S-Bahn München:Im 24-Stunden-Schichtbetrieb zur sanierten Stammstrecke

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550 Arbeiter sind am Wochenende rund um die Uhr im Einsatz, um Schienen, Stromleitungen und Weichen zu warten - und das nicht zum letzten Mal in diesem Jahr.

Reportage von Dominik Hutter, München

Als Joachim Friedberger sein Telefon in die Hand nimmt, wird es kompliziert. Gleis 3 an der Donnersbergerbrücke wird durch ein Baugerüst blockiert, durchfahren unmöglich. Weitere Hindernisse: ein Bauzug auf Höhe der Gleisbrücke, ein Spülzug im Bahnhof Hackerbrücke und ein Rolltreppentransporter im unterirdischen Teil des Hauptbahnhofs - bitte jeweils aufs andere Gleis ausweichen. Friedberger gibt Lotsen-Tipps, wie man durchkommt. Und Entwarnung: "Ihr könnt arbeiten", versichert der Projektleiter der Bahn-Tochter DB Netz.

Das ist wichtig. Denn die 54 Stunden, in denen die S-Bahn-Stammstrecke geplant stillgelegt ist, gilt es zu nutzen. Der Anrufer kann nun mit seinem Bauzug einfahren, um Schienen auszutauschen. In einem Bereich, der trotz Sperrung alles andere als verlassen daliegt. Während die Fahrgäste auf Busse und U-Bahnen ausweichen müssen, wuseln massenweise Bauarbeiter in orangefarbenen Warnwesten auf den gesperrten Gleisen herum. 550 sind es insgesamt, im 24-Stunden-Schichtbetrieb. Plus Fahrzeuge, Ersatzteile und Spezialgerät. Da muss man erst einmal den Überblick behalten.

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Von Andreas Schubert

Zwei Jahre hat es gedauert, die Arbeiten an einer der meistbefahrenen deutschen Bahnstrecken vorzubereiten - aktuell laufen bereits die Planungen für das Sperrwochenende im Mai 2020. Denn wenn die Züge im Depot bleiben und die 15 000 Volt aus der Oberleitung verschwunden sind, wollen die Trupps erledigen, was erledigt werden kann: Wartungsarbeiten an Schienen und Weichen, an Tunnelwänden, Brückenbauwerken, Masten und Stromleitungen. Rolltreppen werden ausgetauscht, Kanäle gespült und Markierungen erneuert. In Laim wird die Sperrung für Vorarbeiten zur Bahnhofserweiterung genutzt - und damit für den Bau der zweiten Stammstrecke.

Und dann gibt es noch die "Trittbrettfahrer" von der Stadt. Die Gelegenheit, die großen Straßenbrücken über dem Gleisfeld zu kontrollieren, ist verführerisch günstig - es gilt sie zu nutzen. An der Donnersbergerbrücke inspizieren Experten die Betonkonstruktion, in direkter Nachbarschaft der sonst so gefährlichen Oberleitung. Nur wenige Meter entfernt werkeln städtische Trupps am Arnulfsteg, einer neuen Brücke über das Gleisfeld.

Für die Fahrgäste ist die Armada von Absperrungen und Warnwestenträgern weniger angenehm. Am Hauptbahnhof sind die Info-Posten von Menschentrauben umringt. Zahlreiche Züge fallen aus, werden umgeleitet oder halten an ungewohnter Stelle. Mehrere Pannen beeinträchtigen zusätzlich den verbliebenen Verkehr auf den Außenstrecken. Und weil es auf der Josef-Felder-Straße einen Unfall gegeben hat, können die Ersatzbusse eineinhalb Stunden lang nicht am Pasinger Bahnhof halten. Bahn-Sprecher Bernd Honerkamp ist dennoch überzeugt, mit der Bündelung der Arbeiten das Richtige zu tun. Alles einzeln erledigt, hätte man 42 Mal kleinere Bereiche sperren müssen, entsprechende Einschränkungen im Betrieb inklusive. Dann doch lieber möglichst in einem Rutsch.

Auch Rolltreppen werden ausgetauscht. (Foto: Lukas Barth)

Jahrzehntelang waren es die Münchner gewohnt, dass U- und S-Bahn ohne nervige Dauersperrungen funktionieren. Während in Metropolen mit alten Tunnelsystemen Streckenabschnitte wegen Sanierungsarbeiten gleich wochenweise stillgelegt werden, genossen die Münchner den Segen der Spät-Hinzugestoßenen. Inzwischen sind aber auch die Münchner Anlagen in die Jahre gekommen, der Aufwand für die Instandhaltung wird immer höher. Die elf Kilometer lange Stammstrecke, von der gut vier Kilometer im Tunnel verlaufen, ist mittlerweile mehr als 45 Jahre alt.

Das sieht man auch den Stationen an. "Revitalisierungsmaßnahmen" nennt der zuständige Projektleiter Thomas Saffer die auf Jahre angelegte Verschönerungaktion in den Tunnelbahnhöfen, ein etwas drolliger Begriff angesichts der chronischen Überfüllung der Münchner S-Bahn im Berufsverkehr. An diesem Sperrwochenende wird unter anderem die Markierung auf den Bahnsteigen von Marienplatz und Rosenheimer Platz erneuert, Letzterer erhält zudem ein Leitsystem für Blinde. Nächstes oder übernächstes Jahr sollen auch wieder Deckenverkleidungen in den Tunnelstationen montiert werden. Lamellen, zu 75 Prozent rauchdurchlässig. Die Vorgängerkonstruktionen waren schon 2007 aus Brandschutzgründen abgeschraubt worden. Seitdem blickt man auf schwarz überpinselten Beton, Provisorien sind langlebig.

In der Tunnelstation am Hauptbahnhof steht ein Bauzug mit bizarr geformter Ladung - zwei in Plastik eingeschweißte Rolltreppen. Die würde man ohne Sperrung und Güterzug gar nicht in das unterirdische Labyrinth der mehrgeschossigen Station hineinbringen. An diesem Wochenende wird montiert. Eine komplizierte Logistik gewährleistet, dass sich die insgesamt 15 verschiedenen Arbeitszüge nicht ins Gehege kommen. Die Waggons müssen nach einem ausgeklügelten System eingefädelt und später wieder hinausgefahren werden. Im Herbst sind drei weitere Sperrwochenenden geplant. So richtig fertig ist man hier nie.

© SZ vom 14.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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