Schwabing:Gemeinsam lernen

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Eine gute Idee: Auch der Besuch von Bezirksausschuss-Sitzungen gehört zu den Plänen des Vereins. (Foto: Sonja Marzoner)

"Human Perspective" will Flüchtlingen Demokratie zeigen

Von ellen Draxel, Schwabing

Dass die Idee einer praxisorientierten Demokratie-Schule für Flüchtlinge so einschlagen würde, damit hat Silvia Eckert nicht gerechnet. Demokratie zum Anfassen, findet die Politologin, sollte doch eigentlich nichts Neues in München sein. Und doch ist es so. Ehrenamtliches Engagement in Helferkreisen, persönliche Patenschaften, vielfältige Sportangebote und Deutschunterricht - all das gehört beim Thema Flüchtlingspolitik fast schon zum Alltag. Zur viel gepriesenen Willkommenskultur aber gehört für die 45-jährige Schwabingerin mehr.

Mit sechs Gleichgesinnten, die alle bereits in Krisengebieten Erfahrungen gesammelt haben und auch jetzt noch in der Flüchtlingshilfe aktiv sind, hat Eckert im Juli den Verein "Human Perspective" gegründet. Ziel ist es, minderjährige Flüchtlinge zwischen 13 und 18 Jahren gemeinsam mit gleichaltrigen Deutschen direkt mit demokratischen Grundpfeilern wie Legislative, Exekutive, Rechtsprechung und Meinungsbildung zu konfrontieren. Und das nicht in theoretischen, trockenen Orientierungskursen, sondern in der Praxis. "Wir wollen gemeinsam in Gerichtsverhandlungen gehen, wollen den Stadtrat und Lokalgremien wie die Bezirksausschüsse besuchen. Einfach, um mal zu sehen, wie der Staat handelt." Geplant sind Workshops zur gewaltfreien Lösung von Konflikten, Gespräche mit Jugendrichtern, Stippvisiten bei Medienanstalten: "Die Jugendlichen sollen sehen und kennenlernen, wie ein Land wie das unsere funktioniert." Und dazu gehört auch die Frage, was Presse- und Meinungsfreiheit bedeutet, was sie bewirken kann und wo sie ihre Grenzen hat.

Das Projekt, das der Verein zur Realisierung seines Konzeptes entwickelt hat, nennt sich "Kennen-Lernen". In dreistündigen Praxis-Modulen, die alle zwei Wochen stattfinden sollen, werden rechtsstaatliches Handeln, Gewaltfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Aufgaben der Medien vermittelt. "Pragmatisch, sexy und attraktiv aufbereitet", darauf legt Silvia Eckert durchaus Wert.

Für die Asylsuchenden, die meist aus diktatorisch oder anarchisch geführten Ländern kommen, sind diese Erlebnisse, so hofft Eckert, verständnis- und integrationsfördernd. "Wenn eines Tages alle Formalitäten geregelt sind, sind die Jugendlichen Bürger unseres Staates. Es ist mir ein Anliegen, dass sie sich später nicht ausschließlich in ihre Gruppen zurückziehen und dort zusammenglucken." Ansonsten laufe die Willkommenskultur ins Leere und ende beim Winken am Hauptbahnhof. Gleichzeitig hätten auch die Deutschen die Chance, in Diskussionen zu erkennen, "dass sie mit der Freiheit und dem Schutz der Menschen- und Grundrechte hier das große Los gezogen haben".

Die Idee steht also - allein, ob sie auch umgesetzt werden kann, ist noch völlig offen. Der Verein hat gerade den Antrag für eine Förderung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingereicht: "Wenn wir den Zuschlag bekommen, können wir mit dem Projekt beginnen. Aber das wird wohl erst im Herbst des kommenden Jahres sein."

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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