texten. Zusammen dokumentieren sie die Seelenlast von Flüchtlingen; sie künden aber auch vom Glück und der Freude, eine neue Heimat in München gefunden zu haben. Und sie erzählen vom Projekt einer Gruppe, die diese Ausstellung gemeinsam bestreitet: Es ist ein Frauenbund von rund 30 Flüchtlingen und Einheimischen, eine beispielhafte Truppe der internationalen Verständigung.

Jede Teilnehmerin der Ausstellung hat ihren eigenen Zugang gewählt, um ihre Lebenslinien bildnerisch darzustellen. Manche Werke sind zaghaft und schüchtern, andere souverän und gelassen. Einige Frauen hatten noch nie zuvor gemalt oder sich überhaupt künstlerisch ausgedrückt. Die Arbeiten sind so vielfältig wie die Charaktere aus den verschiedenen Herkunftsländern.

Fatma Ibos Brücke in die Vergangenheit ist der Baum, an dem sie einst so gerne mit ihren Schützlingen saß. Es gibt ihn nicht mehr. "Er wurde gefällt, um ihn zu verheizen", sagt sie. Also malte sie diesen Baum, ihre Art, Abschied von Syrien zu nehmen. "Ich vermisse meine Heimat nicht", sagt sie über das vom Bürgerkrieg verheerte Land. Sie wuchs dort in einer jesidischen Familie auf, jene kurdische Minderheit, die in vielen Ländern unterdrückt wird. Freundlich scheint die Sonne, dicke Pinselstriche lassen die Äste, die Blätter, die Blüten flattern. Blumen hüpfen auf dem tiefgrünen Gras, so fidel wie ehedem die Kinder um den Baum herumgetollt haben dürften.

Herumgetollt wird ohnehin viel in der Schwabinger Frauengruppe, denn mit dabei sind oft auch deren Kinder. Sie fanden sich zusammen in der Hohenzollernstraße 78, wo bis 2005 eine Gemeinschaftsunterkunft für 193 Asylsuchende war. Schwabingerinnen wie Barbara Klingenberg meldeten sich damals freiwillig zur Kinderbetreuung. "Anfangs sind wir zusammen Eis essen gegangen, es folgten Ausflüge zu den Seen im Umland, ins Theater, ins Kino oder ins Café", erinnert sich Klingenberg. Fotos von den Fahrten hängen im Foyer der Seidlvilla, sie zeigen Eindrücke von der heiteren Stimmung bei diesen Kurztrips.

Die Seidlvilla wurde zum festen Treffpunkt der Gruppe einmal im Monat. Über die Jahre verfestigten sich die Freundschaftsbande; die Frauen und ihre Familien aus Afghanistan, Albanien, Äthiopien, Burkina Faso, Irak, Kosovo, Sudan, Syrien, Togo schlugen Wurzeln in München. Es reifte die Idee, auch öffentlich mit einer Bilder-Schau darzustellen, wie sie alle über eine unwürdige Flucht zu einem würdigen neuen Leben in München gefunden haben. "Wir haben gekämpft, und es hat sich gelohnt", so beschreibt die Leiterin der Nachbarschaftshilfe in der Seidlvilla, Dorothee Fichter, die Grundaussage der Texte, die jedem Bild beigefügt sind.

Es sind kurze Notizen, oft mit bitteren Passagen. "Wir wurden immerzu hin- und hergeschickt (. . .) In Deutschland konnte ich jeden Tag ausgewiesen werden. In Albanien wurde ich nicht wieder rein gelassen", schreibt beispielsweise Eglantina Kelmendi. Heute, so sagt sie versöhnlich, sei sie stolz, mit ihrer Familie einen Platz in Deutschland gefunden zu haben. Das Foto einer selbstsicheren Frau hängt neben ihren Gemälde. Es zeigt klar konturierte Berghänge, die jene Unbeugsamkeit ausstrahlen, auf die Frau Kelmendi zu Recht stolz sein kann.

Doch es gibt auch Werke, die das überstandene Unheil schildern: Auf dem Bild der Kurdin Taybet Acar, Mutter von sieben Kindern, umwabern schwarze, bedrohliche Blöcke ein Gebilde in der Form eines Kreuzes, wirbelnde Kleckse klatschen auf ein blaues Haus herunter. "Ein unheilvolles Bild", sagt Barbara Klingenberg bekümmert. Sie vermutet, dass es einen nächtlichen Bombenangriff darstellt. Sie selbst ist Grafikerin und malt gerne unbekümmerte Frauen, die "lässig ihren Weg gehen", wie sie es selbst beschreibt. Auf ihrem Bild ist so eine Figur zu sehen. Die taxiert den Betrachter mit einem skeptischen Blick, mit dem rechten Arm umfasst sie ihre Tasche, in der eine große, freundliche Katze sitzt.

In vielen Beiträgen berichten die Frauen von langwierigen Asylverfahren, von Jahren der Unsicherheit, von der Angst vor Abschiebung. Auch Fatma Ibo hat das erlebt. Erst nach zwölf Jahren sei ihr Asylantrag bewilligt worden, sagt sie. Bei jedem Klingeln die Furcht, dass die Behörden sie abholen könnten. Die ehemalige Grundschullehrerin arbeitete als Putzfrau, heute ist sie Köchin in einem Kinderhort, ihr Mann Hausmeister. Sie kann wieder gelöst und lässig sein; die älteste Tochter ist Zahnarzthelferin, die mittlere Lehrerin, die jüngste studiert an der TU Architektur. "Ich schaue nach vorne", sagt sie. Und lehnt sich entspannt auf ihrem Stuhl zurück.

Die Ausstellung läuft bis 15. September; die Vernissage findet am Samstag, 5. September, um 15 Uhr in der Seidlvilla, Nikolaiplatz 1 b, statt. Ein Katalog mit den Begleittexten ist in der Seidlvilla für fünf Euro erhältlich. Geöffnet ist täglich von 12 bis 19 Uhr.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: