Public Viewing in München:Fußball unser

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In Münchener Kneipen wie dem Stadion sitzen Fußball-Experten vor den Großbildschirmen und diskutieren. Warum sollte man Ribéry und Robben im Rudel anschauen?

P. Crone

Am Mittwochabend ist es wieder möglich: Federball spielen im Licht der Straßenlampen auf dem Mittleren Ring. Kaum ein Auto wird auf Münchens Straßen zu sehen sein, wenn der Bildschirm ruft. Der FC Bayern tritt im Champions League-Halbfinale gegen Olympique Lyon an, München sitzt vor der Glotze und ein paar wenige jubeln im Fröttmaninger Stadion.

Ob sich Gomez ausreichend über Olics Tor freut, diskutieren Hunderte Fachleute vor dem Riesenbildschirm im Stadion. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Aber nicht jeder hockt vor dem heimischen Schirm, sondern lieber in den spätestens seit der Fußball-WM etablierten kleinen Oasen der Geselligkeit: zu vielen in der Kneipe, zu ganz vielen im Biergarten, und wenn schon zu Hause, dann zumindest mit ein paar geladenen Freunden. Warum muss man Ribéry, Robben oder Rukavina im Rudel anschauen und Batic im Tatort nicht?

Zum einen braucht es ja für dieses Rasenspiel zunächst einmal möglichst viele Experten. Wer sich in eine Fußballkneipe setzt, bekommt neben der Currywurst und dem Original-Ton gleich noch beliebig viele ehrenamtliche Kommentatoren dazu, die sich in Verschwörungstheorien (meist gegen Linien- und Schiedsrichter) versuchen, die Frage der im Foulfall zu wählenden Kartenfarbe (von scheingelb bis dunkelrot) oder die der Schuld klären ('Nimm endlich den Demichelis runter!').

Wirkliche Probleme, ob sich Gomez zum Beispiel ausreichend über Olics Tor mitfreut oder ob Ribéry durch die aktuellen Querelen in seiner Kreativität eingeschränkt ist, können hier mit Hilfe endloser Zeitlupen auf zahllosen Riesenbildschirmen mit Hunderten Fachleuten hundertfach diskutiert werden.

Neben den kommentierenden Experten gibt es in Kneipen und Wohnzimmern zudem die exklusive Spezies der Pointen-Könige, die ihre Aufregung in originelle Kommentare und Rufe packen. Das verkürzt dem Zuschauer oftmals die ganz faden Phasen des Spiels (das sind die, bei denen der Kommentator von Taktik spricht).

Zum zweiten möchte der Sportsbarbesucher ja eigentlich noch lieber ins Stadion, nur ist da der Platz begrenzt und teuer, also geht er zumindest an einen Ort, der einer Arena ähnelt, zum Beispiel in das Stadion an der Schleißheimer Straße 82. Hier sitzt der Fan auf original Schalensitzen inmitten von Erinnerungen an ruhmreiche Momente und isst - ohne auf den Teller zu schauen - sein Langos á la Zidane.

Die Lounges moderner Stadien unterscheiden sich ja bald schon nicht mehr von modernen Kicker-Kneipen. Bildschirme, Live-Feeling und Bewirtung gibt es hier wie dort. Und wie auch im Stadion muss der Kneipengast aufpassen, dass er nicht den falschen Block erwischt. Der Besuch im Restaurant Sax etwa ist bei einem Spiel der Bayern gegen Stuttgart nicht ratsam, hier regiert der VfB; das Lloyds in der Occamstraße ist hingegen Werder-Zone, und ganz Giesing - eh klar.

Stadionersatz und Unterhaltung - dazu bekommt der Fan beim public oder group viewing in allen möglichen Situationen mentale Unterstützung. Psychologisch gesehen, ist die Motivation des Massenglotzens klar: Gewinnt die favorisierte Mannschaft, kann sich jeder doppelt freuen. Das Mitteilungsbedürfnis des Jubelnden wird erwidert und die Freude schaukelt sich so hoch. Andersherum wird der Frust einer Last-Minute-Niederlage von der Gemeinschaft aufgefangen und gnädig abgemildert.

Natürlich gibt es auch weiterhin die Einzelgucker. Manche schwören auf Radiokommentare ('Den Reif kann ich nicht ertragen.'); das sind auch die, die bei Weltmeisterschaften den Ton des Fernsehers runterdrehen und lieber den österreichischen Radiomann hören; wieder andere sitzen alleine zu Hause auf dem Sofa, dafür im Originaltrikot.

Und dann gibt es in München natürlich auch noch die Fans der anderen, am Mittwoch sind es die der Löwen, die gemäßigte Variante drückt dem FC Bayern im internationalen Geschäft als deutschem Vertreter die Daumen; die Radikal-Vertreter (Hauptsache, rot verliert) haben am Mittwochabend keine Fußball-Verabredung, die spielen dann Federball.

© SZ vom 21.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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