Sanitäter auf dem Oktoberfest:Einsatz im Epizentrum des Rausches

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Wenn der Exzess auf dem Oktoberfest zu groß wird, kommt Christoph Hahn. Seit 41 Jahren ist er Wiesn-Sanitäter. Ein Rundgang mit dem Mann, für den Platzwunden, Bierleichen und Maßkrugschlägereien längst Alltag geworden sind.

Julia Weber

Sanitäter auf dem Oktoberfest
:Einsatzort Volksfest

Schnittwunden erstversorgen, Bierleichen zum Ausnüchtern bringen und noch schnell ein Foto mit dem Smartphone machen. Alles das gehört zu den Aufgaben der Sanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes auf dem Oktoberfest. Christoph Hahn macht den Wiesn-Wahnsinn seit 41 Jahren ehrenamtlich mit.

Einsatzort ist auf der anderen Seite der Theresienwiese. Ein junger Mann liegt benommen auf einer Parkbank. Blut läuft über sein Gesicht. Christoph Hahn spricht ihn an, hilft ihm, sich aufzusetzen. Er säubert die Wunde, drückt ein großes rechteckiges Pflaster drauf. Eine Platzwunde über der Augenbraue, für Christoph Hahn kein großes Ding. Er ist Sanitäter auf dem Oktoberfest.

Hahn, der im richtigen Leben Steuerberater ist, leistet seit 41 Jahren ehrenamtlich Dienst für das Bayerische Rote Kreuz (BRK) auf dem größten Volksfest der Welt. Für sein Engagement bekommt er keinen Cent. 2000 Sanitätsschichten müssen während der 16-tägigen exzessiven Party besetzt werden.

Der junge Patient ist schnell erstversorgt, er muss aber trotzdem mit ins Servicecenter. Ein Arzt entscheidet dort, ob die Wunde genäht werden muss. Die Sanitäter helfen dem jungen Mann auf die Trage. Er reicht Christoph Hahn sein Smartphone. Schnell noch ein Foto von ihm auf der Trage machen, damit die Freunde ihm nachher alles glauben. Auch das gehört zu den Aufgaben, die Christoph Hahn an einem Wiesntag übernimmt.

Aber es gibt klare Grenzen. Als sich der Patient auf der Trage eine Zigarette ansteckt, sagt Hahn bestimmt. "Bitte sofort ausmachen, wir machen jetzt zu, sonst erstickst du." Zumachen, das heißt, der gelbe Sichtschutz, umgangssprachlich Banane, wird über der Trage geschlossen. Er soll die Patienten vor den neugierigen Blicken der Wiesn-Besucher schützen.

Wenn das Feiern böse endet

Mit vielen "Obacht"-, "Vorsicht"- und "Auf d'Seiten"-Rufen bahnt sich das Tragenteam mit dem Patienten auf der Liege seinen Weg durch die Menge bis zum Servicecenter. Der Bau am Rande der Theresienwiese gleicht einer Notfallambulanz im Krankenhaus. In der Mitte des Centers wird sondiert. Alkoholleichen kommen auf einen der 15 Überwachungsplätze, wo sie ihren Rausch ausschlafen. Schnittwunden und andere Verletzungen werden auf einem der fünf Behandlungsplätze in einem separaten Raum behandelt.

88 Sanitäter und acht Ärzte sind an diesem Oktoberfest-Tag im Einsatz, bis Mitternacht wird der BRK 420 Patienten behandeln. 36 Personen müssen in die umliegenden Kliniken transportiert werden, elf Patienten mit Alkoholintoxikation werden im Überwachungsraum behandelt. Bis die Wiesn zu Ende geht, kümmern sich die Sanitäter erfahrungsgemäß um etwa 10.000 Patienten.

Während der Patient mit der Platzwunde ärztlich versorgt wird, bereiten die Sanitäter ihre Trage für den nächsten Einsatz vor. Sie füllen den zwölf Kilogramm schweren Einsatzrucksack mit Verbandszeug und Desinfektionsmittel auf, beziehen die Liege mit einem frischen weißen Tuch. Die Tragen sind für alle möglichen Ernstfälle ausgerüstet: Defibrilator, Sauerstoffgerät, Blutdruck-Messgerät, Beatmungsgerät. Und: "Hier ist auch eine Handlampe, falls wir in die Geisterbahn müssen", erklärt Hahn.

