Verkehr:Mit Tempo 30 verliert man keine Zeit

Lesezeit: 4 min

Eine freie Parkbucht findet man auf der Rosenheimer Straße selten. (Foto: lukasbarth.com)

Wie wäre es, mit Tempo 30 statt 50 durch die Stadt zu fahren? Unser Autor hat eine Testfahrt gemacht - und dabei einige Erkenntnisse gesammelt.

Von Andreas Schubert

Was ist das nur für ein Trottel - da, in dem schwarzen Golf! Wieso kriecht der so, die Straße ist doch frei? Wer sich auszumalen versucht, wie es ist, bei wenig Verkehr mit Tempo 30 durch die Stadt zu fahren, und was die anderen dann wohl so denken, dem fällt zunächst der Kabarettist Bruno Jonas in seiner Rolle als grantelnder Autofahrer auf Bayern 3 ein. Nachdem er das Weltgeschehen kommentiert hat, plärrt er zum Schluss seinen Vordermann mit einem genervten "Fahr zua!" an.

Trifft man als potenzieller Bremser wirklich solche Leute? Wird es ein Hupkonzert geben? Werden gar genervte SUV-Fahrer versuchen, einen von der Straße zu schieben?

Auf zur Testfahrt: Die Idee ist, fünf verschiedene Strecken einmal mit Tempo 50, einmal mit Tempo 30 abzufahren, dabei die Zeit zu stoppen, um herauszufinden, ob man mit 30 wirklich so viel länger zum Ziel braucht, wie manche immer wieder behaupten. Gerade erst haben sie sich im Rathaus geeinigt, auf einem gut 500 Meter langen Abschnitt der Rosenheimer Straße die Geschwindigkeit zu beschränken.

Kompromiss
:Auf der Rosenheimer Straße soll künftig Tempo 30 gelten

Für Radler soll der Abschnitt zwischen Orleansstraße und Rosenheimer Platz damit deutlich sicherer werden - ganz ohne Radweg.

Von Thomas Anlauf und Heiner Effern

Also, mal schauen, wie viel Zeit man damit wirklich verlieren würde. Start ist die Kreuzung zur Orleansstraße, Ziel die Straße am Gasteig - das ist ziemlich genau ein Kilometer. Erstmal ganz normal mit 50 da entlang - obwohl "ganz normal mit 50" einem auch schon verdammt langsam vorkommt, weil dauernd irgendwelche Autos vorbeirauschen. Es ist 11 Uhr vormittags, wenig los auf der Rosenheimer, wo sie zur Rush Hour doch so gerne im Stau stehen und 50 Stundenkilometer dann ein frommer Wunsch bleiben.

Zwei Ampelstopps sind es, die jeweils etwa 30 Sekunden dauern, wobei die Ampel de facto länger auf Rot steht, man sieht es ja schon von weitem, also ist Eile eh nicht angebracht. Die erste rote Ampel an der Metzstraße hätte sich noch bei Grün erreichen lassen, wenn man sich dem Verkehr angepasst hätte, aber gut: Soll ja ein Versuch sein, wenn auch kein wissenschaftlich ernst zu nehmender. Bis zum Ziel sind es bei Tempo 50 genau drei Minuten, 20 Sekunden und 72 Hundertstel. Dann der 30-Test: drei Minuten, 21 Sekunden und 74 Hundertstel für dieselbe Strecke. Aha!

Zwangsstopp auf der Fahrspur

Niemand hat gehupt oder gedrängelt, vielleicht lag das aber auch daran, dass der Test-Golf ein Wiesbadener Kennzeichen hat und die weltoffenen Münchner ein Herz für Ortsfremde haben. Oder es hat einfach kein Mensch bemerkt, weil die Strecke ja zwei Spuren pro Richtung hat und Überholen kein Problem ist. Nur der arme Radler, der sich gerade an einem stehenden DHL-Lieferwagen auf der linken Spur vorbeiquetschen muss, zwingt zum Bremsen.

Eine freie Parkbucht gibt es an diesem Vormittag hier nirgends, der Lieferverkehr muss zwangsläufig auf der Fahrspur stoppen, und man fragt sich beim Vorbeifahren, wer eigentlich zielgerichtet mit dem Auto in die Rosenheimer fährt und ernsthaft glaubt, dort einen Parkplatz zu finden. Aber diese seien ja unabdingbar, sagt die Politik.

Jetzt eine andere, zur Abwechslung mal weitgehend einspurige Route: 14.30 Uhr, Schleißheimer Straße zwischen Horn- und Theresienstraße stadteinwärts. Für genau zwei Kilometer sind es mit Tempo 30 inklusive drei Ampelstopps 6:20,51, bei Tempo 50 sind es sogar langsamere 6:21,13, also wieder fast identisch. Man steht halt länger an der Ampel. Und wieder scheint es niemand bemerkt zu haben, was der Typ in dem schwarzen Golf da eigentlich macht. Gleichmut am Nachmittag, das Vorurteil, dass auf der Straße das Recht der Stärkeren gilt, scheint widerlegt.

