Schwabing:Bei der Stange geblieben

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Seit 60 Jahren lernen Kinder im Schwabinger Kinderballettstudio Junghanns die Freude am Tanz

Von Jutta Czeguhn

Der große russische Choreograf George Balanchine bekommt 1942 den Auftrag, für den Zirkus Barnum & Bailey ein Ballett zu kreieren. Leicht verzweifelt wendet sich der Tanzmeister an seinen Landsmann im Exil, Igor Strawinski, mit der Bitte, er möge ihm dazu eine Polka komponieren. Folgender Dialog ist überliefert: "Für wen?", fragt Strawinski. "Elefanten", antwortet Balanchine. "Wie alt?" - "Jung." - "Gut, wenn sie sehr jung sind, werd' ich's machen." Der Komponist hält Wort, seine "Circus Polka" wird ein paar Monate später im Madison Square Garden uraufgeführt. Es tanzen 50 Elefanten, Solist ist ein gewisser Modoc, der laut New York Times eine erstaunliche Grazie an den Tag legte. Warum man das erzählt? Nun, damit ist von prominentester Stelle der Beweis erbracht, dass Elefanten und Ballett ganz symbiotisch zusammengehen. Auch im Schwabinger Kinderballettstudio Junghanns weiß man das. Ein tanzender Elefant mit einem Tutu um die geräumige Hüfte ist dort, in der Welt traumleichter Anmut, ganz selbstverständlich das Firmenmaskottchen, und das seit 60 Jahren.

Der Elefant empfängt einen in der Ballettschule schon beim Entree als knallgelbe Erscheinung auf einem nachtblauen Fußabstreifer. Seit 1966 ist das Studio im ersten Stock eines Altbaus an der Herzogstraße 1 a untergebracht. Wer zum ersten Mal durch die Tür tritt, kann sich nur mit einiger Mühe vorstellen, dass hier ganze Kompanien klassisches Ballett, Musical-, Stepptanz und Hip Hop trainieren. Im schmalen Flur warten Mütter, unterm Arm die Anoraks und Taschen ihrer Töchter, die sich gerade schnatternd in winzigen Garderobenzimmern oder auch gleich auf dem Gang umziehen.

Diese energetische Enge ist womöglich ein Hort großzügigster Entfaltung verglichen mit jenem Kellerraum an der Moltkestraße, in dem Ingeborg Junghanns einst am Nikolaustag 1956 mit nur einer einzigen Ballett-Elevin ihren Tanzschulbetrieb begann, der zu einer Münchner Institution werden sollte. Über Jahrzehnte entwarf sie die Choreografien für die Debütantinnen des Chrysanthemenballs, Junghannssche Ballett-Kinder traten bei Fernsehshows, Wohltätigkeitsgalas oder Faschingsfesten auf. Generationen kleiner Münchnerinnen - und Münchner - lernten von ihr, dass man bei den Pliés nicht schludern darf.

Viel ließe sich also über Ingeborg Junghanns erzählen, und man hat das Gefühl, dass die 1994 verstorbene Gründerin in ihrem Studio, das mittlerweile von ihrer Tochter Silvia geleitet wird, noch allgegenwärtig ist. Was wiederum auch mit den Elefanten zu tun hat. Ein tiefschwarzes Exemplar aus Onyx hatte Ingeborg Junghanns einst bei ihrer Flucht von Zagreb nach Deutschland in der Manteltasche. So sah sie im Elefanten fortan ihren Talisman. Und weil offensichtlich sehr, sehr viele Menschen der Ballettmeisterin und ihrer Schule im Laufe der Jahre Glück wünschten, entdeckt man heute Elefanten überall. Im Büro etwa in einer völlig übervölkerten Vitrine. "Ach, dabei hab' ich schon viele weiterverschenkt", seufzt Silvia Junghanns, blondes Haar, Brille, schwarze Hose, schwarzer Pulli. Eine Frau mit der kultivierten Haltung einer Tänzerin, die die Frage nach ihrem Alter charmant unbeantwortet lässt: "Egal welche Ziffer wir vor uns haben, durch die Arbeit mit den Kindern sind wir jung geblieben." Mit "wir" meint die Ballettchefin gleich auch den "Herrn Obuchowski", seit 33 Jahren Hauspianist im Studio Junghanns.

Von nebenan dringt seit einiger Zeit Klaviermusik herüber. Silvia Junghanns öffnet die Tür zu einem Tanzsaal, den man in dieser Größe nicht vermutet hätte: eine ganzseitige Spiegelwand, Ballettstangen, ein schwingender Fußboden, auf dem eine Gruppe Elevinnen auf die Lehrerin wartet. Während die Kinder ihre Sehnen dehnen, gönnt auch Josef Obuchowski seinen Pianistenfingern eine Aufwärmphase mit ein paar verjazzten Läufen. Behände springen seine Finger, die an sich eher bedächtig aussehen, über die schwarz-weißen Tasten. 1981 kam der gebürtige Pole nach Deutschland, wenig später trat der studierte Pianist und Organist schon in die Dienste der Schwabinger Ballettschule. "Eigentlich wollte ich das nur ein, zwei Jahre machen, aber so bin ich geblieben", sagt er und schaut drein, als würde er sich selbst am meisten darüber wundern. Im Kreis der sechs- bis achtjährigen Ballerinen wirkt Obuchowski wie ein gutmütiger, geduldiger Elefant. Dazu passt auch die kleine Geschichte, die er schmunzelnd erzählt: "Einmal wollte ein kleines Kind nicht tanzen und ist auf meinen Schoß eingeschlafen, während ich weitergespielt habe."

Nach 33 Jahren, die sie nun schon zusammenarbeiten, sind der Pianist und die Tanzlehrerin ein eingespieltes Team. "Er spielt so, wie ich spreche", komplimentiert Silvia Junghanns. Nie würde sie auf Klavierbegleitung bei ihren Ballettstunden verzichten wollen, denn anders als die Musik vom Band könne der Herr Obuchowski auch mal ein paar Noten mehr in eine Partitur hineinschmuggeln, wenn ein Kind etwas langsamer sei. Doch nun genug geredet. Sie klatscht in die Hände, die Probe beginnt. Bis zur großen Geburtstagsgala an diesem Sonntag, 4. Dezember, in der Germeringer Stadthalle müssen alle Schritte und Positionen sitzen. Der Klassiker "Die Puppenfee" steht auf dem Programm, Schauplatz ist ein Alt-Wiener Puppenladen, in dem das Spielzeug nach und nach zum Leben erwacht. "So, und nun möcht' ich den Unterschied zwischen Puppe und lebendig sehen", ruft Junghanns, und die Mädchen recken und strecken sich unter grazilem Gähnen. Dann tanzen und springen die Puppen zur Polka, schließlich erklingt der "Kaiserwalzer" von Johann Strauss.

Silvia Junghanns ist zufrieden. "Ihr habt das wirklich gut gemacht", sagt sie. Doch noch ist die Probe nicht zu Ende für die Elevinnen, die Schlussverbeugung sitzt noch nicht richtig. "Wenn ihr die verpatzt, habt ihr die ganze Nummer verpatzt", mahnt sie. Die Ballerinen tippeln nun in Reihe, knicksen, wippen, winken. "Wir joggen nicht, lümmeln nicht", korrigiert ihre Lehrerin. Schließlich strahlt sie, nickt anerkennend: "Ihr habt sogar gelächelt, und das ist immer die schwierigste Ballettübung." Für Herrn Obuchowsky ist das hingegen ein Kinderspiel, als Belohnung darf der Mann am Klavier nun Fruchtgummischlangen verteilen.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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