Riem:Mozart goes Messestadt

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Ein Konzertsaal als Interimslösung wäre willkommen. Weder Lokalpolitiker noch Bewohner zeigen Verständnis für die Skeptiker

Von Renate Winkler-Schlang

Gegenüber die Messe mit ihrem See, rund um den alten Flughafentower der Weltkonzern Brainlab, wenige Schritte entfernt der U-Bahnhof Messestadt-West. Und dennoch: Orchester und Konzertveranstalter stehen der Idee, auf der Brache an der Olof-Palme-Straße einen Interimskonzertsaal als Ersatz für den sanierungsbedürftigen Gasteig zu bauen, offen ablehnend gegenüber. "Weit draußen, abgelegen, dezentral" - das sind die Vokabeln, die nun Lokalpolitiker im Münchner Osten und auch die Messestädter selbst, die das Verächtliche gegenüber ihrem bunten Stadtviertels längst leid sind, in Rage bringen.

Markus Rinderspacher, seines Zeichens SPD-Landtagsabgeordneter, hatte vor zwei Jahren eben diesen Platz als Standort vorgeschlagen für den neuen Konzertsaal, der nun im Werksviertel entsteht. Die Stadtteilzeitung take off hatte damals getitelt: "Wo, wenn nicht hier?" Und, was es einfach gemacht hätte: Die Fläche gehört der Stadt.

"Symphonische Klänge dort, wo einst die Flieger donnerten - aus brüllendem Lärm wird am Ende harmonischer Wohlklang? Es wäre ein historischer Versöhnungsakkord. Paris hat es vorgemacht und im äußeren Nordosten eine neue Philharmonie gebaut, klangvoll und repräsentativ", hatte Rinderspacher damals erklärt. "Mozart goes Messestadt", warb er seinerzeit - und tut es noch heute: "Der Weg ist nicht weit", so Rinderspacher. Und weiter: "Der Standort verdient es, vorurteilsfrei erörtert zu werden."

Auch in Riem geht schick. (Foto: Lukas Barth)

Hans Häuser war damals der Redakteur besagter take off-Ausgabe. Er vermutet, dass der Standort den Verantwortlichen in Wahrheit nicht zu weit draußen ist - vielmehr sei die Messestadt "nicht etabliert, nicht bürgerlich, böse gesagt: nicht saturiert, nicht spießig genug". Dabei wäre in seinen Augen eine "Kultur des Miteinanders" in einem Stadtteil mit Menschen aus 100 Nationen "echte Hochkultur". Aber dass die Münchner Klassik-Szene provinziell ist, wisse man spätestens seit Helmut Dietls Opernbesuchs-Episode in der TV-Serie "Monaco Franze". Auch Grünen-Stadtrat Herbert Danner schüttelt den Kopf: Ein Konzertsaal neben einer "Messe im Weltformat kann doch nicht unzumutbar sein". Heinrich Tardt schließlich, Geschäftsführer der Kultur-Etage in der Messestadt, sieht in dieser Standortwahl eine große Chance fürs Viertel und schwärmt: "Ich würde es begrüßen, wenn die Stadt so entscheidet, es wäre eine spannende Geschichte für uns. Eine große Kulturstätte strahlt natürlich auf den Stadtteil ab. Und mit was sollten sich Menschen in ihrer Freizeit beschäftigen, wenn nicht mit Kultur, mit Musik? Aber bitte selbst erlebte Kultur."

Als eine Chance fürs Viertel begreifen viele die mögliche Standortwahl für den Konzertsaal. (Foto: lukasbarth.com)

Den Einwand, dass die Messestadt mit ihren geförderten Wohnungen und nicht so gut verdienenden, kinderreichen Familien nicht der erste Markt für teure Konzertkarten ist, lässt Tardt nicht gelten. Die Veranstalter könnten immer überlegen, ob sie vor einem halb leeren Saal spielen lassen oder "Kontingente vorsehen für jene vor der Haustür, die danach lechzen, Klassik live zu erleben". Dann aber müsste es Konzepte dafür geben, wie man eine Zielgruppe mit ungeübteren Ohren an diese Kunst heranführt. "Aber Musiker sind doch die letzten, die das nicht wollen", setzt Tardt voraus.