Viel hat sich verändert in den 41 Jahren, in denen Hahn auf der Wiesn im Einsatz ist. Der Umgang mit den Patienten sei ein anderer geworden. "Früher waren die Ärzte Bereitschaftsärzte des BRK. Viele von denen waren Kriegsteilnehmer. Die sind nicht so zimperlich mit den Betrunkenen umgegangen. Da haben die Patienten auch mal gesagt bekommen, sie sollen sich nicht so anstellen", erinnert sich Hahn. In aller Ruhe seinen Rausch ausschlafen, war damals nicht drin. Mit Ammoniak wurden die Betrunkenen geweckt und nach Hause geschickt. Und auch die Einstellung zu den Sanitätern habe sich verändert. "Früher waren die Leute dankbarer, dass ihnen geholfen wurde. Heute meinen viele, einen Anspruch darauf zu haben", beklagt Hahn.

Je mehr Alkohol, desto mehr Einsätze

Viel Zeit zum Verschnaufen bekommt das Tragenteam nicht. Der nächste Fall führt sie zum Augustiner-Zelt. Während im Zelt das "Oans, zwoa, g'suffa" angestimmt wird, hat es sich für einen Wiesn-Besucher ausgetrunken. Er ist im Biergarten ohnmächtig geworden, seine Freunde haben die Sanitäter gerufen. Jetzt liegt der Betrunkene auf den Holzplanken und übergibt sich. Vier Maß habe er getrunken, sagen seine Freunde. Christoph Hahn glaubt ihnen nicht: "Vier Maß, das müsste eigentlich gehen." Die Sanitäter nehmen den jungen Mann zum Ausnüchtern mit ins Servicecenter.

Mit steigendem Alkoholpegel der Oktoberfest-Besucher steigt auch die Zahl der Einsätze für Christoph Hahn und sein Team. Ein junger Mann hat sich eine Schnittverletzung zugezogen. Beim Anstoßen mit den Maßkrügen ist einer zerbrochen und hat ihn am Handrücken verletzt. Der Amerikaner, der mit ihm angestoßen hat, ist untröstlich. "Sorry, man", sagt er immer wieder. Die Sanitäter säubern und verbinden die Wunde und nehmen ihn mit zum Servicecenter zum Nähen.

Auf dem Weg dahin sammeln sie gleich noch eine Patientin auf. Eine junge Australierin hat sich am Oberschenkel ebenfalls an einem zerbrochenen Maßkrug im Augustiner-Zelt geschnitten.

Dann wird es hektisch. Ein Menschenauflauf. Im Zelt hat sich jemand an der Pulsader verletzt. Ein Notruf sei abgesetzt, doch Hahn bleibt gleich und sieht nach dem Verletzten.

Das Team muss sich teilen. Die Sanitäter gehen zum Servicecenter, Hahn ruft: "Ich komme gleich nach." Und verschwindet im Zelt. Auch dieser Betrunkene hat sich an den Scherben eines Bierkrugs verletzt, er verliert viel Blut. Die Ordner haben schon den Arm abgebunden, um den Blutverlust zu verringern. Hahn bleibt ruhig, für ihn und das Oktoberfest ist es ein alltäglicher Fall. Er weiß, was er zu tun hat.

Mittlerweile ist es nach 22 Uhr, Schankschluss in den Zelten. "Jetzt kommen die Knöchelverletzungen und Nasenbeinbrüche", sagt Christoph Hahn aus der Erfahrung.

Sanitäter auf dem Oktoberfest
:Einsatzort Volksfest

Schnittwunden erstversorgen, Bierleichen zum Ausnüchtern bringen und noch schnell ein Foto mit dem Smartphone machen. Alles das gehört zu den Aufgaben der Sanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes auf dem Oktoberfest. Christoph Hahn macht den Wiesn-Wahnsinn seit 41 Jahren ehrenamtlich mit.

Noch immer wundert er sich über die Mädchen, die in Ballerinas über das Oktoberfest laufen. "Das ist ja schön, aber nicht zweckmäßig." Einen Vorwurf macht er den Wiesn-Besuchern trotzdem nicht. "Viele Leute wissen gar nicht, worauf sie sich einlassen, wenn sie hierherkommen", sagt er.

Im Servicecenter sind alle Behandlungsräume mittlerweile besetzt. Die Ärzte behandeln Patienten schon auf dem Flur. Bis auf das Tragenteam von Christoph Hahn sind alle anderen gerade im Einsatz. Für Hahn und seine Sanitäter heißt es jetzt, Trage sauber machen und wieder klarmachen zum nächsten Einsatz.

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