Schwabing:Das Dorf in der Stadt

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Seit einem Jahr läuft der Betrieb in der "Funkstation", einer bislang in München einmaligen Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Familien im Neubauquartier Domagkpark. Das Alles-unter-einem-Dach-Prinzip soll Schule machen

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Die zwölf Monate alte Charlotte mag sich fragen, was da für ein wunderliches Spiel aufgeführt wird, zumal sie nichts hören kann mit dem Gehörschutz auf dem Kopf. Unangenehm findet sie es jedenfalls nicht, als der 13-jährige Morrison Alexander, ebenfalls mit Kopfhörer-Ungetüm ausgestattet, an der Werkbank konzentriert durch seine Schutzbrille schaut und die Stichsäge losrattern lässt. Er ist umringt von Müttern mit Babys, Kleinkindern, Jugendlichen - und sie alle wissen, dass derartige Begegnungen in der Münchner Betreuungslandschaft nahezu einzigartig sind. "Es ist toll, dass es so einen Ort gibt", sagt Charlottes Mutter Anastasia Lysenko, als die Säge wieder still steht.

Ein Ortstermin im zweiten Stock der "Funkstation", einer Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Familien im Neubauquartier Domagkpark. Ein Haus für alle unter einem Dach - das ist in der konsequenten Realisation eine Neuheit in München. Seit einem Jahr läuft der Betrieb in dem Neubau nun, für den die Stadt knapp fünf Millionen Euro ausgegeben hat. Und die Investition hat sich gelohnt, das finden nicht nur die Nutzer, sondern auch das Sozialreferat. Die Behörde sieht in der "Funkstation" einen Erfolg - und plant bereits weitere "integrierte Quartierseinrichtungen", wie dieses Konzept bezeichnet wird.

Platz zum Gestalten: Jugendliche haben im Werkraum der "Funkstation" die Möglichkeit, sich unter Aufsicht von Betreuer Jonas Rehm handwerklich zu betätigen. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Prinzip: Nicht einzelne Treffs für Mütter und Väter, Jugendliche und junge Erwachsene, Babys und Kinder - sondern ein Sammelpunkt für alle, mit Angeboten für jede Altersgruppe, geführt von einem Träger - im Fall der Funkstation ist das der Verein Feierwerk. Auf 735 Quadratmetern wird offene Kinder- und Jugendarbeit mit Freizeit-, Bildungs- und Beratungsangeboten gebündelt: Es stehen eine Werkstatt zum angeleiteten Handwerkern sowie ein Studio für Radio-Produktionen und eine Leinwand für Film-Vorführungen bereit, dazu ein Saal für 350 Personen mit Musikanlage für buchbare Feiern. Die Kleinkinder können in Spielzimmern herumsausen, während sich ihre Eltern im Café-Bereich im Foyer unterhalten. "Es ist toll", sagt Anastasia Lysenko. "Nicht nur die Erwachsenen, auch die Kinder finden hier schnell Anschluss."

Neben ihr nickt Lydia Birzle, Mutter der vierjährigen Marie und von Sophie, 16 Monate. "Es ist wie in einem Dorf." Das Dorf in der Stadt - dies ist die Leitidee für das Neubauquartier auf dem ehemaligen Funkkasernen-Areal zwischen Domagkstraße und Frankfurter Ring. Gut 4000 Menschen sollen hier einmal leben. Und von Beginn an hat sich das federführende Konsortium eine lebendige Nachbarschaft zum Ziel gesetzt. Eine Art Mitmach-Quartier soll es werden, mit Sharing- und Dienstleistungsangebot. Da lag es nahe, dass die Stadt den sozialen Versuchsballon für die erste groß aufgezogene "integrierte Quartierseinrichtung" dort steigen lässt.

Die Einrichtung "Funkstation" steht auch Eltern mit Kleinkindern und Babys offen. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Besondere daran: Das Zentrum ist als sozialer Kosmos angelegt, in dem der Austausch gefördert wird. Die ganz Kleinen können mit den Größeren spielen, müssen aber nicht. Ebenso gibt es eine Reihe von Angeboten für Eltern, ebenfalls kein Pflichtprogramm. "Wir wollen schöne Erlebnisse für die ganze Familie ermöglichen", sagt Einrichtungsleiterin Katrin Pischetsrieder. Eine Auswahl: Tanz- und Nähkurse, regelmäßiges "Feierabend-Grillen" sowie "Feierabend-Sport" und allerlei Workshops, darunter auch ein Deutschkurs für Migranten. Über fehlende Nachfrage kann sich Pischetsrieder nicht beklagen. Sie spricht von gut 5000 Nutzern in der Zeit von Mai bis Dezember 2017. Im Veranstaltungssaal steigt nahezu jedes Wochenende eine Party, von der Tauf- bis zur Geburtstagsfeier. Im Werkraum schwärmt der 13-jährige Morrison: "Man kann hier seiner Kreativität freien Lauf lassen."

Kreative Gedanken hat sich auch schon das Sozialreferat gemacht. Die Behörde sei mit Angebot, Betrieb und der Resonanz auf die "Funkstation" sehr zufrieden, wie Behördensprecherin Edith Petry betont. Indes: Eine erste Zusammenführung sozialer Angebote war bereits 2013 im Siedlungsgebiet Nymphenburg Süd realisiert worden. Die Funkstation ist aber ein Novum, was die Konzeption, die Fülle des Angebots und die Größe des Hauses anbelangt. Eine Vielzahl von Instrumenten und Methoden der sozialen Arbeit seien unter einem Dach vereinigt, sagt Petry - woraus die Behörde die Konsequenz zieht: "Das Sozialreferat plant derzeit über das gesamte Stadtgebiet weitere integrierte Einrichtungen." Die Vorteile liegen auf der Hand: Wegen des Mangels an Flächen ist das Alles-unter-einem-Dach-Prinzip ökonomischer als verstreute Einrichtungen; überdies ist so ein Haus flexibel bespielbar. Das Café im Foyer der Funkstation dient vormittags Familien als Treffpunkt, kann dann als Mittagstisch für Kinder, nachmittags als Tummelplatz für Jugendliche dienen. Für drei Einrichtungen laufen im Referat vertiefte Planungen: Nach dem Vorbild Domagkpark sollen an der Pöllatstraße in Giesing, in den Neubauquartieren "Paul-Gerhardt-Allee" und "Prinz-Eugen-Kaserne" soziale Zentren entstehen, für letzteres hat der Stadtrat den Projektauftrag über 11,34 Millionen Euro bereits erteilt.

Platz zum Spielen: "Funkstation"-Leiterin Katrin Pischetsrieder erichtet von großem Zulauf in der Einrichtung. (Foto: Stephan Rumpf)

Weitere Projekte plant die Behörde an folgenden Stellen: Alois-Wunder-Straße, Westendstraße, Schleißheimer Straße/Piccoloministraße, Bayernkaserne, Freiham Nord, Baugebiet "Am Südpark" in Obersendling, Ludlstraße und Hochäckerstraße. Die Anwohner dürften ähnlich froh über das neue Angebot sein wie Anastasia Lysenko. "Es ist einfach angenehm, hier zu sein", sagt die 33-Jährige, bevor sie sich und ihrer Tochter wieder den Gehörschutz aufsetzt. Denn Morrison wirft wieder die Stichsäge an. Ein Sofa für den Lounge-Bereich in der Funkstation soll es werden. "Zum Chillen", wie er sagt.

© SZ vom 11.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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