Am oberen Bildrand das Messeparkhaus und die Autobahnausfahrt; Gastronomie gibt es in den Arcaden (unten) sowie in den Hotels am Platz. (Foto: Google Earth)

Bleibt der Vorwurf der schlechten Erreichbarkeit: Gregor Kern, in der Kultur-Etage ehrenamtlich aktiv, rechnet vor: "20 Minuten mit der U-Bahn ab Hauptbahnhof." Ebenso argumentieren Markus Rinderspacher, Hans Häuser, die Mitglieder von Stadtrat und Bezirksausschuss. Sicherlich denkbar wäre eine Nutzung des abends oft leer stehenden Messe-Parkhauses für jene, die der U-Bahn nicht trauen. Und auf einen Prosecco mit ein paar Häppchen nach dem Kulturgenuss müsste niemand verzichten: "Das ,König Ludwig' in den Riem-Arcaden ist ein gutes, bürgerliches Lokal. Und im neuen Flügel der Arcaden entsteht weitere Gastronomie", empfiehlt der Bezirksausschuss-Vorsitzende Otto Steinberger (CSU). Michael Majik, der Direktor des Novotel-Hotels an der Messe spricht für sich und auch für die Kollegen vom H2-Hotel an der Olof-Palme-Straße: "Der Standort gibt das gastronomisch her."

Mancher, wie etwa Brigitte Sowa vom Bürgerforum Messestadt, dem Trägerverein der Kultur-Etage, muss angesichts der Summe von bis zu 37 Millionen Euro für den Interimssaal allerdings schlucken. Sie ist sich sicher, dass die Kultur-Etage nach der Konzertnutzung nicht dort hinziehen würde; die Etage sei "genau richtig". Auch Otto Steinberger glaubt, das die Messestadt, wenn Gymnasium, Realschule und Bücherei erst fertig sind, "reichlich soziale Einrichtungen" hat - der Interimskonzertsaal werde landen und verschwinden wie ein Sputnik.

SPD-Stadtrat Ingo Mittermaier aus Trudering gibt der Hoffnung Ausdruck, dass der akustisch wahrscheinlich hervorragende Bau am Ende Begehrlichkeiten wecken wird; das müsste man gleich in die Entscheidung einbeziehen. Und Heinrich Tardt denkt in dieselbe Richtung: "Sicher gibt es dann ganz viele Leute mit ganz tollen Ideen." Auch Bezirksausschuss-Mitglied Georg Kronawitter (CSU) glaubt, dass in dieses hochwertige Gewerbegebiet mit dem schönen Namen Technologiepark auch eine neue jugendkulturelle Hallennutzung passen könnte - oder aber ein Musicaltheater wie in Stuttgart, Köln oder Hamburg. Schließlich würde der Markt genug nichtsubventionierte Kultur bieten, die sich dort rechnen könnte. Und: Holz sei haltbar, das habe die Holzbauindustrie ebenso bewiesen wie jahrhundertealte skandinavische Holzkirchen.

Wer auch immer eines Tages in Kultur investieren wird, muss sich dann noch mit dem Kämmerer einigen, der die Fläche natürlich irgendwann meistbietend verkaufen will und in einer Stadtratsvorlage bemängelt, dass der Stadt der Verkauf wegen des Saals vorerst verwehrt würde. Jahrzehntelang habe das Kommunalreferat aber kein Unternehmen von Rang gefunden, das sich hier ansiedeln wollte, kontert Tardt. Und Stadtrat Herbert Danner empfiehlt, von vornherein nachhaltig zu denken und einen gebrauchten Holz-Konzertsaal hinzustellen: Es gebe da einen geeigneten in Skandinavien, der 2018 zur Verfügung steht.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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