Rauschgiftsucht:Zahl der Drogentoten dramatisch gestiegen

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  • Seit Jahresbeginn gab es in München bereits 15 Drogentote. Allein am vergangenen Wochenende starben in Sendling und Bogenhausen drei Männer.
  • Die Polizei hofft noch, dass der Anstieg ein Zufall ist, denn Erklärungen dafür gibt es nicht.
  • Der Stadtrat und Experten fordern Fixerstuben, weil die Drogentodesfälle deutlich reduzieren können.

Von Martin Bernstein

Bereits 15 Menschen sind in München in den ersten beiden Monaten des Jahres an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben. Eine dramatische Entwicklung, die der Polizei und den Fachleuten der Drogenhilfe Rätsel aufgibt. Allein am vergangenen Wochenende starben in Sendling und Bogenhausen drei Männer. Zum Vergleich: Vor einem Jahr registrierte das Polizeipräsidium München bis Ende Februar fünf Rauschgiftopfer in Stadt und Landkreis. Angesichts dieser Entwicklung fordern Drogenberater die Einrichtung von Räumen, in denen Drogenkonsum unter Aufsicht möglich ist.

Ein Wochenende, drei Schicksale: Am Freitag stirbt ein 56-Jähriger in seiner Wohnung in Obersendling. Erst nach fünf Tagen wird der Tote entdeckt, der rußgeschwärzte Löffel zum Auflösen des Heroins liegt noch neben ihm. Am Samstag findet ein Sendlinger seinen Mitbewohner leblos in dessen Zimmer. Der 48-Jährige hat zuvor mit Bekannten verschiedene Drogen konsumiert. Der Mann stirbt nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus. Am Sonntag wird in Bogenhausen ein 28-Jähriger tot in seiner Wohnung aufgefunden. Seit vielen Jahren hat der Münchner immer wieder diverse Drogengenommen.

Tote Langzeitabhängige tauchen in keiner Statistik auf

In den vergangenen zehn Jahren schwankte die Zahl der Rauschgifttoten im Bereich des Polizeipräsidiums München zwischen 39 (in den Jahren 2011 und 2012) und 56 (im Jahr 2007). Im vergangenen Jahr wurden 48 Menschen in Stadt und Landkreis München Opfer verschiedener Drogen. Und so dramatisch die Zahlen sind - sie sind womöglich nicht einmal die ganze Wahrheit. Es gebe eine hohe Dunkelziffer, sagt Klaus Fuhrmann, der sich als Bereichsgeschäftsführer beim Suchthilfeträger Condrobs um ältere Abhängige kümmert. Denn die Polizei werde nur bei Überdosierungen oder unklaren Todesursachen gerufen. Stirbt etwa ein Langzeitabhängiger in einem Krankenhaus an einem Leberschaden, dann taucht dieser Todesfall in keiner Statistik auf.

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15 Drogentote binnen neun Wochen: Bei der Polizei hofft man darauf, dass dieser Anstieg ein Zufall ist und dass das keinen Trend für das ganze Jahr vorgibt. Eine Erklärung für die aktuellen Zahlen gebe es nicht. Auch Klaus Fuhrmann von Condrobs sagt: "Wir stehen vor einem Rätsel." Möglicherweise - da sind sich Polizei und Suchthilfeexperte einig - spielen neue, synthetische Drogen wie die verharmlosend "Badesalz" genannten hirnschädigenden Substanzen eine Rolle, für die es im Internet einen Schwarzmarkt gibt. "Aber das ist Spekulation", sagt Fuhrmann. Er fordert genauere Daten, an welchen Drogen Rauschgiftsüchtige gestorben sind. Eine Rolle beim Anstieg der Zahl der Drogenopfer spielt auch das Alter der Konsumenten. Viele Rauschgiftabhängige seien jetzt in einem Alter, in dem sie an den Spätfolgen des Drogenkonsums sterben, etwa an Hepatitis C, sagt Fuhrmann, der seit 25 Jahren in der Suchthilfe arbeitet.

Bayern will keine Konsumräume für Abhängige

Seine Forderung: Konsumräume. "Drogenkonsumräume können Drogentodesfälle deutlich reduzieren und Infektionen vermeiden", sagt der Experte: Weniger Konsumenten würden sich dann mit chronischen Erkrankungen wie Hepatitis und HIV infizieren, weil bessere Aufklärungsarbeit bei den Betroffenen möglich sei. "Drogentod an Langzeitfolgen wird dadurch verringert." Außerdem sei in solchen Räumen eine Kontaktaufnahme zu Klienten möglich, die bisher nicht erreicht werden - beispielsweise zu Konsumenten der neuen Psycho-Drogen. Fuhrmann: "Seit 20 Jahren werden Konsumräume in Deutschland erfolgreich betrieben - daher sollten sie auch in Bayern erlaubt werden." Einen entsprechenden Vorstoß hatte der Münchner Stadtrat vor vier Jahren mit Mehrheit beschlossen. Doch der Freistaat bleibt bis heute bei seinem Nein.

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Der Todesfall vom vergangenen Samstag ist offenbar nicht untypisch. Drogen würden oft in Gemeinschaft konsumiert, bis hin zur Überdosis, sagt Fuhrmann. Doch im Notfall fehle den Anwesenden dann das Wissen, wie geholfen werden könne. Oft geht es da um wenige Minuten. Auch das wäre ein Vorteil von Konsumräumen: Geschulte Helfer wären im Notfall rasch zur Stelle.

Schnelle Hilfe in solchen Situationen könnte laut Fuhrmann auch die fachgerechte Gabe von Naloxon bringen. Die Substanz kann gegen Heroin-Überdosierungen eingesetzt werden. "Ein altbekanntes Mittel", sagt der Condrobs-Experte. "Aber wir finden in München keine Ärzte, die es verschreiben." Viele fürchteten die rechtliche Grauzone. Fuhrmann aber ist überzeugt: "Da macht sich niemand strafbar." Die 15 Münchner Drogentoten zum Jahresbeginn müssten jedenfalls Anlass sein zu handeln.

© SZ vom 06.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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