SZ-Tabelle (Foto: gfd)

Denkste: Um 15.15 Uhr taucht auf der Schäftlarnstraße im Rückspiegel der Erste auf, bei dem man lieber nicht wissen will, was er gerade so denkt. Für die Schäftlarnerstraße haben die Anwohner vergeblich Tempo 30 gefordert, der Abschnitt zwischen Brudermühl- und Tierparkstraße ist relativ schmal, einen ordentlichen Radweg gibt es hier nicht. Trotzdem lässt das Gesetz laut Kreisverwaltungsreferat hier nur Tempo 50 zu. Eine Sammelfunktion habe die Straße, sie liege im sogenannten Tertiärnetz.

Das bedeutet, dass sie nach den Hauptverkehrsrouten im Primär- und Sekundärnetz quasi ein drittklassiger Zubringer ist - aber immer noch wichtig. Das scheint der Lieferwagenfahrer, der einem fast im Kofferraum hängt, zu wissen. Es ist besser, schnell rechts ran zu fahren und ihn vorbeizulassen. Was er offenbar auch wusste: Er hat sich eine lebenswichtige Minute gespart. 5:00,07 braucht man mit 30 für 2,2 Kilometer, flotte 4:03,34 mit 50.

Dem gemütlichen Schnauzbartträger, der um 16 Uhr in seinem Minivan auf der Lindwurmstraße geduldig hinter einem her zuckelt, scheint die Entschleunigung dagegen nichts auszumachen. Vom Startpunkt am Sendlinger Tor bis zur Plinganserstraße und von dort noch ein Stück zum Harras sind es drei Kilometer; 7:59,55 dauert die Reise mit 30 und 7:03,63 mit 50, wobei man eigentlich bei Gelb beim Stemmerhof hätte stehenbleiben müssen - aber Macht der Gewohnheit.

So gewinnt 50 nur mit einem nicht ganz legalen Vorsprung. Eigentlich reicht es jetzt. Beim Vorbeifahren an einem der Anhänger-Busse der Linie 53 fällt einem wieder ein, dass es entspanntere Methoden gibt, um vorwärts zu kommen. Das würde man auch gerne dem Audi-Q-irgendwas-Fahrer zurufen, der auf Höhe der Nussbaumklinik spektakulär vorbeigebraust ist und dann am Goetheplatz nebenan an der Ampel steht.

Sendling
:Wie der Luise-Kiesselbach-Platz zur grünen Mitte werden soll

Viel Grün, Bänke und einen Maibaum. Das wünschen sich die Bürger für den Platz am Mittleren Ring. Etwas Provisorisches wird ihm aber auch nach seiner Fertigstellung im Sommer 2018 noch anhaften.

Von Berthold Neff

Ja, Tempo 30 ist tagsüber außerhalb der Rush Hour gemütlich, man verliert keine Zeit - nur dass man weniger Dreck in die Luft bläst, ist laut verschiedenen Studien eine Illusion. Zu sehr hängt das Ergebnis von den jeweiligen Besonderheiten einer Strecke ab, ebenso vom Verkehrsaufkommen und vom Fahrverhalten eines jeden.

Der ADAC hat vergangenen September erst herausgefunden, dass Tempo 30 die Luft nicht sauberer macht. Und wer es genauer wissen möchte, dem sei die Lektüre einer Untersuchung des Landesamts für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg empfohlen, die auf dessen Internetseite nachzulesen ist.

Immerhin ist es sicherer, langsam zu fahren. Und eine Erkenntnis des Tages ist, dass die Autofahrer besser sind als ihr Ruf.

Ein letzter Test: Isarparallele zwischen Reichenbachbrücke und Isarring. Google-Maps sagt: Acht Minuten für die vier Kilometer, die eigene Erfahrung sagt 5:37,27, wenn man mal nicht allzu genau auf den Tacho schaut und fährt wie alle anderen auch, also teilweise zu schnell. Weil sich aber gegen 16.45 die Straße inzwischen gut gefüllt hat, hebt man sich das Tempo 30 für den nächsten Tag auf. Morgens um 9.30 Uhr fällt der 30-Kriecher auf der viel befahrenen Strecke nicht weiter auf.

Hier haben sie vor 100 Jahren hübsche Häuser mit Isarblick hingestellt, lange vor Erfindung der Schallschutzfenster. Stau herrscht nicht mehr um diese Uhrzeit. Aber die Ampeln bremsen gewaltig. So ist erst nach 9 Minuten, 30 Sekunden und ein paar Zerquetschten der Isarring erreicht. Von hier aus geht es mit unfreiwilligen 40 weiter Richtung Südosten.

Dass man die Fahrten nicht als seriösen Test verstehen darf, ist klar. Auch klar ist, dass es mit dem Rad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln entspannter ist - sofern man nicht gerade durch die Rosenheimer Straße radelt, oder eine Weichen-, Oberleitungs- oder sonstige Störung die Öffentlichen lahmlegt. Siehe die täglichen Meldungen!

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Luftreinhaltung
:Weniger Abgase: CSU und SPD folgen dem Bündnis für saubere Luft

Das Bürgerbegehren gegen Luftverschmutzung könnte damit sofort beendet sein. Doch die Initiatoren sind skeptisch.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: